Gastautor / 28.11.2023 / 14:00 / Foto: T.-D. Frey / 5 / Seite ausdrucken

„Tell the world we’re coming home“

Von Hannah Erlwein.

So groß die Freude über die Freilassung einiger Geiseln und Hoffnung auf weitere auch sein mögen, so sehr scheint das Abkommen, das Israel und die Hamas unter Vermittlung von Katar, Ägypten und den USA ausgehandelt haben, auf tönernen Füßen zu stehen. 

Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober, dem „Schwarzen Schabbat“, wie er von Israelis bezeichnet wird, hat sich das Stadtbild von Tel Aviv gewandelt. Der Ayalon Highway, die Hauptverkehrsader, die sich von Norden nach Süden durch die Stadt zieht, ist gesäumt von riesigen Transparenten und Plakaten. Wo früher Firmen für ihre Produkte warben, werden die Israelis nun auf Zusammenhalt eingeschworen. „Gemeinsam werden wir siegen“, heißt es da beispielsweise – unter einem Foto, auf dem ein Mädchen zu sehen ist, das eine wehende israelische Flagge trägt.

Als ich am vergangenen Samstag auf dem Weg zum traditionellen Schabbat-Mittagessen mit der Familie den Ayalon Highway entlangfuhr, stach mir ein neues, meterlanges Transparent in die Augen. Es verkündete in englischer Sprache: „Tell the world we’re coming home“ – „Sagt der Welt, dass wir heimkommen“. Das Transparent ist eines von vielen, die auf die Situation der am 7. Oktober von der Hamas nach Gaza verschleppten Geiseln aufmerksam machen. Auf älteren Transparenten sind die Gesichter der entführten Geiseln zu sehen, mit der nachdrücklichen Forderung „Bring them home now!“ – „Bringt sie jetzt wieder heim!“ Das neue Transparent bringt die Freude und Erleichterung, die hier überall unter den Israelis zu spüren ist, zum Ausdruck, dass endlich – nach gut 50 Tagen der Ungewissheit – die ersten Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas entlassen werden und nach Israel zurückkehren können. 

Doch so groß die Freude und Hoffnung auch sein mögen, die im Slogan „Tell the world we’re coming home“ zum Ausdruck gebracht werden, so sehr scheint das Abkommen, das Israel und die Hamas unter Vermittlung von Katar, Ägypten und den USA ausgehandelt haben, auf tönernen Füßen zu stehen. Es dauerte nur einen einzigen Tag, bis beide Seiten sich gegenseitig bezichtigten, gegen das Abkommen verstoßen zu haben. Die Hamas warf Israel vor, gegen „die Vereinbarungen bezüglich der Hilfstransporte in den Norden Gazas“ und „die ausgehandelten Richtlinien zur Freilassung von [palästinensischen] Gefangenen [aus israelischen Gefängnissen]“ verstoßen zu haben. Israel stritt diese Vorwürfe ab und drohte, „die Bodenoffensive weiterzuführen“, sollte die Hamas sich nicht an das Abkommen halten. Erst in den späten Abendstunden des Samstags ließ die Hamas dann die zweite Gruppe von Geiseln frei. 

Geiseln nach Hause bringen oder Hamas zerschlagen?

Ein solches fragiles Abkommen hinterlässt bei vielen Israelis einen bitteren Nachgeschmack. Israel ist gefangen zwischen dem Wunsch und dem Drängen der Öffentlichkeit, alles dafür zu tun, dass die Geiseln unbeschadet nach Hause zurückkehren, und dem erklärten Ziel, die Hamas ein für allemal zu vernichten. Doch beide Ziele stehen sich entgegen: Die Hamas weiß, dass sie genau das in ihrer Gewalt hat, was Israel unbedingt will – die Geiseln – und dass Israel auf Verhandlungen mit der Hamas angewiesen ist. Dass der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant in dieser Situation die Machtposition Israels betont und erklärte „Unsere Fähigkeit, die erste Gruppe von Geiseln heimzubringen, speist sich aus dem Druck, den das Militär [auf Hamas] ausübt. … Wenn man den Druck auf sie noch mehr erhöht, machen sie ein Angebot, und wenn man dann den Druck weiter erhöht und sie mit einem Angebot kommen, das angenommen werden kann, dann ist das unser ganzes Vorgehen“, ist vermutlich nicht verwunderlich, aber es stellt sich durchaus die Frage, wer letztendlich am längeren Hebel sitzt.         

