Wie wir inzwischen wissen, kommt es kein bißchen darauf an, was Frank-Walter Steinmeier sagt oder nicht sagt, weil die Weltgeschichte ganz und gar ohne den deutschen Außenminister läuft. Er hat mit seinem Verbaloutput noch keinen Krieg beendet, kein Massaker verhindert, keine Krise entschärft, und selbst die Hoffnung, daß seine narkotisierende Redeweise wenigstens lähmend auf das Böse wirkt, hat sich nur selten erfüllt.
Sich mit seinem neuesten in der FAZ veröffentlichten Text zu beschäftigen, ist nur deshalb interessant, weil er symptomatisch ist für das forcierte Nichtverstehen, das viele Politiker und Medienleute angesichts der um sich greifenden Volkswut pflegen. Steinmeier sieht nämlich eine „tödliche Gefahr für unser politisches Gemeinwesen“ darin, daß in der Öffentlichkeit „eine immer aggressivere Abneigung gegen Fakten zu beobachten“ sei. Als Grund dafür, daß angeblich „‘gefühlte Wahrheiten‘ an die Stelle von überprüften Fakten“ treten, nennt Steinmeier die „Komplexität unserer vernetzten Welt“. Die digitale Revolution erzeuge einen „nicht enden wollenden Schwall von Informationen“: „Darauf sind wir weder intellektuell noch kulturell vorbereitet.“
Man könnte die Wahrheit nicht totaler verdrehen, als in diesen wenigen Zeilen. Wer, wenn nicht unsere Regierung und ihre journalistischen Lautsprecher, hat denn durch hartnäckiges Leugnen von Fakten unser politisches Gemeinwesen so in Gefahr gebracht, daß jetzt in der Öffentlichkeit eine immer aggressivere Abneigung nicht gegen Fakten, sondern gegen die staatliche Lügenverwaltung zu beobachten ist? Wer versucht denn seit Jahren, mit „gefühlten Wahrheiten“ Politik zu machen? Wer redet denn unliebsame Statistiken nicht nur beständig klein, sondern läßt sie auch per Dienstanweisung aus der Machtzentrale kaltblütig frisieren?
Eine demokratische Gegenöffentlichkeit als Ärgernis
Von Eurorettungsschirmen über Klimaprognosen und Energiepreiswenden bis hin zu Flüchtlingsfluten wurden und werden doch andauernd geschminkte Fakten offiziell so präsentiert und publiziert, daß nur dank der digitalen Revolution und der dadurch möglich gewordenen Jedermannsvernetzung auch unterdrückte Informationen Verbreitung finden. Dadurch entsteht freilich keine „Komplexität“, die „wir weder intellektuell noch kulturell“ verkraften könnten, sondern eine demokratische Gegenöffentlichkeit, an der den Linken doch einst, als sie noch nicht in die Institutionen einmarschiert waren, so sehr gelegen war.
Jetzt sind ihnen die alternativen Informationsdienste ein Ärgernis, weil sie sich nicht von oben regulieren lassen; jetzt werden die alternativen Nachrichten als „nicht enden wollender Schwall“ denunziert. In der Tat gibt es einen nicht enden wollenden Schwall von Informationsskandalen: jede einzelne Angabe, die unsere Regierung zum Transfer von Euromilliarden im Währungsverbund gemacht hat, erwies sich wenig später als falsch; das Wind- und Sonnenabenteuer bei der Energieerzeugung sprengt jeden versprochenen finanziellen Rahmen, und nichts von dem, was über den Zustrom arabischer und afrikanischer Unbekannter gesagt wurde, stimmte – weder in Bezug auf die Kosten, noch auf die Gefahren, noch auf die Integrierbarkeit. Wir erleben nur, daß wir auf zunehmend ruppige Art von Fremden vorgeschrieben bekommen, wie wir hierzulande zu leben haben. Das ist eine gefühlte Wahrheit, und weil sie jeder selber fühlen kann, ist sie stärker als das Geschwalle von Steinmeier & Co.
Steinmeiers Beitrag erscheint in der Samstagausgabe der FAZ