Ich will mich nicht beschweren. Eigentlich. Das Internet funktioniert, das W-Lan funktioniert und die Heizung funktioniert. Wir haben das schon behaglich, der Schatz und ich. Aber irgendwie ist es trotzdem… doof. Es ist ein Samstagmorgen, der Schatz hockt in orangefarbener Jogging-Hose und braunem T-Shirt und ich in der schwarz-grau karierten Schlafanzughose und meinem „Napoleon“-Hoodie am Frühstückstisch, den wir günstigerweise ins Wohnzimmer verlegt haben, um die letzte Staffel „Vikings“ zu gucken.
„Ivar der Knochenlose hat sich ganz schön geändert“, bemerkt der Schatz. „Nur weil er keine Macht mehr hat. Der ist der gleiche manipulative und sadistische Arsch wie eh und je. Gib ihm eine Krone und er tickt wieder aus“, erwidere ich. Schweigen und Starren auf den Bildschirm. „Ich würde gerne mal wieder nach Schweden“, sagt der Schatz ziemlich unvermittelt. „Geht nicht. Wegen Corona. Außerdem ist das da Norwegen“, kläre ich geographisch korrekt auf. „Norwegen ist was für Wohnmobilfreaks“, stellt der Schatz fest. Schweigen.
„Wir könnten uns heute Abend was vom Serbokroaten bestellen“, schlage ich vor, während sich auf dem Bildschirm Wikinger und Russen Saures geben. „Nicht schon wieder“, sagt der Schatz. Auf dem Bildschirm hält Ivar der Sinnlose einen längeren, nichtsdestotrotz völlig uninteressanten Monolog. „Ich würde gerne mal wieder essen gehen“, klärt mich der Schatz auf und ich sage: „Ich auch. Aber alles hat zu.“ Die Katze läuft quer durchs Wohnzimmer. „Und wenn wir die Kinder in die Sklaverei verkaufen?“, frage ich vorsichtig an. „Sklavenmärkte haben auch geschlossen…“, stellt der Schatz mit einem seufzenden Anflug von Trauer fest. „Wir könnten Sex haben“, schlägt er als Alternative zum Kinderverkauf vor. „Gern, aber mit wem?“, frage ich zurück. „Hmm“, brummt der Schatz, „alles hat zu.“
„Haben wir alleinstehende Feinde, die wir einladen können?“
Björn Eisenseite wird tot und aufrecht sitzend, das Schwert erhoben in der rechten Hand, auf seinem toten und aufrecht stehenden Pferd in einer Art „Björn Eisenseite – Mausoleum, Museum und Shop (Mo–Fr 10.00 bis 17.00 Uhr, Kinder und Senioren halbe Preise)“ beerdigt. „Konnten was, die Wikinger. Da können sich die Ägypter eine Scheibe von Björns Balsamierern abschneiden. Gunther von Hagens von den ,Körperwelten‘ auch, die Stümper“, stelle ich fest. „Warte noch drei Folgen, dann fängt er zu verwesen an“, tröstet mich der Schatz. Um dann unvermittelt vorzuschlagen: „Wir könnten ja mal nach Frankfurt, ins Museum oder auf die Zeil…“ „Könnten wir – wenn Museen und die Geschäfte auf der Zeil offen hätten. Wenn du bei Dreckwetter durch eine tote Fußgängerzone waten willst, dann tut es auch Aschaffenburg“, schlage ich nach.
Die frisch verwitweten Frouwens von Björn Meisenkaiser wollten sich eigentlich einen Bitch-Fight um die Königswürde in Skagerrak (oder wie diese armselige Ansammlung erbärmlicher Strohhäuser heißt) liefern, aber König Harald Schönhaar macht die Wahl rückgängig und kürt sich selbst zum Chef von Holzhüttenhausen und der Schatz meint, wir könnten doch mal Freunde einladen. „Haben wir denn noch welche?“, erkundige ich mich. „Ein paar sind es noch“, konstatiert der Schatz ungenau. „Wir können aber nur EINEN Freund einladen, so steht‘s in den Lockdown-Vorschriften“, erkläre ich, „wer ist denn Single?“ „Die, die mir in den Sinn kommen, sind alle Pärchen“, sagt der Schatz nach kurzem Nachdenken. „Und Feinde? Haben wir alleinstehende Feinde, die wir einladen können?“, versuche ich einen Ausweg. „Alleinstehende Feinde? Keine Ahnung!“, sagt der Schatz und kratzt sich an der Nase. „Sonst geht auch das nicht, dann ist das auch verboten“, stelle ich fest. Der Schatz seufzt.