Die Frage, wie diese Situation einzuschätzen ist, stellen sich auch viele Israelis – und kommen zu keiner Übereinstimmung. Beim Schabbat-Mittagessen meiner Familie schieden sich die Geister ebenfalls bei dieser Frage. Ein Teil der Familie atmete erleichtert auf, dass dies nun der Anfang der Rückkehr der Geiseln sei – und sobald sie alle gerettet worden seien, würde die israelische Armee der Hamas das Ende bereiten, das sie angekündigt hat. Ein anderer Teil der Familie kann diesen Optimismus nicht teilen und blickt mit Sorge in die Zukunft.

Wie der Fall des israelischen Soldaten Gilad Shalit zeigt, der 2006 von der Hamas verschleppt wurde und erst nach sechs Jahren und im Austausch für 1.027 palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen freigelassen wurde – darunter Yahya Sinwar, der aktuelle Führer der Hamas –, bestehe die Gefahr, dass die Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln vom 7. Oktober sich über Monate oder gar Jahre hinziehen werden. Es werde sich nach und nach ein Status quo einpendeln, in dem Israel weder alle seine Geiseln zurückbekommt noch sein Ziel der Vernichtung der Hamas verwirklichen kann. Und die Hamas werde ihr Ziel erreicht haben: Israel wurde schwer verwundet am 7. Oktober, unter den Augen all derjenigen, die nur allzu gerne zu Israels weiterer Schwächung beitragen würden – und die Hamas bleibt an der Macht in Gaza.   

 

Hannah Erlwein ist promovierte Islamwissenschaftlerin und lebt seit einem Jahr mit ihrem israelischen Mann in Tel Aviv.

Foto: T.D.Frey

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S. Marek / 28.11.2023

Sorry, Sam Lowry, Sie gehören auch zu den Naivlingen.  Wo leben Sie den man, heben Sie bis heute nicht nicht gesehen wie die westlichen Länder, ihre Politiker, Medien und die Masse der Muslime inklusive der nützlichen Idioten aus dem Linken und extrem Linken Specktrum auf den genozidalen Einfall der bestialischen faschistoiden Barbaren auf den Süden Israels zu Gazas Grenze veranstaltet haben, und all jene genannten nach dem diese ihre “Fassung” wieder gefunden haben seit dem wie gewöhnt wieder verlautbaren ?! Die wollen keine s.g. erfundenen “palästinenser” irgend wo abschieben, wohin auch, die wollen jetzt sogar die “armen Zivilisten” selbst aufnehmen um den “humanitären” druck zu lindern. Schnell waren PM’s und AM’s mit dem Scheckbuch in Israel um Wiederaufbauhilfen für Gaza nach dem “Krieg” anzuschieben.  Um die Lage der Juden im Israel die den Massaker überlebt haben und jetzt aus den Grenzregionen evakuiert werden mußten schert sich kein Schwein. Außer dem der gerade nach Israel kam, jetzt keine Kränze am Arafats Mausoleum ablegte, aber paar Euro Millionen Israel versprach. Muß schlechtes Gewissen haben.  Israels Regierung hat zu lange gebraucht um sich wieder dem Bösen entgegen zu stellen. Drei tage max. hätten reichen müssen,  um danach mit Flächenbombardements zu beginnen, und ALLE Objekte aus denen Geschossen wurde oder diese als Waffenlager und Kommandostationen dienen, d.h.  Zivile Häuser, Kindergarten und Schulen, Krankenhäuser. Moscheen, UN UNRWA Objekte usw., die dadurch nach internationalem Kriegsrecht zu militärischen Objekten und dadurch Zielen wurden, unbarmherzig zerstören !  Die Mobilisierung, Aufstellung des Kriegskabinetts und alles andre das damit zusammengehört hätte man in parallel dazu machen sollen.  Jetzt ist es Geschichte, die “Alliierten” und Internationale “Freunde” haben wie immer Druck auf Israel, nicht auf die Barbaren, aufgebaut,Verhandlungen und “DEALS” gefordert und vor allem “Feuerpausen” um Vernichtung des Bösen zu stoppen !

