Thilo Spahl, Gastautor / 26.11.2018 / 16:00 / Foto: Dirk Maxeiner / 15 / Seite ausdrucken

Schrumpfen statt wachsen?

Das Europäische Umweltbüro, ein Dachverband von über 140 Umweltorganisationen mit Sitz in Brüssel, hat eine Petition für ein Europa erstellt, das sich unabhängig vom Wirtschaftswachstum entwickelt. Über 80.000 Menschen haben bisher unterschrieben. Am 15. November soll sie an Kommissionsvizepräsident Timmermans und die österreichische Ratspräsidentschaft übergeben werden. Die Petition baut auf den Forderungen eines von über 200 „engagierten Sozial- und Naturwissenschaftler*innen“ verfassten offenen Briefs auf, der im September in 15 europäischen Zeitungen veröffentlicht wurde, unter anderen auch in der Zeit unter der Überschrift „Schluss mit WachstumWachstumWachstum“.

Die kühne These lautet: „Um die sozialen Probleme in den europäischen Ländern zu lösen, brauchen wir heute kein weiteres Wachstum. Was wir brauchen, ist eine gerechtere Verteilung der Einkommen und des Reichtums, den wir bereits haben.“ Sie stützt sich auf zwei Überlegungen. Erstens sei Wachstum schlecht, weil „in permanenter Konkurrenz zu den Zielen von Natur-, Tier- und Umweltschutzpolitik.“ Zweitens sei Wachstum auch verdammt schwierig geworden, weil die Produktivitätszuwächse abnähmen, die Märkte gesättigt und die Umwelt geschädigt seien. „Wenn sich diese Trends fortsetzen“, so die Prognose der Autoren, „könnte es absehbar innerhalb des kommenden Jahrzehnts in Europa überhaupt kein Wachstum mehr geben.“

Man fragt sich: Wenn in ein paar Jahren das Wachstum ohnehin endet, warum dann noch eine Petition, die von der EU fordert, eine Postwachstums-Sonderkommission einzurichten, den Stabilitäts- und Wachstumspakt in einen „Stabilitäts- und Wohlstandspakt“ umzuwandeln und ein Ministerium für wirtschaftliche Transformation in jedem Mitgliedstaat einzurichten? Weil Wachstum, wenn man es nicht bekämpft, noch eine große Zukunft hat. Denn weder gibt es einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Wachstum und Umweltschutz, noch kommt das Wachstum quasi natürlich zum Erliegen, weil genug Reichtum für den Rest der Zeit da wäre. Wenn es dauerhaft erlahmt, dann wohl am ehesten, weil die EU sich von der beliebten Wachstumsskepsis noch mehr inspirieren lässt, als sie das ohnehin schon getan hat.

Der Brandbrief kritisiert, die EU halte weiter am Wachstumsideal fest und propagiere lediglich "nachhaltiges", "grünes" oder "inklusives" Wachstum. Doch das ist schon ein klarer Schritt in Richtung Postwachstum und müsste daher eigentlich von den Degrowthern gewürdigt werden. Die EU tut schon genug, um Produktivitätssteigerungen zu erschweren. Den Wachstumsskeptikern schweben viele gute und erstrebenswerte Dinge vor.

Vor 200 Jahren lebten 94 Prozent der Menschen in Armut

Es sind komischerweise genau die Dinge, die bislang durch Wachstum erreicht wurden: Unser Leben ist sicherer geworden, der Lebensstandard gestiegen, die Umwelt in besserem Zustand, die Ressourcennutzung effizienter, die soziale Sicherung und die Gesundheitsversorgung umfassender, das Bildungsniveau gewachsen und die Armut zurückgegangen. Vor 200 Jahren lebten über 90 Prozent der Menschen in extremer Armut, heute sind es weniger als 10 Prozent. Wir arbeiten weniger, und unsere Jobs sind weniger hart als früher. Und in Ländern mit hohem Wachstum erfolgen all diese Verbesserungen schneller als in solchen mit geringem Wachstum. Mit wachsendem Wohlstand geht überall auf der Welt mehr Umwelt- und Naturschutz einher.

Der Motor des Wachstums ist technologischer Fortschritt. Und da es für diesen Motor prinzipiell keine Grenzen gibt, gibt es auch keinen Grund anzunehmen, Wachstum müsste irgendwann enden. Vor allem, wenn man sich klar macht, dass genau dieser Motor dafür sorgt, dass Wachstum effektiv von Naturverbrauch entkoppelt werden kann. Die einzige natürliche Ressource, die wir tatsächlich verbrauchen, sind fossile Energieträger.

