Vera Lengsfeld / 19.05.2009 / 14:46 / 0 / Seite ausdrucken

Sind 60 Jahre BRD für DDR-Bürger ein Grund zum Feiern?

Unbedingt! Ohne die Gründung der Bundesrepublik hätte es keine Vereinigung in Freiheit gegeben. Hinter diesem platten Satz steckt die ganze Dramatik der deutschen Teilung-, und Vereinigungsgeschichte. Erinnern wir uns an die Ausgangslage: Deutschland lag nach einem verbrecherischen Krieg am Boden, hatte ein Viertel seines Territoriums verloren und war in vier Zonen geteilt. Es gab die unterschiedlichsten Pläne, was mit dem besiegten Land geschehen solle. Einer davon war Stalins Absicht, ganz Deutschland unter seine Kontrolle zu bringen. Die Gründung der Bundesrepublik schob seinen Plänen einen Riegel vor. Dank alliierter Reeducation wurden die Westdeutschen zu Demokraten erzogen, sie bekamen ein Grundgesetz, das sich auch in den schwierigen Zeiten, die kommen sollten, bewährte. Darüber hinaus war es der Entschlossenheit zweier Politiker zu verdanken, dass die Bundesrepublik nicht nur reüssierte, sondern zu einem attraktiven Modell für die Ostdeutschen wurde. Konrad Adenauer, der für eine stabile Westbindung des jungen Staates sorgte und Ludwig Ehrhard, dessen konsequente Förderung der Marktwirtschaft das Wirtschaftswunder hervorbrachte, von dem das vereinte Deutschland auch heute noch zehrt. Diese Trias, Demokratie, Freiheit, Wohlstand machte die Bundesrepublik zum Favoriten für alle Deutschen. Solange die Grenzen noch offen waren, stimmten hunderttausende Ostdeutsche mit den Füßen ab. Sie ließen mit ihrer Flucht in die Bundesrepublik keinen Zweifel daran, welches Gesellschaftsmodell das Attrakivere sei. Nach der Schließung der Grenzen wurde das westliche Deutschland zum Land der Träume. Allabendlich trat die Mehrheit der Bevölkerung per Bildschirm die Flucht in den Westen an.  Über das Fernsehen kam nicht nur Unterhaltung und Werbung, sondern auch Anschauungsunterricht in Sachen Demokratie. Westdeutsche Politiker waren in der DDR zum Teil bekannter, als zu hause. Der Kontakt nach Westdeutschland war für die DDR-Bürger eine Verbindung mit der Welt. Dass die Menschen in der DDR nie so abgeschnitten waren, wie die meisten anderen Bewohner des Ostblocks, verdanken sie ihren Verwandten und Bekannten in anderen Teil Deutschlands. Sogar ein Teil des westlichen Wohlstandes schwappte in Form von Paketen und anderen Zuwendungen über die Grenze. Nicht nur die einzelnen Menschen, auch der Staat profitierte vom Klassenfeind: durch Handelsprivilegien wie zollfreien Binnenhandel und stille EG-Mitgliedschaft, durch Transferleistungen oder Milliardenkredite. All das verschaffte den DDR-Bürgern ein im Ostblock viel beneidetes höheres Lebensniveau. Nicht zuletzt hat der Bürgerrechtsbewegung der DDR, die sich in den 80er Jahren in den Räumen der Evangelischen Kirche entwickelte, die Nähe zur Bundesrepublik profitiert. Es kamen nicht nur Politiker über die Grenze, wie die unvergessenen Grüne Petra Kelly, die ihre Immunität als Bundestagsabgeordnete nutzte, um Literatur und Vervielfältigungsgerät in die DDR zu schmuggeln. Sie sorgten auch für einen gewissen Schutz der Opposition, indem sie die freie Presse alarmierten, wenn ein Bürgerrechtler verhaftet wurde. Es gab regen geistigen Austausch über die Grenze hinweg. Beliebtes Mitbringsel war das Grundgesetz, das von den Oppositionellen in der DDR viel intensiver gelesen wurde, als von manchem Westdeutschen. Im Spätherbst 1989 wurde es offensichtlich, was die Mehrheit der DDR-Bevölkerung wollte: die schnelle Vereinigung ohne wenn und aber mit der Bundesrepublik. Weder ein Demokratisierung der DDR, noch ein „Dritter Weg“ wurden gewünscht. Die Montagsdemonstrationen, die mit dem Bügerrechtler- Slogan „Wir sind das Volk“, begannen, wurden bald von dem Ruf: „Wir sind ein Volk“ dominiert. Die erste und letzte frei gewählte Volkskammer der DDR hatte nur eine Aufgabe in den Augen der Demonstranten, die weiter die Straßen und besonders den Marx-Engels-Platz vor dem Palast der Republik bevölkerten: auf eine schnelle Vereinigung hinzuwirken. Kaum jemals in der Geschichte hat es eine solche Dynamik gegeben, die von gänzlich unorganisierten Volksmassen ausging. Für mehr als ein Jahr wurde die Geschichte nicht von Politikern gemacht, sondern von den Menschen bestimmt, die ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen hatte und seine Vorstellungen durchsetzte. Für ein paar Wochen waren die Deutschen das glücklichste Volk der Erde. Die Ostdeutschen, weil sie bekamen, was sie wollten, die Westdeutschen, weil sie sich an dem Glück ihrer Landsleute freuten. Aber die Deutschen wären nicht die Deutschen, wenn sie nicht sehr bald jede Menge Wasser in den Wein der Wiedervereinigung gekippt hätten. Die ehemaligen Machthaber der DDR versuchten erfolgreich, sich aus der Verantwortung zu stehlen, indem sie jede Kritik an ihrer Machtausübung als einen Angriff auf ostdeutsche Biografien umdeuteten und damit die Atmosphäre vergifteten. Sekundiert wurde ihnen von westdeutschen Vereinigungsgegnern, für die der SED-Staat immer das bessere Deutschland gewesen war, schon weil sie ihn selbst nicht ertragen mussten. Eine Dauerpolemik gegen die Vereinigung begann. Bürger „zweiter Klasse“ sollten die Ostdeutschen sein, weil sie nicht sofort dieselben Bezüge hatten, wie die Westdeutschen. Kampfbegriffe wie „Kolonialisierung“, „Abbau Ost“, „DDR-Identität“ beherrschten das publizistische Schlachtfeld. „Wo sind sie denn, die blühenden Landschaften“, wurde immer mal wieder polemisch gefragt. Nun, wer sich die Mühe macht und die Neuen Länder bereist, kann sie überall besichtigen. Es ist , als hätte man ein Schatzkästlein aufgetan, das lange verstaubt und unansehnlich in der Ecke stand. Städte und Dörfer erstrahlen im neuen Glanz, die Wunden , die von den totalitären Diktaturen in der Bausubstanz hinterlassen wurden, sind fast verschwunden. Bezahlt hat das übrigens fast vollständig der westdeutsche Steuerzahler. Schon das ist ein Grund zum feiern. Und noch mehr Grund, danke zu sagen. Den Rest kriegen wir auch noch hin, trotz aller Nörgelei von einigen Ewiggestrigen.

Erschienen heute in der FTD

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