Julian Reichelt, Gastautor / 27.04.2020 / 07:41 / Foto: Superbass / 105 / Seite ausdrucken

Schluss mit Starrsinn in der Corona-Politik!

In der Corona-Krise sind nur zwei Dinge sicher:

Erstens, ob die Maßnahmen richtig oder falsch, maßvoll oder überzogen sind, werden wir erst aus den Geschichtsbüchern erfahren. Ob wir auf Corona als Gesundheitskatastrophe oder Zusammenbruch unserer Wirtschaft zurückblicken werden, ist vollkommen offen. Es ist möglich, aber keinesfalls gewiss, dass richtig ist, was gewaltige Mehrheiten für richtig halten. Es gibt keine Herdenimmunität dagegen, historisch katastrophal falsch zu liegen.

Zweitens, nahezu alle Experten, denen wir uns in dieser Krise anvertrauen (müssen), lagen mit nahezu jeder Einschätzung so falsch, dass unser Glauben an sie sich nur noch mit Verzweiflung erklären lässt. 

Sie haben das Tragen von Masken nahezu verhöhnt. Nun ist es Pflicht. Sie haben davor gewarnt, Schulen und Kitas zu schließen. Nun sind Millionen Kinder seit Wochen zu Hause. Sie haben als nutzlos abgetan, die Grenzen abzuriegeln. Nun kommt niemand mehr ins Land. Sie haben trotz aller Maßnahmen immer wieder vor dem unmittelbar bevorstehenden Kollaps unseres Gesundheitssystems gewarnt. Nun herrschen auf Krankenhausfluren gespenstische Ruhe und Angst vor Arbeitslosigkeit. 

Das Robert-Koch-Institut riet davon ab, Corona-Tote zu obduzieren. Nun geschieht es trotzdem und Rechtsmediziner sagen, dass bei Weitem nicht alle Toten tatsächlich an Corona gestorben seien. Sportanlagen mussten geschlossen werden. Nun ist Tennis in manchen Bundesländern verboten, in anderen erlaubt, obwohl es doch eigentlich lebensgefährlich ist.

Wirtschaft massiv und teilweise irreparabel geschädigt

Was mir am meisten Sorgen bereitet: Unsere Wirtschaft ist schon jetzt so massiv und teilweise irreparabel geschädigt, dass unsere Regierung sich kaum noch erlauben kann, zuzugeben, in ihrer Schärfe überzogen zu haben. 

Die Experten müssen recht behalten, weil sie nicht falsch liegen dürfen. Die deutsche Wirtschaft vorschnell ruiniert zu haben, wäre für keine Partei, vielleicht nicht einmal für die Demokratie überlebbar. Deswegen erleben wir zunehmend Sturheit, Starrsinn und Rechthaberei – „erinnert mich an Flüchtlingskrise“, sagt mir ein Mitglied aus Merkels Regierung. 

Die Kanzlerin bezichtigt jeden Zweifler der „Öffnungsdiskussionsorgie“, raunt davon, manche würden zu forsch handeln, ohne zu sagen, was sie genau meint. Der CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus macht sich in heiterer und hochrangiger Weinrunde über den Abweichler Armin Laschet lustig und alle lachen. 

Ist es in unserem Land eine gute Idee, sich in schwierigen Zeiten über Andersdenkende lustig zu machen und zu erheben?

Ich fürchte, dass sich die Interessen vieler Menschen und derer, die sie vertreten, rasant voneinander entfernen: 

• Für jeden Politiker, der sich für Lockerung der Einschränkungen einsetzt, könnte jeder Corona-Tote zum Hochrisiko werden, so nach dem Motto: „Das ist Ihr Toter, Herr/Frau Sowieso.“ 

• Für Millionen Menschen hingegen ist es verheerend, wenn ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage vernichtet wird, obwohl es weiterhin kaum Corona-Tote gibt. 

Die Politik verweigert sich dieser bitteren, aber leider notwendigen Debatte, die das unkontrollierbare Ereignis Corona uns aufzwingt. Dass der Staat niemals Menschenleben abwiegen darf gegen ein anderes Gut, ist eine noble Idee, die der Realität leider nicht immer standhält. Kanzler Schmidt entschied sich gegen Schleyer. Kanzlerin Merkel opferte für unverhandelbare Werte unseres Landes deutsche Soldaten in Afghanistan.

