Peter Grimm / 17.07.2021 / 11:52 / Foto: Imago / 107 / Seite ausdrucken

Schöner regieren ohne Mehrheit und Wahlen?

Die Thüringer Landesregierung ist ohne eigene Mehrheit mit dem Versprechen von Neuwahlen ins Amt gekommen. Doch die nötige Mehrheit im Landtag könnte die falsche sein, weshalb nun nicht gewählt wird.

Vielleicht ist Thüringen so etwas wie das Versuchslabor für eine Demokratie neuen Typs, mit einem – sagen wir es mal ganz höflich – sehr flexiblen Umgang mit Wahlen und Mehrheiten? Wenn man sich das absurde Theaterstück anschaut, das in und um die Landespolitik in dem kleinen mitteldeutschen Freistaat seit Anfang Februar 2020 aufgeführt wird, kann man kaum glauben, dass das Realität ist.

Da wählt der Thüringer Landtag mit einer Mehrheit den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten, doch nachdem die Kanzlerin geäußert hat, dass diese Wahl rückgängig gemacht werden müsse, wird der Mann zum Rücktritt gedrängt. Dann wird wieder der Genosse Bodo Ramelow von den SED-Erben ins Regierungsamt gewählt, obwohl er eigentlich keine Mehrheit hat. Die oppositionelle CDU ermöglicht diese Wahl. Grundlage ist eine Vereinbarung mit der linksgrünen Minderheitsregierung, wonach es spätestens nach einem Jahr Neuwahlen geben solle.

Die Thüringer Bürger wurden beschwichtigt, dass das Land jetzt nicht unregierbar werden dürfe, aber bald könnten sie ja abstimmen, um vielleicht für die demokratische Legitimation einer neuen (oder alten) Regierungsmehrheit zu sorgen. Als das Jahr vorbei war, durften sie dann doch nicht an die Wahlurne, weil der Corona-Ausnahmezustand herrschte. Angesichts der ganzen Grundrechte, die für die Thüringer – ebenso wie für alle Deutschen – außer Kraft gesetzt waren, fiel die verschobene Landtags-Neuwahl kaum ins Gewicht. Außerdem versprachen alle Parteien, die 2020 Neuwahlen zugesagt hatten, dass die Thüringer nun zusammen mit der Bundestagswahl auch über die Zusammensetzung des Landtags abstimmen dürften. Dass selbiges Parlament fristgerecht für die Selbstauflösung und Neuwahl stimmen würde, galt als Formsache.

Drohung höchstmoralischer Verdammnis

Das hätte es auch sein können, denn eigentlich gäbe es eine Mehrheit im Landtag für Neuwahlen. Trotzdem haben Grüne und Linke jetzt dafür gesorgt, dass der linksrotgrüne Auflösungs-Antrag zurückgezogen wurde und nun nicht mehr fristgerecht abgestimmt werden kann. Der Grund, kurzgefasst: Diese Mehrheit könnte Stimmen der AfD enthalten. Vier CDU-Abgeordnete hatten zuvor bekundet, sie würden nicht für die Auflösung des Landtags stimmen. Weil die Christdemokraten nun bei der Mehrheitsbeschaffung schwächelten, könnte es sein, dass die Stimmen der AfD wichtig würden. Und weil das geschehen könnte, gab es auch unter den Linken Parlamentarier, die eine solche Mehrheit nicht wollten. Und da es bekanntlich zum guten Ton gehört, sich im Abgrenzungswettbewerb zur AfD zu überbieten, egal um welche Inhalte es konkret geht, und vor der Abstimmung keiner weiß, wer wie abgestimmt haben wird, haben Linke und Grüne lieber ganz auf die Abstimmung verzichtet.

Zusammengefasst: Nachdem ein mit parlamentarischer Mehrheit gewählter Ministerpräsident zum Rücktritt genötigt wurde, kam ein Ministerpräsident wieder ins Amt, der nur deshalb eine parlamentarische Mehrheit bekam, weil er Neuwahlen zusagte. Die Neuwahlen haben im Landtag höchstwahrscheinlich eine parlamentarische Mehrheit, doch es wird nicht abgestimmt, weil die AfD vielleicht notwendiger Teil dieser Mehrheit sein könnte. Deshalb dürfen die Bürger nicht wählen und eine Regierung ohne parlamentarische Mehrheit regiert weiter. Und was passiert, wenn die AfD dieser Minderheitsregierung in irgendeinem Punkt mal zur nötigen Landtagsmehrheit verhilft? Wird dieses Abstimmungsergebnis dann auch automatisch rückgängig gemacht, so wie wir es aus dem Februar kennen?