Angefressen wie das Katzenfutter
Auf dem knackfrisch von Wikingern besiedelten Grönland ist ein Wal gestrandet. Der ungepflegte Hippie, auf dessen Claim der sympathische tote Säuger liegt, will ihn nicht mit den anderen Aussteigern teilen und teilt stattdessen gegen die anderen Aussteiger aus. Die flüchten auf ihr Langboot und fahren weiter. In der Aufregung vergessen sie aber leider, Essen und Getränke mitzunehmen. Doof. „Eine Kreuzfahrt wäre mal toll“, fällt mir dazu ein. „Geht nicht. Lockdown“, sagt der Schatz und fügt listig hinzu: „Wusstest du, dass der Wal das kleinste Säugetier der Welt sein könnte, wenn er nicht so groß wäre?“ „Sie könnten ja den Wal rückgängig machen“, merke ich dazu an. Die Katze, anscheinend inspiriert von dem Pseudo-Fisch auf dem Bildschirm, versucht, in die Schale mit dem Knabberzeug zu greifen, die der Erdbeermarmelade Platz gemacht hat. Ich verscheuche sie mit einem kurzen Schrei. „Hast du daraus gegessen?“, fragt mich der Schatz. „Ja.“ „Und? Wie hat‘s geschmeckt?“ „Irgendwie eklig. Was ist das für ein Zeug? Vom Asia-Shop?“, will ich wissen. „Katzenfutter“, gibt der Schatz trocken zurück. Dann kichert er. „Reingelegt“, sagt er, der Schatzkeks.
„Den Kasper, den Du gefrühstückt hast, habe ich gar nicht gesehen“, gebe ich giftig zurück und hänge ein „Dir ist echt langweilig, kann das sein?“ hintendran. „Pfft“, antwortet die Herzdame. „Wir könnten ja ein Wissensquiz machen?“, schlage ich vor. „Welchen Namen trug Guderians Plan zur Eroberung Frankreichs?“ „Mir egal.“ „Ha, jetzt habe ich DICH reingelegt, es war Manstein, der den Sichelschnittplan entworfen hat“, stelle ich nicht ganz ohne Stolz fest.
„Depp“, sagt der Schatz ebenso angefressen wie das Katzenfutter, „noch spezifischer geht’s ja wohl nicht.“ Doch, geht schon. Aber ich wollte es eben einfach machen. „Du bist dran“, gebe ich die Fackel weiter. „Warum hast Du den Müll nicht runtergebracht?“, fragt der Schatz. „Das ist keine Wissensfrage!“, protestiere ich, während in Kittekat Ivar der Arbeitslose und sein flaumbärtiger Bruder Dreggsagg beratschlagen, welche Bewohner des Planeten sie als Nächstes abmurksen und niedermetzeln könnten. „Doch, ich will das wissen“, wehrt sich der Schatz. „Die Mülltonne hat zu, Lockdown“, versuche ich mein Glück. „Sehr witzig. Soll ICH das mal wieder machen, damit der Empereur de France sich nicht von der Chaiselongue bequemen muss?“, stellt der Schatz jetzt streitlustig ein zweite Wissensfangfrage. „Nein, ich trag ihn runter“, weiche ich einer Diskussion aus und stehe auf. „Wo gehst Du hin?“, will der Schatz wissen. „Ich bringe den Müll runter und erhänge mich dann“, antworte ich. „Warte auf mich, ich gehe mit“, sagt der Schatz.
Wir lieben uns. Wirklich. Hoffentlich ist der Lockdown bald vorbei.
(Weitere spannende und sehr aufregende Geschichten des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.