Ralph Giordanos Rede zur Verleihung des DIG-Ehrenpreises an Henryk Broder am 18.12. in Aachen
Meine erste Reaktion auf die Frage, ob ich im Rahmen der Ehrung Henryk M. Broders die Rolle des „Überraschungsgastes“ übernehmen und ich dazu einen Text beisteuern solle, war ein entsetztes: „Um Himmels Willen, da kann man doch nur nur Fehler machen!“ Die er einem dann übel nimmt bis ins siebte Glied, während auf Lob zu warten, hieße, einem Optimismus zu frönen, für den es kein historisches Beispiel gibt.
Die Klärung kam rasch, weil es diese Spaltung in mir gar nicht gibt. Ich sehe Henryk M. Broder vielmehr als Gesamtkunstwerk, als ein Unikat, dem ich kein zweites zur Seite stellen kann, so sehr ich auch danach forsche seit der Stunde, in der ich mich auf meinen Auftritt als „Überraschungsgast“ vorbereitete.
Was natürlich nicht so ganz genau genommen werden kann als pauschale Kritiklosigkeit, oder für jedes seiner gesprochenen oder geschriebenen Worte gilt, wenn auch bei unbestrittener Unverwechselbarkeit.
Das also vorausgeschickt, wenn ich mich nun, in gebotener Kürze, in die Dschungel unserer Freundschaft verliere.
Da hat es, zugegeben, neben herzhafter Zustimmung auch Augenblicke der Verstörung gegeben. Darunter einer, der zwar schon etwas her, dessen Nachbeben in mir aber immer noch spürbar ist.
Vielleicht ahnst Du, lieber Henryk, worauf ich hinaus will: denn natürlich spreche ich von Deiner Drohung, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland werden zu wollen, Dich dafür zu bewerben, Dich als Kandidaten aufstellen zu lassen. Die nächste tief verschreckende Drohung kam prompt hinterher: „Drei jüdische Gemeinden würden dich darin schon unterstützen.“ Da wurde mir nun doch sehr mulmig zumute.
Zumal du nun auch die Gründe darlegtest, warum du das hohe Amt erstrebtest: weil die jetzige Führung zu vergangenheitsfixiert sei, eine Art Instanz für Reueentgegennahme und Unbedenklichkeitserklärung, und außerdem bürokratisch erstarrt. Und das öffentlich verkündet über die heutigen uferlosen Möglichkeiten der Verbreitung, die Du souverän beherrschst.
Da wurde mir, noch einmal, dann doch sehr blümerant zumute, weil ich ein ganz anderes, schwer sentimentales Verhältnis zum „Zentralrat der Juden in Deutschland“ habe. Kenne ich die Institution doch sozusagen von ihren Urvätern her, legendäre Persönlichkeiten, wie der große Jurist und Publizist Henrik van Dam, oder Karl Marx, der charismatische Herausgeber der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung“ - beide für mich väterliche Freunde.
Daß Du sie nicht persönlich kennst, dafür kannst Du nichts, fällst Du doch unter die Gnade der späten Geburt (Was ärgerlicherweise wieder auf den großen Altersunterschied zwischen uns beiden hinweist).
Vielleicht ist es ja dieser Unterschied, der mich milder macht und mir ein anderes Loyalitätsempfinden einflößt, ohne zu behaupten, daß das meine nun auch das richtige sei. Vielmehr bekenne ich hier - unter uns, wie wir sind - daß ich so etwas wie Neid verspüre, daß Broder von meinen Hemmungen völlig frei ist.
Im übrigen: Ich habe keine ARD-Sendung der Serie „Deutschland-Safari Entweder Broder…“ versäumt, nicht eine, diese Ochsentour des Unberechenbaren, auf die ihr euch quer durch das wiedervereinigte Deutschland gemacht habt, „ein polnischstämmiger, notorisch rechthaberischer Jude“ und ein „ägyptischer Moslem und entwurzelter Araber “ (Hamed Abdel-Samad). Der Muslim übrigens mit dem Kommentar: „Ich hatte nichts zu verlieren. Auf jeden Fall aber erscheine ich jünger, klüger und vor allem schlanker als Broder.“
Das ist kühn trompetet, wenn man es Tausende von Kilometern miteinander aushalten soll und der “jüngere, klügere und schlankere“ seinen Beifahrer Broder einen „Großayatolla der journalistischen Polemik“ schimpft, während der seinen muslimischen Begleiter „eine Mischung von Peter Scholl-Latour und Dirk Bach“ nennt. Eine Odyssee, die es wahrlich verdient hätte, wissenschaftlich analysiert zu werden, um zahllosen deutschen Befindlichkeiten der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts auf die Spur und an die Wurzeln zu kommen.
Es heißt übrigens, Du hättest auf dem Trip abgespeckt, Hamed aber zugenommen. Was immer daran stimmt oder nicht, es werden respekteinflößende Zahlen um die 80 kg genannt.
Lieber Henryk, ich habe immer wieder Deine Nervenkraft bewundert, wie Du es ausgehalten hast, wenn sich zeigte, daß Hitler, und was der Name symbolisiert, zwar militärisch, nicht aber auch schon geistig, oder besser ungeistig, geschlagen ist. So auf einer NPD-Versammelung, auf der Funktionäre quatschten von „Gestern die Juden, heute wir“ und Du ihnen ohne Berührungsängste gegenüber tratest.
Das schaffe ich nicht, immer noch nicht.
Wir kennen uns jetzt, habe ich nachgerechnet, an die 35 Jahre, was eine lange Zeit ist, um vergleichen zu können. Wenn ich sie auf ihren Kern zurückführe, kommt dieses Destillat dabei heraus: Ich kenne niemanden, der die Dinge so unverblümt beim Namen nennt wie Du, niemanden, der Dir an Scharfzüngigkeit, Denkpenetranz und Formulierfähigkeit gleichkäme, niemanden, der seine Unabhängigkeit so kühn auslebt wie Du.
Und so sollst Du denn weiter machen, wie bisher, sollst Dein Messer und Deine Zunge wetzen, wie bisher, oder sogar noch schärfer. Nur eines - bitte versprich mir das! - sollst Du nicht werden: Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland!
Schalom, alter, lieber Freund, Schalom.