Warum immer Bücher von Fremden lesen, wenn die Guten so nah sind. Deshalb loben wir in dieser Kolumne jetzt einfach mal die Bücher von zwei Kollegen.
Seit kurzem läuft mein Achsen-Kollege Michael Miersch mit einem kleinen Button am Revers durchs Leben. Er zeigt zwei sich liebende Kaninchen, schwarz auf weiß und so allerliebst gemalt, dass man lächeln muss. Gezeichnet hat sie Claudia Bernhardt und weil Herr Miersch ein ausgewiesener Tier-Experte ist, der es versteht, den Leser nicht mit Weisheiten aus dem Tierreich zu langweilen, sondern sie so aufbereitet, dass man etwas davon hat, haben sie ein Buch daraus gemacht. „Zwischen Tieren“ (Michael Miersch, Claudia Bernhardt, 132 Seiten, 11,90 Euro, http://www.istprodukt.com - dort kann man auch den Kaninchen-Button und allerlei mehr schöne Dinge erwerben) zeigt schon auf dem Titel, wer hier wichtig ist: Die Tiere, die sind groß und bunt gezeichnet, die Autorennamen hingegen, das ist sehr ungewöhnlich, muss man suchen, sie stehen, ganz bescheiden und klein, links oben.
Es geht, so der Untertitel, um „flirtende Fische, lüsterne Lurche und verliebte Vögel.“ Zuerst musste ich natürlich die Orang Utans lesen, das sind meine Lieblingstiere, seit ich auf Borneo war und dort „Chocolate“ streicheln durfte, ein Orang Utan-Junges, das nach Gefangenschaft bei durchgeknallten Menschen wieder ausgewildert werden sollte. Orang Utans sind stark und unabhängig, sie bauen jeden Tag ein Nest und treten nur mit Artgenossen in Kontakt, wenn es sich nicht vermeiden lässt.
Natürlich weiß ich , dass es den Orang Utans am besten tut, wenn sie, einmal den Fängen der bösen Menschen entkommen und endlich in den Händen der guten, die sie wieder zurückschicken wollen in den Urwald, so wenige Menschen wie möglich sehen. Ich habe Chocolate nur ganz kurz gestreichelt, ich konnte nicht widerstehen. Bei der Lektüre von „Zwischen Tieren“ fragte ich mich, was wohl aus ihm geworden ist. Ein lieber Orang Utan oder ein Vergewaltiger? Vermutlich eher letzteres, denn Michael Miersch schreibt: „Die Hälfte der alten, und alle jüngeren, zwingen Weibchen zum Sex, wenn sich Gelegenheit dazu bietet. Wissenschaftler erklären diese ungewöhnlich hohe Rate mit der einsamen Lebensweise der rothaarigen Menschenaffen, die einzeln durch die Baumkronen der verbliebenen Regenwälder Borneos und Sumatras streifen. Begegnen sich zwei Fremde, gibt es keinerlei soziale Kontrolle durch Dritte.“ Also auch niemand, der im Notfall einschreiten könnte. Wenn die Zerstörung der Regenwälder überhaupt einen Sinn haben könnte, dann den, dass bei weniger Platz mehr Kontrolle entsteht, weil die Orang Utans notgedrungen zusammenrücken müssen.
Weiter zu den Silberfischchen. Obwohl ich Tiere gerne mag, hab‘ ich noch nie über sie nachgedacht. Auf der Zeichnung ist das Silberfischchen blau und guckt den Leser mit großen Augen an: Wird Zeit, dass Du Dich auch mal für mich interessierst. Die Sechsbeiner, die unter Zweibeinern eher als Schädlinge gelten (dabei ernähren sie sich vom Schimmel, den der achtlose Mensch in Küche oder Badezimmer entstehen lässt), haben eine raffinierte Art der Fortpflanzung: Die Männchen recherchieren die Wegstrecke der Weibchen und deponieren ein pyramidenförmiges Samenpaket, in das die Auserwählte stolpern soll. Sozusagen eine unfreiwillige künstliche Befruchtung. Der Vorteil: Sie erspart Kuscheln, Vorspiel und die Zigarette danach. Seien Sie also bitte ab sofort vorsichtig im Bad! Sie wollen doch nicht bloßfüßig in Silberfischchen-Sperma tappen.
