Rainer Bonhorst / 30.10.2019 / 16:00 / 27 / Seite ausdrucken

So Flasche leer kann doch kein ausgewachsener Politiker sein

Für einen notorischen Humoristen, der sich bei passender Gelegenheit auch mal an den Rand des Zynismus heran wagt, sind die Thüringer Landtagswahlen, ihr Ausgang und ihre Folgen, ein Geschenk. Befänden wir uns nicht im heidnischen Osten, würde ich sogar von einem Gottesgeschenk sprechen. Ich möchte das Thema in drei heiteren Teilen behandeln: zwei kurze Realsatiren, gefolgt von einer politisch-philosophischen Betrachtung.

Satire Nummer eins: Bodo Ramelow, Ministerpräsident und Chef der „Linken“, früher PDS, davor SED, hat gleich nach der Wahl klargestellt, dass er „nur mit demokratischen Parteien“ zusammenarbeiten werde. Das nenne ich Chuzpe. Allerdings hat er damit die Frage aufgeworfen, ob er denn mit sich selber zusammenarbeiten kann. Eine, wie ich finde, wunderbare Denksportaufgabe.

Satire Nummer zwei: Bei der Thüringer CDU wird ernsthaft darüber nachgedacht, ob sie als Juniorpartner in eine Koalition mit Ramelows SED-Nachfolgeorganisation eintritt. Auch das finde ich köstlich und als Unterhaltungselement brandneu. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeiner unserer Komiker-Stars bisher ausreichend Phantasie hatte, sich Bodo und Mike (Mohring) als politisches Liebespaar auszudenken und einem größeren Publikum zum Kaputtlachen anzubieten.

Eine vom gemeinen Volke befreite Elite-Organisation

Soweit die beiden kurzen realsatirischen Bemerkungen. Nun zum philosophischen Teil. Es gilt der Frage, wie es passieren konnte, dass die beiden „Volksparteien“ CDU und SPD gemeinsam nicht mehr als 30 Prozent der Wähler erreicht haben. Kann das ein Versehen sein? Eine unfreiwillige Entwicklung? Ein Trend, dem die beiden ehemals Großen machtlos gegenüberstehen? Das kann ich mir nicht vorstellen. So Flasche leer kann doch kein ausgewachsener Politiker sein.

Meine Vermutung: Dahinter steckt eine Strategie. Bisher hat es mir zwar noch niemand bestätigt, aber ich habe den Verdacht, dass es sich hier um eine neue Form der politischen Eliten-Bildung handelt. Die Volksparteien setzen sich ganz bewusst strategisch vom Volk ab, um als kleine, aber feine Elite ein neues, edleres Leben führen zu können.

Die SPD ist auf diesem Weg schon weit gekommen. Wer, wie (nicht nur) in Thüringen, deutlich weniger als zehn Prozent des Volks anspricht, hat im Grunde die Position einer vom gemeinen Volke befreiten Elite-Organisation schon erreicht. Die CDU ist mit ihren knapp 22 Prozent auf einem guten Weg in die Exklusivität, hat aber noch einige Arbeit vor sich. Vielversprechend ist allerdings der Verlust von elf Prozent. Er zeigt, dass die Geschwindigkeit, mit der man sich vom ordinären Wähler verabschiedet, eindrucksvoll ist.

Hätte man es ahnen können? Ja, hätte man.

Bundesweit sieht die Lage – zugegeben – noch etwas anders aus. Die Sozialdemokraten sind zwar auch hier auf dem besten Weg in die Exklusivität, die eine Elite nun mal für sich beanspruchen kann. Bei der Union hapert es da noch. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Bayern dem Norden mal wieder die Tour vermasseln. Wäre die CSU nicht noch vergleichsweise volksnah, was sich eben auch in Zahlen ausdrückt, so wären die Unionsparteien schon ein gutes Stück weiter in Richtung Exklusivität. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Das lästige Problem, das dieser strategische Aufstieg in die einsame Elite nach sich zieht, heißt natürlich AfD. Dass sich die Alternative mit ihrer populistischen Masche einfach die Leute grabscht, die die neuen Partei-Eliten hinter sich lassen, ist eine ungewollte und unschöne Folge der Exklusivitäts-Strategie. Hätte man es ahnen können? Ja, hätte man. Aber jetzt hat man den Salat. Er besteht darin, dass die AfD in Thüringen mehr Stimmen geholt hat als die CDU. 