Jetzt bietet sich das Bonmot an, die AfD-Fraktion in Thüringen möge bitte für alle linksrotgrünen Projekte stimmen, die man gern verhindert sähe, nur damit sie dann aus Gründen der Abstimmungshygiene so verbrannt sind, dass sie niemals umgesetzt werden können. Aber das ist natürlich billig. Allein schon deshalb, weil die Linksrotgrünen keinerlei Skrupel haben werden, wenn es ihnen nützt, genau das zu tun, wovon sie CDU und FDP bislang mit der Drohung höchstmoralischer Verdammnis weitestgehend erfolgreich abhalten.

Schöner regieren ohne lästige Rücksicht auf Mehrheiten und Wahlergebnisse

Aber, um dennoch einen halbwegs geistreichen Abschluss zu finden, vielleicht ist Thüringen nur Vorreiter eines neuen Typs von Demokratie, der ja auch ganz gut in die „neue Normalität“ mit von der Obrigkeit nur vorsichtig und sorgsam zugeteilten Grundrechten passt. Es lässt sich ohne die lästige Rücksicht auf Mehrheiten und Wahlergebnisse verständlicherweise auch schöner regieren. Diese Erfahrung haben sicher manche politischen Funktionsträger liebgewonnen.

Da die Thüringer linksrotgrüne Minderheitsregierung im Amt ist und nicht mehr gewählt werden muss, kann ihr eigentlich nichts passieren. Die Oppositionsmehrheit im Landtag darf sich ja nie gegen sie wenden, denn das würde ein gemeinsames Stimmverhalten mit der AfD erfordern. Und die Thüringer dürfen sich eine ganze Legislaturperiode lang einer Regierung „erfreuen“, die sie nicht gewählt, also nicht mit einer Mehrheit ausgestattet haben. CDU und FDP sitzen in einer Sackgasse fest, und das dürfte für potenzielle Wähler wiederum kaum attraktiv sein.

Das Thüringer Dilemma war bereits am Wahlabend absehbar: Die demokratischen Parteien der alten Bundesrepublik hatten keine Mehrheit mehr. Die Mehrheit der Thüringer Wähler hatte Linke und AfD gewählt. Welchen Kurs gerade die bürgerlichen Parteien zwischen diesen Polen nehmen sollten, hätte nach konkreten Positionslichtern bestimmt werden müssen. Doch nach dem Februar 2020 war die FDP orientierungslos, und die CDU begab sich in die Arme der Linken, aus denen sie nicht mehr herauskommt. Die Neuwahlen, die sie vielleicht hätten befreien können, finden nun nicht statt. Ministerpräsident Bodo Ramelow hat schon erklärt, er hoffe auf Unterstützung für eine Mehrheit zum Beschluss des Haushalts 2022.

Foto: Imago

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Leserpost

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Ulrich Viebahn / 17.07.2021

Die CDU verschaukelt ihre Wähler. Was denken sich diejenigen, die erwägen, die CDU im September doch wieder zu wählen?