Rainer Niersberger / 28.11.2023

@Lowry :  Unterstellt, bei Hamas und den Palästinenser wuerde es sich um unterschiedliche Entitaeten handeln, die miteinander nicht viel zu tun haben und das auch nicht wollen, das westliche Märchen, ginge es um die Frage, was zu tun ist, auf dass die Palästinenser die Hamas loswerden. Ein kollektiver, geschlossener und schmerzhafter Druck des “Westens” auf die Palaestinenser koennte dabei helfen, die Bevölkerung entsprechend zu motivieren, sich gegen die Hamas zu erheben. Soweit die Theorie. In der Realitaet fehlt es an Allem. Hamas = Palästinenser, die Machthaber des Westens sind offen propalaestinensisch bzw antisemitisch unterwegs, kollektiv oder geschlossen geht da ohnehin nichts, wobei der “Wertewesten” ohnehin nicht dazu neigt, Druck auszuueben, wenn ueberhaupt nur auf weisse Indigene.  Seitens des Westens ist fuer Israel nichts zu erwarten.  Das werden die Israelis auch wissen. Dass der ” Verhandlungserfolg” der Hamas in die Karten spielt und eher noch mehr Opfer fordert, ist klar.  Den Israelis wird nichts anderes übrig bleiben, das naturgemaess weiter steigende Risiko bzw die Bedrohung durch die Hamas durch eine sehr aufwaendige Kontrolle der Palästinenser zu minimieren und proaktiv zuzuschlagen, wenn sie ihre Todfeinde identifizieren koennen und die Gelegenheit zum Vernichtungsschlag erhalten. Sie muessen einen permanenten und massiven Druck auf Hamas und ihre Waehler ausüben, wenn sie Wiederholungen vermeiden wollen.  Das Problem der regen Produktion weiterer “Gotteskrieger” in diesem Gebiet waere allenfalls geschlossen international zu loesen, was aber nicht gewollt ist.  Das erwuenschte Pulverfass wird eines bleiben. Es geht nur um den praeventiven und gründlichen Erstschlag.

jan blank / 28.11.2023

Das Essen kann einem hoch kommen, nicht nur bei bei der Schilderung dessen, was so vornehm unter “asymetrischer Kriegsführung” bezeichnet wird, Wenn ich dann noch gewahre,  wie hier im Land offen die Ermordung von Menschen gefeiert wird und die hiesige Politik daraufhin Israel um Humanismus und Mäßigung anbarmt, dann ist für mich Schluss mit diplomatischen Petitessen.. Man will es hier einfach nicht begreifen. Israel und die Hamas sind nur ein pars pro toto. Der Islam stellt ganz offen und unverblümt die Frage : Die oder wir? So etwas bekommt man mit labbriger Indifferenz, genannt “feministische Außenpolitik” nicht beantwortet. Eher mit der U.S.S. Gerald Ford. Die Geschichte weiß, dass die pazifische Nachkriegsordnung erst durch “Little boy” eingeläutet wurde. Es scheint, als würden die Klerikalfaschisten in Riad , Teheran und anderswo um Nachhilfe regelrecht betteln.  Und wenn wir diese dauerhaft verweigern, werden die diese umso dringlicher einfordern, jede Wette….

Marcel Seiler / 28.11.2023

Ich schätze, dass die Nachgiebigkeit der israelischen Regierung in dieser Frage auf mittlere und lange Sicht erheblich mehr Menschenleben kosten wird, als jetzt durch die Geiselfreilassung durch Hamas gerettet werden. Um mit dem Islam, der im Kampf gegen die verachteten “Ungläubigen” keinerlei humanitäre Standards kennt, fertig zu werden, muss auch der zivilisierte Westen einen Teil seiner wünschenswerten humanitären Standards verletzen. – Die Multi-Kulti-Gutmenschen hatten sich das irgendwie anders vorgestellt, diese Naivlinge.

Sam Lowry / 28.11.2023

Solange auch nur eine Geisel in den Händen der Hamas ist, sollten alle Länder, in denen “Palästinenser” leben, täglich x Palästinenser abschieben. Darunter auch Deutschland. Schnell würde die Hamas die Rückendeckung verlieren… glaube ich.

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