Das wird irgendwann enden, weil wir über Alternativen verfügen, die es erlauben, sehr viel mehr Energie auf andere Weise zu gewinnen. Insbesondere durch Nukleartechnik und in gewissem Maße auch durch erneuerbare Energien, die allerdings unvermeidlich in relativ hohem Maße die zweite endliche Ressource beanspruchen, nämlich Fläche (zumindest, solange wir mit der Solarenergie nicht in den Weltraum expandieren). Alle anderen Ressourcen werden nicht ver-, sondern ge-braucht, und der technologische Fortschritt wird in dieser Hinsicht mittelfristig eine sehr weit reichende Kreislaufwirtschaft ermöglichen.

Der durch das Wachstum erzielte Reichtum ermöglicht es, wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt aufrechtzuerhalten und so weiteres Wachstum zu generieren. Und selbstverständlich werden wir auch der großen Herausforderung des Klimawandels sehr viel besser mit den Technologien begegnen können, die wir heute haben (weil wir nicht auf die Wachstumsskeptiker vor 20, 50, 100 oder 200 Jahren gehört haben) und die wir in Zukunft entwickeln werden, wenn wir hoffentlich nicht vollständig mit der Verteilung des Vorhandenen beschäftigt sein werden.

 

Wir brauchen Wachstumspolitik. Aber für gute Wachstumspolitik ist auch ein Punkt wichtig, den die Degrowth-Bewegung anspricht, aber nicht sauber von anderen Ideen trennt. Wachstum sollte in erster Linie technologischer Fortschritt und Produktivitätssteigerung bedeuten. Das Maß ist damit nicht notwendig das BIP. Der britische Energie-Experte Michael Liebreich schreibt in seinem lesenswerten Aufsatz „The Secret of Eternal Growth“ zu recht: „Es sei darauf hingewiesen, dass die Ablehnung des Arguments gegen das Wachstum nicht dasselbe ist wie die Annahme, dass das BIP die einzige oder sogar die beste Metrik für das menschliche Wohlergehen ist. Das BIP ist ein neutrales Maß für die wirtschaftliche Aktivität.“ Das BIP ist ein wichtiges Maß, und wir müssen alarmiert sein, wenn das BIP-Wachstum sinkt. In erster Linie sollten wir uns allerdings in der Wachstumspolitik an Technologie- und Produktivitätsentwicklung orientieren.

Bezeichnend für das Demokratieverständnis der Postwachstumsfreunde ist die Idee, die EU möge dafür sorgen, dass in jedem Mitgliedstaat ein „Ministerium für wirtschaftliche Transformation“ eingerichtet werde. Das ist ein doppelter Top-Down-Ansatz. Erstens sagt uns nun die EU, welche Ministerien wir haben sollen, und zweitens verordnet sie uns auch noch eines mit technokratischem Auftrag – „Transformation“ ist schon lange ein Lieblingsbegriff derer, die der Meinung sind, eine aufgeklärte Elite müsse unsere Art zu wirtschaften und zu leben umkrempeln. (Nein, das war unfair. Die EU macht das ja nicht. So weit ist es noch nicht. Die Petitionisten fordern es nur von ihr.)

Natürlich gibt es auch in einer Welt mit stetigem Wachstum viele Probleme, Irrwege und Herausforderungen. Aber man muss das Große und Ganze im Auge behalten, und für das gilt: Das Ziel von Wachstum ist mehr Wohlstand für alle. Das Ziel von Postwachstum ist ein bisschen Wohlstand für alle.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Novo.

Foto: Dirk Maxeiner

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J.P.Neumann / 26.11.2018

Ausgerechnet NGOs wie Greenpeace&Co; sind auf Wachstum ausgelegt. Das sind teils Milliardenkonzerne mit eigenen Flotten, Verwaltungen, usw.  Die Kirchen, die mittlerweile auch dem Geschäftsmodell Umweltschutz folgen, sind sogar die größten und ältesten wachstumsbasierten Konzerne überhaupt.  Obgleich sie alle ihr wirtschaftliches Wachstum nicht versteuern (wg Gemeinnützigkeit), ist es sehr wohl da, wird allerdings unter dem dicken Teppich der höheren Moral versteckt.  Moral gilt halt immer nur für die anderen.