Karla Kuhn / 17.07.2021

Danke, Frau Wilhelmi, diese Nebenwirkungen sind mir bekannt, mich interessieren die Nebenwirkungen, die in zwei, drei Jahren und später auftreten können/werden. Vielleicht sind sie den Herstellern bekannt und müssen!! verschwiegen werden, weil sie der Vorhof zur Hölle sind ?  (Also MENGELE UND FRANKENSTEIN ?) Mit “IMPFSTOFFEN”, die für mich zu MENSCHENVERSUCHEN benutzt werden, lasse ich mich nicht impfen. Der Macron, dieser verantwortungslose Typ, will jetzt sogar den klugen IMPFVERWEIGERERN sogar den ÖFFENTLICHEN ZUG- BUSVERKEHR verbieten lassen. ( CORONA TRANSITION; 17. Juli 2021)Frankreich braucht wieder einen 14. Juli, DRINGEND, damit solche Politgestalten wie der Macron der gerechten Strafe zugeführt werden können, denn diejenigen Gastwirte, Händlern etc, die dem DIKTATOR MACRON nicht gehorchen, drohen GEFÄNGNIS oder hohe Geldstrafen. SCHLIMMER KANN ES IN NORDKOREA AUCH NICHT SEIN ! Frankreich hat Probleme bis zur Halskrause mit illegalen Migranten, anstatt diese zu lösen, will dieser Typ Menschen bestrafen, die sich bewußt keinem RISIKO aussetzen möchten. WIE KRANK IST DIESER TYP ? Ich habe einmal BEWUßT an einem Pilotprojekt, quasi als Kaninchen, NICHT als Laborratte,  teilgenommen- AML im Endstadium,  Therapie 30 bis 40% Erfolg, ich habe mich für den “Erfolg” entschieden und lebe seitdem mit Behinderungen in Vollremission, also nicht geheilt und soll mich jetzt durch ein GIFT wahrscheinlich selber ins Grab befördern ? Nur damit die “Gates” dieser Welt und ihre Marionetten ihr vermutliches Ziel, die Dezimierung der Menschheit erreichen und auch nicht auf Millionen “Impf"dosen sitzen bleiben ? Wer über FAUCIS “Schandtaten”, das Buch von dem Ehepaar Bhakdi “Corona unmasked” und das Buch “Gesundheitsdiktatur”  gelesen hat, weiß, woher der Wind dreht. Den LINK dafür darf ich leider nicht veröffentlichen. Gute Nacht.

Norbert Brausse / 17.07.2021

Man kaum es nicht glauben, was im besten Deutschland aller Zeit möglich ist, wenn man sich die Fakten, und ich meine nur die Fakten, auf der Zunge zergehen lässt.

Stanley Milgram / 17.07.2021

@Petra Wilhelmi: Eben. So isses, und nu? Werden wir zur DNA-Veränderung geszwungen? Mit mir nicht, bis zum Tod!

Jochen Brühl / 17.07.2021

Hatte der Robert Habeck nicht kurz vor der letzten Wahl in einem sozialem Medium, aus dem er sich dann danach abmeldete, geäußert, dass man die Grünen wählen müsse, damit auch in Thüringen die Demokratie Einzug hielte? Die Abmeldung machte er, weil er in dem Moment vergessen hatte, dass bereits zu dem Zeitpunkt seiner Äußerung die linksrotgrüne Regierung an der Macht in Thüringen war (damals mit eigner Mehrheit). Es ist eben alles eine Frage des Standpunkts, was man unter einer richtigen Demokratie versteht. Den Überblick verliert auch der Habeck gelegentlich, wenn er auch Baerbock intellektuell weit überlegen ist. So auch bei der Bafin, die vielleicht gut darin wäre, Handwerkerrechnungen zu prüfen, aber nicht darin, so etwas wie den Wire-Card-Betrug aufzudecken. Die Handwerkerrechnungen prüft das Finanzamt, nicht die Bafin.

Maria Dreiling / 17.07.2021

Tja, da hat Thüringen jetzt das “Süd-Afrika-Problem”. Mein Vorschlag, ein Flug-Ticket zu sponsern, um wiederholt eine politische Entscheidung herbei zu führen, wurde in der Funke-Medien-Tages-Zeitung nicht gedruckt. Das sieht jetzt so aus, als ob der Bodo Ramelow - wie die Frau Merkel - bleibt und bleibt und bleibt….

Tina Kaps / 17.07.2021

Ob Bodo in Thüringen oder Armin in Gummistiefeln: Beide lachen das Wahlvolk rotzfrech aus. Richtig so!

Helmut Kassner / 17.07.2021

Nach all den verheerenden Fehlleistungen und Unterdrückungen der Kommunisten im Damaligen Ostblock und weltweit ist es mir ein Rätsel, dass sich Die CDU erneut als Blockpartei der SED (mit Namensänderung) andient. Und dass die SPD ihrer erneuten Vernichtung nach 1946 wohlwollend entgegen sieht hat vermutlich mit Todessehnsucht zu tun. Bezüglich der CDU ist es schon erstaunlich welche Macht die ehemalige Funktionärin des kommunistischen Jugendverbandes besitzt um einen ganzen Landesverband zu verzwergen, ohne dass sich dieser auflehnt. Das Abgeordnete nicht für eine Auflösung des Landtages stimmen ist verständlich. Würden doch einige dann nicht im neuen Landtag sitzen und futsch sind Diäten und Pensionen.

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