Silvia Meixner / 18.06.2014 / 12:07 / 0 / Seite ausdrucken

Silvis Culture Club (64): Anpfiff für die Buchstaben

Der Schriftsteller Stefan Zweig fand seine zweite Heimat Rio de Janeiro zum Sterben schön. „Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet.“ Doch retten konnte ihn das Exil leider nicht. Stefan Zweig und seine Frau waren verzweifelt, auch der Zuckerhut konnte sie nicht trösten, sie begingen im schönen Rio Selbstmord. Heute erinnert Zweigs letztes Haus, das ein Museum ist, an ihn. Und ein neues Buch, in dem anlässlich der Fußball-WM 20 Persönlichkeiten Rios porträtiert werden (Merian Porträts Rio de Janeiro, Eine Stadt in Biographien von Ulrike Wiebrecht, 176 Seiten, 16,99 Euro).

Anpfiff für die Buchstaben! Fast 50 Jahre lag regierte Pedro II. das Land, die Brasilianer liebten ihren Kaiser, der am 18. Juli 1841 gekrönt wurde. Er schaffte die Sklaverei ab, führte die Eisenbahn ein und sorgte für Elektrizität. Rio erlebte seinen ersten-von vielen Aufschwüngen. Die Brasilianer waren glücklich, was man heute wohl nicht von allen behaupten kann.

Von Chiquinha habe ich vorher noch nichts gehört, aber ihr Porträt habe ich gern gelesen: einer der unverwüstlichen Karnevals-Hits, „Ó Abre Alas“ („Macht den Weg frei“) komponierte Chiquinha Gonzaga im Jahr 1899, sie gilt als erste professionelle Musikerin Brasiliens. Eine Lebensgeschichte wie aus einem Kitschfilm.

Die Sängerin wird 1847 geboren, sie ist ein uneheliches Kind, die Mutter eine arme Frau, der Vater ein angesehener kaiserlicher Offizier. Nein, er macht sich nicht aus dem Staub! Gegen den Willen seiner Familie heiratet das Paar. Das Mädchen bekommt eine gute Erziehung und Musikunterricht, muss mit 16 gegen ihren Willen einen Marineoffizier heiraten. Der verbietet ihr das Klavierspiel – da entscheidet sie sich für die Musik, schlägt sich als Klavierlehrerin durch, nach vielen kargen Jahren gelingt ihr der Durchbruch, sie landet einen Ohrwurm-Hit nach dem nächsten. Dann ein Skandal: Im Alter von 52 Jahren verliebt sie sich in einen 16-Jährigen – die Liebe währt 35 Jahre, bis zu ihrem Tod.

Hans Stern floh vor den Nazis aus Deutschland nach Brasilien und machte eine atemberaubende Karriere. Der Sitz seiner Firma H. Stern in Ipanema ist nach Zuckerhut und Christusfigur die beliebteste Touristenattraktion Rios. Ein Paradies der Edelsteine, mit denen H. Stern – unter anderem mit US-Fernsehshopping- ein Vermögen machte (er starb 2007). Hans Stern kam mit zehn Reichsmark und einem Akkordeon in Brasilien an und er hatte ein Ziel: „Die Edelsteine müssen zu einem nationalen Symbol werden, so wie der Kaffee, der Samba und der Fußball“. Mission erfüllt.

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