David Harnasch / 29.06.2012 / 11:03 / 0 / Seite ausdrucken

Unentschiedene Gedanken zur Beschneidung

Obwohl es mich durchaus betreffen könnte, habe ich keine endgültige Meinung zum Kölner Urteil. Wenn ich eines Tages Söhne haben sollte und die Mutter die beschneiden lassen will, dann machen wir das. In Frankreich. Oder sonstwo. Ich halte es für das Kindswohl schlicht für egal, ob beschnitten wird oder nicht. Grade weil ich das Glück habe, in hygienisch einwandfreien Umständen zu leben, sind die medizinischen Vor- und Nachteile beider Optionen jenseits der Nachweisgrenze. Ich möchte nicht verschweigen, dass ein Bekannter, der den Eingriff auf Wunsch seiner Freundin im sexuell aktiven Alter an sich hat vornehmen lassen, seine sexuellen Empfindungen mit einer erschreckenden Metapher beschrieb: “Stell Dir vor, Du hast Dein Leben lang auf einem 42”-3D-Plasma-TV ferngesehen. Und dann steigst Du auf eine 30-cm-Schwarzweiß-Röhrenglotze um.” Es gibt aber unzählige gegenteilige Erzählungen und ich glaube nicht, dass der Eingriff, wenn er vor der Pubertät vorgenommen wird, Einfluss auf den Genuss am Sex hat.

Was ich interessant finde: Das Gericht bewertet die “körperliche Unversehrtheit des Sohnes” höher als die Religionsfreiheit der Eltern. OK, kann man so einschätzen. Ich sehe diesbezüglich einen erheblichen Unterschied zwischen der Beschneidung eines Säuglings, der hirnphysiologisch keinerlei Erinnerungen daran haben kann und der eines Achtjährigen. Der übrigens als Konsequenz aus dem Urteil im Zweifel auf dem Küchentisch landet, wo die Infektionswahrscheinlichkeit eher höher sein dürfte, sofern der Doktor keine Phimosen-Fehldiagnose lügen will. Aber was bedeutet das für jene Eltern, die die Beschneidung gar nicht aus religiösen, sondern medizinischen Gründen durchführen lassen wollen? In den USA ist das die Regel. Und wenn die körperliche Unversehrtheit des Kindes Priorität hat vor dem Glauben der Eltern, wieso entzieht man “Impfgegnern” (die ja nur aus Glaubensgründen solche sein können) dann nicht konsequenterweise das medizinische Sorgerecht? Verweigern Zeugen Jehowahs ihren Kindern lebenswichtige Blutspenden, geschieht der Entzug des medizinischen Sorgerechts routinemäßig. Und während medizinisch und hygienisch korrekte Beschneidungen exakt gar kein nennenswertes Risiko bedeuten, erkranken jedes Jahr auch in Deutschland Dutzende Kinder schwer, weil die Eltern ihnen die wichtigsten Impfungen vorenthalten. Andere sterben sogar - besonders gefährdet sind jene, die wegen Unverträglichkeit selbst nicht geimpft werden können und sich mit einer Krankheit anstecken, gegen die das übertragende Kind hätte geimpft werden können, wenn die Eltern alle Latten am Zaun hätten.

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