Das Gebiet rund um das stillgelegte Kernkraftwerk Tschernobyl soll nach dem Willen des frischgewählten ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj zu einer „offiziellen“ Touristenattraktion werden. Nach Angaben von „bbc.com“ unterzeichnete Selenskyj am Mittwoch eine Verordnung zur Schaffung neuer Wanderwege und zur Verbesserung des Mobilfunkempfangs in dem radioaktiv kontaminierten Gebiet. Außerdem habe der Präsident die Einschränkungen für Filmaufnahmen in der Sperrzone aufgehoben.
„Tschernobyl ist lange ein negativer Teil der Marke ‚Ukraine‘ gewesen. Es ist an der Zeit, das zu ändern“, zitiert bbc.com Selenskyj. „Wir werden einen ‚grünen Korridor‘ für Touristen schaffen. Tschernobyl ist ein einzigartiger Ort auf diesem Planeten. Die Natur ist dort nach einem riesigen menschengemachten Unglück wiedergeboren worden.“
Die Katastrophe von Tschernobyl, bei der am 26. April 1986 der Reaktor des Blocks 4 explodierte, gilt als bisher weltweit schwerster Unfall in einem Kernkraftwerk. Die Explosion kostete mindestens 31 Personen unmittelbar das Leben und kontaminierte rund 50.000 Quadratkilometer in Europa mit radioaktivem Material. In der Folgezeit verursachte die Radioaktivität Schilddrüsenkrebs bei rund 5000 Menschen. Die meisten konnten allerdings früh behandelt werden und überlebten. Ob weitere Menschen an den Spätfolgen der Katastrophe sterben werden, und wenn ja wie viele, ist in der Wissenschaft äußerst umstritten.
Die verbleibenden drei Reaktorblöcke in Tschernobyl gingen in den Jahren 1993, 1996 und 2000 vom Netz. Mit dem Absinken der Strahlenbelastung kamen vermehrt Touristen in die Sperrzone, zurzeit sind es einige Tausend im Jahr. Oft verlangen staatliche Ordnungshüter von ihnen Bestechungsgelder. Laut bbc.com will die ukrainische Regierung dieses Problem durch die Einführung eines elektronischen Ticketsystems eindämmen.
Diese Woche wurde auch die neue Schutzhülle für Reaktorblock 4, das sogenannte „New Safe Confinement“ (NSC), in Betrieb genommen. Das 275 Meter breite und 208 Meter hohe NSC ist erheblich größer als die bisherige provisorische Schutzhülle („Sarkophag“) und gilt als das größte mobile Bauwerk der Welt. Der Grundstein für das NSC wurde im April 2012 gelegt, im November 2016 wurde die Schutzhülle fertiggestellt und in ihre endgültige Position über dem zerstörten Reaktor verschoben. Aufgrund der hohen Strahlenbelastung verzögerte sich jedoch die Inbetriebnahme bis 2018.