Das Schöne an diesem Buch ist, dass auch weniger bekannte Tiere zum Zuge kommen: Das Thermometerhuhn zum Beispiel (ich bin nicht sicher, ob Herr Miersch das nach dem siebten Bier geschrieben hat oder ob es das Huhn tatsächlich gibt, jedenfalls ist es sehr hübsch gezeichnet), der Baumsteigerfrosch, der Strudelwurm, die Seemaus, die Rennechse, das Glühwürmchen. Die Blatthühnchen haben’s gut, die Weibchen unterhalten im Idealfall einen männlichen Harem aus drei bis vier Gatten. Wer braucht da noch Alice Schwarzers Emanzipations-Gequatsche.
Koffer packen. Weiter nach Island! Ich war leider noch nie dort, aber Henryk M. Broder (er trägt keine Vulkan-Buttons oder sonstigen Herrenschmuck) schreibt, dass die Menschen dort folgende Lebensphilosophie haben: „Erst tun wir es, dann mögen wir es!“ Das klingt vernünftig. In unseren Breitengraden ist es ja eher so, dass, wenn überhaupt etwas getan, spätestens hinterher darüber gejammert wird. Der einzige Grund, der mich davon abhalten würde, nach Island zu fahren, sind die langen Winter. „Bei fünf Grad Celsius plus reißen sich die Isländer die Kleider vom Leibe und laufen in Shorts T-Shirts rum. Wenn die Temperatur auf zehn Grad steigt, reden sie von einer Hitzewelle, dann wollen sie schul- und arbeitsfrei haben. Dafür gehen sie jeden Tag in den ‚Hot Pot’ und liegen stundenlang im heißen Wasser“, schreibt der Autor.
Ich weiß, dass er, was Länder, Suppen und Menschen betrifft, sehr anspruchsvoll ist und nicht gleich alles und jeden in sein Herz schließt (schriftliche Beweise aller Art liegen auf http://www.achgut.com vor). Deshalb muss Island wirklich toll sein, sonst hätte er kein Buch („Mein sagenhaftes Island“, 174 S., 24,80 Euro, http://www.oelbaum-verlag.de) darüber geschrieben. Und würde dauernd hinfahren. Wenn er nicht gerade in Israel, Amerika, Augsburg ist oder plant, nach Odessa zu fahren.
Im Jahr 2009 – verdammt lang her ! - galt Island mal als pleite, aber das war vermutlich eine Mini-Pleite im Vergleich dazu, was andere Länder seitdem dem staunenden EU-Volk darbieten. Die Isländer hatten einfach nur das Pech, als erste Pleite zu gehen, was zu einer seltsamen Form der Berühmtheit führte. Die Menschen dort sind, nachdem das Land jahrelang irgendwie als stilles Paradies galt, wirtschaftlich laut baden gegangen und haben anschließend fleißig und weitgehend unauffällig die Krise überwunden. Die Isländer sind, so scheint’s, wenn man das Buch liest, so entspannt und nett und schlau, dass es einem als Nicht-Isländer glatt unheimlich werden kann. Sie können fast alles und was sie nicht können, lernen sie frohgemut und nebenbei schreiben sie noch ein Buch, denn die Isländer lesen natürlich auch gern, denn von irgendwo muss sie ja herkommen, die Schlauheit. Der einzige isländische Nobelpreisträger (das klingt bei so einem kleinen Land beinahe unverschämt, wie viele Nobelpreisträger soll ein kleines Land, bitteschön, denn hervorbringen?) heißt Halldor Laxness hinterließ der Welt 60 Bücher, die in 40 Sprachen übersetzt wurden. Henryk M. Broder, noch ohne Literatur-Nobelpreis, gilt spätestens nach diesem Buch natürlich als Island-Experte und die ganze Aktion ist ziemlich schlau. Hätte er über Italien oder China geschrieben, wäre er ein Autor unter vielen. Schenkt man sein Interesse hingegen einem kleinen Land, weckt man viel mehr Aufmerksamkeit. Ein kluger Schachzug. Der liebe Kollege hätte glatt ein Isländer werden können. Auf dem Titelbild übt er schon, er trägt einen dieser unwiderstehlichen Wikingerhelme, die man hier zu Lande nur an Kindern sieht, die „Wiki und die starken Männer“ lieben und zur Faschingsparty gehen. Broder kann, obwohl vermutlich erwachsen, alles tragen. Liest man das Buch, bekommt man den Eindruck, dass der Autor fast jeden Isländer getroffen hat. Menschen, die Bananen züchten, Musiker, Sammler, Cartoonisten, den Erfinder des Steinxylophons, Gaudi-Burschen und Mädchen, die stricken. Und wer die geniale australisch-amerikanische Autorin Lily Brett mag, sollte dieses Interview mit ihr lesen: http://www.zeit.de/2012/22/Rettung-Lily-Brett
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de