Silvia Meixner / 17.06.2012 / 23:42 / 0 / Seite ausdrucken

Silvis Culture Club (10) Von Affen und Yogis und Menschen

„The monkey is happy sitting in the tree“ schwurbelt der Yogi dort vorn. Omm! Der Affe freut sich seines Lebens, er würde niemals um ein Visum in den USA ansuchen, erzählt Swami Santamandana. Aha. Woher bezieht er solche Erkenntnisse? Und was sagt der Affe dazu. Tja, was soll man darauf sagen, was denken? Erst mal einen Chai. Yoga ist eine der besten Erfindungen der Welt; aber viele selbsternannte Propheten, Experten und Gurus machen einfach alles kaputt. Swami Santamandana war mal, so lese ich, Programmierer und vielleicht hätte er dabei bleiben sollen. Heute ist er ein ganz Großer der internationalen Yoga-Szene, aber ihm fehlt einfach die Aura, das Chrisma, der Ansatz, das Große, Ganze.

Mit den Gurus ist es so eine Sache. Warum soll ich ungewaschene Menschen mit ungewaschenen Haaren anhimmeln, die Halbweisheiten und Unsinn vor sich hinbrabbeln und meine bedingungslose Gefolgschaft erwarten, gern auch Spenden? Was ist eigentlich aus den Plänen der Inder geworden, Yoga gesetzlich zu schützen? Der Guru und ich, wir werden einfach nicht so richtig warm miteinander. Ich bleibe trotzdem beim Vortrag auf dem „Berliner Yoga Festival“, ich finde, man sollte nicht zu schnell aufgeben. Weder im Leben noch im Yoga-Zelt. Swami S. macht für mein Empfinden ein bisschen auf Gandhi, Schmalspur-Gandhi, ich mag es nicht, wenn Männer auf Gandhi machen, denn es gab nur einen und so soll es bleiben. Draußen regnet es, draußen, zwischen den Regentropfen, ist Berlin so wunderschön, dass man sämtliche U-Bahnschläger, Stalker, Voll- und Halbidioten vergessen möchte. Das Wasser, das Grün, die von Jahr zu Jahr leider mehr verfallende Gutshaus im Kulturpark Kladow, der süße Duft der Linden.

Drinnen im weißen, großen Plastikzelt geht’s um Freiheit, vorher haben wir alle gemeinsam und beherzt für den Weltfrieden gesungen und der Frau, die das angekündigt hat, hat’s vor lauter Tränen die Stimme verschlagen. Rührung ist schön, aber warum hier, warum jetzt, warum heute? Ich mag keine Menschen, die in Tränen ausbrechen, weil sie so einzigartig und beseelt sind und die anderen mitweinen sollen, verdammt noch mal. Warum muss man weinen, wenn man für den Frieden singt? Antwort: Weil sich dann alle wieder trösten und lieb haben können. So lieb. So richtig lieb.Das ist wichtig, denn nur liebe Menschen können dem Weltfrieden geben, was er so dringend braucht.

Der Festredner wirkt ein wenig seltsam, sein indisches Englisch ist schwer zu verstehen, viele Festivalbesucher verlassen frustriert das Zelt, weil sie bestenfalls erahnen können, was er sagt. Wer Lippenlesen beherrscht, ist klar im Vorteil. Andere Gäste kommen rein, weil es draußen regnet. Der Geruch ist eine Mischung aus Knoblauchwurst und Landschulwochen-Zelt-Odeur. Knoblauchwurst geht gar nicht. Jesus, erbarme dich. Oder irgendeiner der abertausenden indischen Götter. Knoblauchwurst ist ein unverzeihlicher Anfängerfehler, denn ein echter Yogi isst natürlich kein Fleisch. Wo es so schöne Sojawürstchen gibt! Die schmecken zwar nach nichts, ich glaube nach einigen Testreihen, dass Soja dermaßen genmanipuliert wurde, dass die daraus hergestellten Würstchen jegliche Gewürzannahme verweigern, weil es ihnen einfach zu blöd ist, Würstchen spielen zu müssen. Knoblauchwurst ist fast so schlimm wie ohne Bändchen in das Weiße Zelt zu gehen, der Moderator hat es deutlich-drohend gesagt: „Wir wollen keine Bändchenkontrolle machen!“ Und weg ist er, der Weltfrieden. Das sitzt, auf einem friedlichen Yoga-Festival!

Aber die Flüge der Festivalgäste müssten schon irgendwie bezahlt werden und deshalb die gekauften Bändchen, erklärt der strenge Redner. Ich atme tief durch. Für den Weltfrieden und meinen Frieden, denn die Androhung einer strengen Bändchenkontrolle bringt mein seelisches Gleichgewicht ganz schön durcheinander. Ich habe ein Bändchen, denn ich will ja nicht, dass ein hundertjähriger Yogi wegen mir zu Fuß von Delhi nach Berlin wandern oder ein anderer Inder seine Rikscha bewegen muss und beide so erschöpft in Kladow ankommen, dass sie weder sprechen noch Yoga machen können. Das kann einfach nicht im Sinne des Weltfriedens sein! Laut Festivalmotto sind alle gleich, aber die verhältnismäßig schönen Toiletten im Gutshaus dürfen nur die Festivalmitarbeiter benutzen, die anderen zahlenden Gäste müssen aufs Dixi-Klo. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Als Revoluzzerin bin ich natürlich heimlich aufs Mitarbeiterklo gegangen, da konnte man sich hinterher halbwegs ordentlich die Hände waschen.