So bitter ist der Preis der Exklusivität. Das Volk, von dem man nichts mehr wissen will, wendet sich ab und einer neuen Liebe zu. Notfalls sogar einer weniger Schönen. Was tun? Die CDU kann sich immerhin damit trösten, dass sie die netteren Wählerstimmen bekommen hat. Für die SPD fällt mir kein Trost ein. 

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Eleonore Weider / 30.10.2019

Bei Jürgen Fritz war dieser interessante Beitrag zu lesen: Bei der Landtagswahl in Sachsen landete die CDU auf Platz eins, in Brandenburg die SPD, in Thüringen Die Linke (SED), also jedes Mal eine andere Partei. Auf Platz zwei war aber immer die gleiche: die AfD. Fassen wir nun alle drei Ergebnisse zusammen, ergibt sich ein klares Bild: Im Osten des Landes ist die AfD bereits die stärkste politische Kraft. Insgesamt wurden 4.539.593 gültige Listen- bzw. Zweitstimmen abgegeben (ungültig waren jeweils 1,02 bis 1,24 Prozent der abgegebenen Listenstimmen). Diese verteilten sich wie folgt auf die einzelnen Parteien: AfD: 1.152.318 = 25,4 %, CDU: 1.133.586 = 25,0 %,  LINKE: 703.719 = 15,5 %, SPD: 589.602 = 13,0 %, GRÜNE: 380.657 = 8,4 %, FDP: 204.451 = 4,5 %, Sonstige (inkl. Freie Wähler): 375.260 = 8,2 % - Die einfachste, plausibelste und zugleich schlüssigste Erklärung scheint diese zu sein: Es hat sich so etwas wie ein riesiger Block gegen die AfD gebildet. Die meisten der anderen fünf Fraktionen sind bereit, mit fast allen anderen innerhalb dieses Blocks zusammenzuarbeiten, meist sogar zu koalieren. Noch vor wenigen Jahren wäre das absolut undenkbar gewesen! Denken Sie nur an die frühere Rote Socken-Kampagne der Union gegen die Linkspartei. Insgesamt aber ist die AfD im Osten tatsächlich bereits die Nr. 1, bei den Wählern unter 60 übrigens mit klarem Abstand. Doch so leer sind die Flaschen jetzt schon.

Frank Stricker / 30.10.2019

Wenn man ein so katastrophales Wahlergebnis wie Herr Mohring eingefahren hat , dann tritt man von selbst zurück, das wäre absolut notwendiger Anstand. Und was macht Herr Mohring ? Er biedert sich noch in der Wahlnacht den Nachfolgern der Mauerschützen gleich als Juniorpartner an, das ist so schräg , das kann man sich gar nicht ausdenken !

Robert Schleif / 30.10.2019

Ob dieses neue Elitenleben wirklich sooo schrecklich exklusiv ist, wenn sich die auf drei überalterte Jünglinge geschrumpfte Ortsgruppe der SPD in einer hässlichen Stammkneipe – in den Regalen Billig-Pokale, Dortmund-Fußballschals und Fotos vom 2017er Treffen mit Martin Schulz – zum Kartenspielen trifft? Und nicht mal einen Ersatzmann findet, falls einer krank ist oder von seiner Mutti, bei der er mit 45 Jahren immer noch lebt, wegen einer geringen Verfehlung Stubenarrest bekommen hat?

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