Silvia Meixner / 10.09.2014 / 18:05 / 0 / Seite ausdrucken

Silvis Culture Club (69): S.O.S. von der Alm: Hilfe, die Araber kommen!

Dieser Ort ist tosend. Millionen Touristen haben im Lauf der Jahrhunderte fasziniert an der kleinen Brücke gestanden und die Kraft des berühmten Wasserfalls gespürt, der durch Bad Gastein rauscht. Bad Gastein war einst das „Monte Carlo der Alpen“, die Liste der berühmten Badegäste, die das Wasser der weltberühmten Thermalquellen genossen, ist lang: Kaiser Franz Josef I., Kaiserin Elisabeth, Kaiser Wilhelm I., Fürst Bismarck, Grillparzer, Schubert, Schopenhauer, Wilhelm von Humboldt besuchten im 19. Jahrhundert Bad Gastein und empfahlen es ihren Freunden weiter.

Kaum ein Gast kommt heute noch, um drei oder vier Wochen die Schönheit der Natur zu genießen. Früher, da residierten Maharadschas, Könige, Künstler, Industrielle in den Grandhotels des zauberhaft schönen Ortes im Salzburger Land in Österreich. Man verreiste damals natürlich nicht für ein Wochenende, man hätte das für eine absurde Idee gehalten. Wer mit der Kutsche oder mit dem Zug anreiste, war lange unterwegs und er kam, weil er Erholung suchte, er wanderte mit Ehegattin oder mit dem Sekretär oder dem Hofrat und machte eine große Kur.

Heute gibt es Minikuren, die vier Tage dauern. Wer schlau ist, kommt zur Vorbeugung, wer krank ist, hofft auf die heilende Wirkung des Radon, jenem Zauberstoff, der hier in Stollen und in der Luft liegt und darauf wartet, von Kranken aufgesogen zu werden, heute wir vor 200 Jahren. Die Natur tut ihr übriges dazu und heilt mit atemberaubenden Panoramen, Bad Gastein liegt im Nationalpark Hohe Tauern.

Wolfgang Amadeus Mozart erholte sich in Bad Gastein genau so gern wie sein Komponistenkollege Giacomo Mayerbeer, der Wiener Walzerkönig Johann Strauß erfreue sich an der Schönheit der Natur genau so verzückt wie Robert und Clara Schumann und der berühmte Dirigent Arturo Toscanini. Und natürlich kamen auch die Künstler, um sich zu erholen- und um internationale Kontakte zu knüpfen. Vielleicht war unter den wohlhabenden Kurgästen ja der eine oder andere Käufer für ein Bild oder Auftraggeber für eine Sonate.

Nicht jeder wollte beim Gesundwerden erkannt werden. König Otto von Griechenland kam beispielsweise inkognito als „Graf von Athen“, König Leopold I. von Belgien reiste als „Vicomte d’Ardennes“ an, der deutsche Kaiser Wilhelm I. checkte als Kaiser ein- man hätte ihn sowieso erkannt- er kam 20 Mal ins Salzburger Land. Auf der Gästeliste des Ortes stehen außerdem Don Pedro, Kaiser von Brasilien, König Karol I. von Rumänien, König Faisal von Irak, und Leopold II. von Belgien ging in die Geschichte ein, weil er der erste Kurgast war, der mit dem Automobil anreiste. Der Maharadscha von Kapurtala kam 1952 und ließ sich, wie fast alle Kurgäste, vor dem Wasserfall ablichten. 1958 fand in Bad Gastein die Ski-WM statt, der österreichische Skirennläufer Toni Sailer, heute eine Legende, gewann damals drei Goldmedaillen (Abfahrt, Riesenslalom, Abfahrt Kombination).

Bad Gastein war einmal die reichste Gemeinde Österreichs, eine der schönsten ist sie immer noch. Wer hier wandern geht und in einer der vielen Almhütten einkehrt, bekommt das Käse- oder Speckbrot serviert wie vor hundert Jahren: auf einem Holzbrett mit einer Gurke dekoriert. Und er freut sich wohl auch darüber noch genau so wie der erschöpfte Wanderer vor hundert Jahren. Im Winter kommt der Reisende, um Ski oder Snowboard zu fahren, er bekommt wie bestellt und ersehnt österreichische Bergromantik mit Hüttenzauber und Jagatee. Touristen aus aller Welt buchen Gastein, Schweden lieben diesen österreichischen Ort ganz besonders, sie kommen in Scharen.