Der Guru hat sich Simultanübersetzung verbeten. Eine klassische Fehlentscheidung. Die schönste Botschaft nutzt wenig, wenn die Schäfchen sie nicht verstehen. Satzbrocken bleiben hängen. Alles ist aus Lehm. Mutter Erde. Finde Dich, Deine Mitte. Der üblicher Yoga-Rhabarber, eine Mischung wie aus Bibel, Schrei-Seminar und Woody Allen. The monkey is sitting in the tree. And I am sitting in Berlin, auf dem Boden, wegen des Regens habe ich meine Yogamatte zu Hause gelassen. Noch so eine Fehlentscheidung.

Wir lustwandeln noch ein bisschen über den kleinen Markt. An meiner Seite ist Vera Lengsfeld, die mehr für den Weltfrieden getan hat als die meisten hier und die ich während des Vortrags immer wieder ermahnen musste, bittte-bitte brav zu bleiben und nicht zu laut zu lachen. Wir sind beide fleißige Yoginis, aber wir bleiben dennoch auf dem Boden der Realität. Vera Lengsfeld hat mal die Stasi damit verblüfft, dass sie während eines Verhörs Yoga machte. Sie hatte im Rahmen eines 24-Stunden-Verhörs Rückenschmerzen, breitete ihren Mantel auf dem Boden aus und verharrte im „zusammengerollten Blatt“. Die Stasi-Experten waren ratlos, denn Yoga kam in ihrem Handbuch für erfolgreiche Verhöre nicht vor.

Yoga kam in der DDR grundsätzlich nicht vor, ich sehe das als einen der Hauptgründe, warum die DDR scheitern musste, aber nachher ist man ja immer gescheiter. Die Stasi-Offiziere ließen Vera Lengsfeld also Yoga machen. Vermutlich haben sie stumm gebetet, dass das aufhören möge mit dem Vodoo-Zauber da unten auf dem Mantel (bei dieser Gelegenheit empfehle ich ihr Buch “Ich wollte frei sein. Die Mauer, die Stasi, die Revolution“. Herbig Verlag, München 2011).. Vera und ich sind fleißig Yoginis, wirklich, wir sind davon überzeugt, dass wir bis Ende des Jahres die „Krähe“ können, wenn wir uns wirklich darauf konzentrieren und den vielen Rotwein und die Schokolade weglassen. Vielleicht sind wir deshalb ein bisschen falsch hier. Man darf das nicht unterschätzen. Yogis, die nicht ernst genommen werden, können leicht ihre Friedfertigkeit vergessen und ich befürchtete eine yogische Schlägerei, selbstverständlich mit akrobatischen Einlagen und herabschauendem Hund, im großen weißen Zelt.

Auf dem kleinen Markt werden unter anderem Binchotan, natürliche Aktivkohle aus Steineiche- „Potenzial für unser Wohlbefinden“ – für Haushalt und Gesundheit, Anleitungen für ein neues Bewusstsein, Yoga-Reisen (Hilfe! Ich würde spätestens am dritten Tag Amok laufen) angeboten. Ein „Lebensforscher“ offeriert eine „Aufforderung zum Authentischsein“ –vielleicht wäre das was für Swami S. Die ganzheitliche Wasseraufbereitung ist für einen richtigen Yogi natürlich ebenso wichtig wie die „Öffnung der spirituellen Kanäle“. „Heilende Hände“ bietet das „Love Peace Harmony Institut“, ich möchte gar nicht näher wissen, was das ist.

Auszug aus Gesprächen am Rande des Festivals: „Du, die Amma hat mich so berührt, ein paar Worte nur habe ich gehört, die haben mich sooo berührt…“ (Ich gehe schnell weiter, bestimmt bricht die Frau angesichts ihres Gutmenschendaseins auch gleich in Tränen aus und zweimal am Tag, das wäre zu viel für mich. Für Nicht-Yogis: Amma ist eine Lichtgestalt der internationalen Yogaszene, die Inderin gründete das internationale Hilfswerk „Embracing the world“)…Ein sportlich durchgestyltes Paar gibt sich an einem Stand, an dem man ein noch besserer Mensch werden kann, als Therapeuten-Paar zu erkennen: „Wir geben den Menschen so viel, wir brauchen auch mal Ruhe, weißt Du, nur für uns sein…“

Ich möchte so gern an die Bescheidenheit und Gleichheit der Yogis hier glauben, allein mich irritieren die vielen Luxusautos, die vor dem Festivalgelände geparkt sind. Bigottes Volk, diese Yogis. Irgendwo auf dieser Welt sitzt ein Affe im Baum. Wir gehen noch in einen Biergarten. Wer dort als Nicht-Gast die Gäste-Toilette benutzt, wird „strafrechtlich verfolgt“. Willkommen zurück im richtigen Berliner Leben.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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