Andreas Rochow / 26.11.2018

Ich schlage vor, die Demographie mal anders zu betrachten. Sie hat auch positive Aspekte. Die Ungeborenen von heute bedrohen uns nicht mit dem Altersproblem von morgen. Sie nehmen die Leistungen des überforderten Sozialstaates nicht in Anspruch. Die Kapazität von Kitas und Schulen kann sukzessive heruntergefahren werden. Der Binnenmarkt und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen aller Art würden sich der sinkenden Nachfrage anpassen müssen. Der kleine, disproportional aufgeblasene “Exportweltmeister”  D hätte alle Zeit der Welt, seine Produktion der schrumpfenden Bevölkerung anzupassen - umgekehrt geht es ja nicht! Es sollte besonders die Wachstumsgegner freuen, dass der schicksalhafte, aber gut berechenbare Bevölkerungsrückgang am Ende auch mit der Verringerung des mittleren “ökologischen Fußabdrucks” einhergeht. Nur die Renten müsste man endlich auf ein anderes Fundament stellen, da das System schon seit den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts dysfunktional ist und die Steuerbürger über Gebühr belastet. Dieser Gedanke schließt wirtschaftliches Wachstum durch steigende Arbeitsproduktivität nicht aus, wenn diese mit steigender Energieeffizienz, Automatisierung, Robotisierung und Produktqualität verbunden ist. Und: Ohne jede Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder und Kontinente könnte das Vorreiter- und Exzellenzland der Dichter, Denker und Fachkräfte ein friedliches Vorbild setzen. Grenzüberschreitend kann man seine Ideen austauschen; die Anstachelung zu weltweiten grenzüberschreitenden, disruptiven Veränderungen wie Massenmigration, die Einladung zu Aufbrüchen in unbekanntes Terrain, sollte dringend als völkerrechtswidrig erklärt werden, weil das die Gefahr von Bürgerkrieg und internationalen Kriegen heraufbeschwört.

Silvia Polak / 26.11.2018

Und parallel zum Postwachstum soll der UN Migrationspakt kontinuierlich die Bevölkerungszahl in der EU erhöhen ! Das heißt Weniger soll auf immer Mehr verteilt werden ! Man kann die Zurechnungsfähigkeit der Eliten, politisch und sonstige, nur mehr bezweifeln !

Roland Stolla-Besta / 26.11.2018

Die lange Zeit des Friedens seit dem Ende des 2. Weltkrieges scheint einem Teil der Europäer, dem moralisch hochstehenden, nicht gut bekommen zu sein. Sie haben alles, trinken Champagner, wollen aber den anderen Wasser predigen, Verzicht, „Bescheidenheit“. Für mich sind das Symptome einer Dekadenz, und ich fürchte ein wenig gutes Ende.

W. Schwarz / 26.11.2018

Das sind wahrscheinlich auch dieselben Leute, die einer bedingungslosen und massenhaften Zuwanderung das Wort reden. Weniger Wachstum und immer mehr Menschen, das wird nicht gehen. Wir sind in früheren Jahren mit weniger Bevölkerungsdichte auch gut zurecht gekommen und ein bisschen Skepsis gegenüber dem Wachstumswahn ist sicher geboten. Die Industrie will von einer Wachstumsbremse sicher nichts hören. Denen ist doch jedes Prozenterl Wachstum wesentlich wichtiger, als eine verträgliche Migrationsquote, deshalb machen diese Industriekapitäne gerne mit den größenwahnsinnigen Politikern mit.

Ulrich Porstein / 26.11.2018

Das sind die Wissenschaftler(Soziologen, Politologen…), die noch nie etwas wesentliches zum Gedeihen der Gesellschaft beigetragen haben, und andererseits die Wissenschaftler, die von Wirtschaft gemeinhin keine Ahnung haben, davon aber reichlich. Beiden Spezies(Überschneidungen kann es geben) leben in aller Regel aber sehr gut von den Menschen, die für das Wirtschaftswachstum schuften, egal ob körperlich, geistig und mit der Übernahme von Verantwortung. Manchmal beschleicht mich der Gedanke, dass wir zu viele Wissenschaftler füttern, die keiner braucht.

Thomas Holzer, Österreich / 26.11.2018

Passt perfekt zur Verfasstheit dieser Volksumerzieher! Kein Wirtschaftswachstum, absolut böse! Dafür aber Millionen Neubürger ins Land, sprich Bevölkerungswachstum, und das ohne Grenzen, weil wir haben ja ein “demographisches Problem”. Nicht umsonst “sang” vor kurzem eine Frau Nahles vor dem Bundestag “Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt”

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