Auch arabische Gäste entdecken, meist auf einer Europatour, neuerdings den Zauber der Berge, und manchmal gibt es das, was man Clash of cultures nennt. Ein Bergführer erzählt, dass in Österreich wohl niemand auf die Idee käme, mit dem SUV auf eine Alm zu fahren. Wandern, das weiß man hier seit Kindheitstagen, egal, ob man vom Land oder aus der Stadt kommt, ist anstrengend, aber es wird mit schönen Ausblicken und einem Picknick belohnt. „Immer öfter ignorieren arabische Touristen das Fahrverbot und fahren mit dem Auto vor.“ Leider ruinieren sie dabei seltene Pflanzen und schädigen die Natur oft dauerhaft. Und dass man nach dem Picknick seine Reste und Siebensachen wieder ordentlich einpackt und keinen Müll herumliegen lässt, führt ebenfalls zu unerfreulichen Begegnungen mit den Rangern oder anderen Wanderern, die empört die Einhaltung der ungeschriebenen Gesetze einfordern. „Eine Familie zeigte sich einmal völlig uneinsichtig, sie sagten, dass wir, wenn wir in arabische Länder kämen, doch auch unser Vergnügen haben wollten und ihres wäre eben, mit dem SUV auf die Alm zu fahren“, erzählt der Ranger, „aber zum Glück gibt es auch viele Touristen, die einsichtig sind, ihren Müll einpacken und Besserung geloben.“

Unten im Tal hat man andere Probleme. Ein Wiener Investor, der kürzlich verstarb, hat vor Jahren fünf imposante Gebäude im Zentrum gekauft und er hat den Gasteiner Goldsand in die Augen gestreut, nur so können es sich die Einheimischen erklären, dass man vergessen hat, schriftlich festzuhalten, dass die Gebäude verbindlich zu restaurieren sind. Ein Spekulant will keine alten Häuser retten, er will sein Geld mehren. Das hätte man in Bad Gastein, einem Ort des Reichtums, eigentlich wissen müssen. Und so stehen sie leer, die alten Kästen, im Badehaus hat im vergangenen Winter der Dachstuhl gebrannt. Neugierige, die sich verbotenerweise in das alte Hotel geschlichen haben, erzählen von Tischen, die noch zum Teil eingedeckt sein sollen und imposanten Kristalllustern. Wie auf der Titanic!

Seit mehr als 15 Jahren ist ein Teil des Ortes nun schon lahmgelegt, die Häuser wurde mit vergoldeten (nicht echt, so viel Geld war leider nicht da) Bauzäunen verschönert. Ein Kunstprojekt. Das Kongresszentrum aus den 70er-Jahren sieht aus wie ein Ufo, das versehentlich im Gasteinertal gelandet ist. Für Reisende hat die Szenerie etwas Verwunschenes, die Einheimisch indes fühlen sich im Würgegriff des Herrn Duval, so heißt der verstorbene reiche Mann. Wie es weitergeht, weiß niemand. Die Häuser verfallen langsam. Heute kann sich niemand erklären, wer und warum man vergessen hat, Herrn Duval in die Verträge zu schreiben, dass er die Immobilien streng nach Denkmalschutzgesetzen zu restaurieren hat. Und das ist das Problem: Seine Erben werden das, so befürchten die Gasteiner, auch nicht tun und potenzielle Käufer schrecken zurück, wenn sie die Preise hören, es geht um viele Millionen. Sogar Investoren aus Aspen waren da, die kennen sich aus mit Skidestinationen, aber die Herren sind ernüchtert wieder nach Colorado zurückgeflogen.

So ein kranker Patient zieht natürlich Wunderheiler an. Einer davon ist ein Mann aus der DDR, Friedrich Liechtenstein. Schauspieler, Puppenspieler, jahrzehntelang unbekannt, bis eine Supermarktkette ihn das Lied „Supergeil“ singen ließ. Der Wahl-Berliner entdeckte vor sechs Jahren Bad Gastein, was keine große Kunst ist, weil jeder, der hier war, gerne wiederkommen möchte. Die Wasserfallenergie. Das Radon.

Vor kurzem präsentierte er in der Lobby des riesigen Hotels „Europe“ eine seltsam langweilige, neue Liedersammlung, CD gibt es erstaunlicherweise keine, das Werk ist nur online zu hören, auf diese Idee muss man im 21. Jahrhundert erst mal kommen. Leider kann der Schau- und Puppenspieler nicht wirklich singen, er hat eine sehr tiefe Stimme, die alle Worte verschluckt. In Bad Gastein hat er trotzdem seine Fans, er ist ein bisschen wie ein Hofnarr, der im Morgenmantel aus Stoff auftritt, mit Sonnenbrille. Er wäre, so entnimmt man seinen Interviews, so gerne ein Womanizer, aber es fehlen Charme und Erfolg. Und so singt er halt. Bad Gastein ist besser, als zwischen Supermarktregalen zu singen und auch wenn die Vertreter der großen Königs- und Kaiserhäuser naturgemäß nicht mehr kommen, wirkt er wie ein Hofnarr, den man vergessen hat einzupacken. Aber er stört auch nicht. Österreicher haben ein Herz für Lebenskünstler und er macht auf seine Weise Werbung für den Ort.

Der hoffnungsfrohste Satz, den ich in drei Tagen Bad Gastein gehört habe, war: „St. Moritz war auch schon mal tot und hat es wieder geschafft.“ Alpen-Monte Carlo, reloaded. Nur schade, dass es keine Maharadschas mehr gibt.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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