Nur Ideologien kennen Absolutismen

„Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble („Tagesspiegel“). „Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“

Nur Ideologien kennen Absolutismen. Die Stärke der Demokratie ist, dass sie auch die unbequemsten Debatten aushält. Wenn sie sie aber verhindert, macht die Demokratie sich überflüssig. Das Einzige, was in der Demokratie alternativlos ist, ist die Debatte.

Der geballte Starrsinn zeigt sich darin, was gerade beim Thema Fußballbundesliga geschieht. Die Industrie Bundesliga ist bereit, alles dafür zu tun, dass von ihren Angestellten keinerlei Gefahr für sie oder andere ausgeht. 

Wir reden hier über die Freiheit der Berufsausübung, die niemand anderen gefährdet, sogar weniger als vor Corona – als „Hochrisikospiele“ von hunderten Polizisten geschützt werden mussten. Trotzdem sind manche Politiker aus Rechthaberei bereit dazu, eine wertvolle Industrie zu opfern und Grundrechte massiv zu beschneiden, obwohl jedes Risiko durch Geisterspiele eine Mär ist. 

Weil es hier auch noch um Millionäre geht, ist die Bundesliga ein dankbares Ziel dieses zerstörerischen Furors. Ich sage voraus, dass wir als nächstes hören werden, die „reichen Piloten“ der Lufthansa müsse man nun wirklich nicht mit Steuergeldern retten. Was für ein Irrsinn!

Ich möchte mir nicht ausmalen, wie wir in drei, vier Jahren auf diese Wochen und Monate zurückblicken werden, wenn das Durchschnittsalter der Toten über der durchschnittlichen Lebenserwartung liegen sollte, Millionen Arbeitslose auf der Straße sitzen, der Mittelstand, der Hartz IV finanziert, vernichtet ist. Wenn viele Restaurants für immer geschlossen haben, aber die Suppenküchen geöffnet sind. Auch daran sollte die Bundeskanzlerin denken, wenn sie ihre nächste Regierungserklärung hält.

Dieser Beitrag erschien zuerst hier auf bild.de. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Richard Loewe / 27.04.2020

Die Bild naehert sich der 1-Million-Grenze und wechselt von Kanzlerhuldigung ins Gegenteil. Mal sehen, ob es reicht. Fuer beide, Bild und Deutschland.

Neil Hodgson / 27.04.2020

@Stefan Töns you have put your finger on it ! Und so verborgen ist der Plan gar nicht… Das ,,neue normal” wird doch schon oft erwähnt. ,,Schöne” neue Welt,mir graut vor Dir !!!

Robert Schleif / 27.04.2020

Ob das berühmte Experiment mit dem Frosch im Kochtopf funktioniert – weiß ich nicht und möchte es als Tierfreund auch nicht ausprobieren. Mit Menschen scheint es in jedem Fall zu klappen. Selbst dem dämlichen deutschen Durchschnittswähler würde ich nicht unterstellen, die NSDAP gewählt zu haben, hätte er den Holocaust, den Zweiten Weltkrieg und die anschließende Teilung und Knebelung der Nation schon 1933 „mit auf der Karte“ gehabt. Auch in einer Volksabstimmung hätte sich 2015 wohl nicht einmal die Hälfte der eingefleischten Gutmenschen für den Open-End-Zuzug von jetzt über 3 Millionen Migranten entschieden. So ist es nun auch bei der Corona-Krise: Ein paar Wochen länger Isolation und Abwürgen überstehen wir auch noch, „um das bisher Erreichte“ (Zerstörung der mittelständischen Wirtschaft? Zerrüttung der sozialen Bindungen? Vergewaltigen der Freiheit? Dressur des Untertanen?) nicht zu gefährden!  Das bisschen Steuererhöhung mehr ertragen wir auch noch, das bisschen Sparen am Allgemeinwohl und an der Infrastruktur müssen wir halt akzeptieren, das bisschen Abbau unserer Kultur tut Linksgrün gut, das bisschen Abbau der Rede-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit bekommen wir doch ohnehin kaum noch mit, das bisschen Ausspioniertwerden dient doch der Sicherheit und das bisschen Bargeld kann Frau Merkel auch bald abschaffen und dafür Bezugsscheine für Toilettenpapier, Masken und Büchsennahrung ausgeben.

Eberhard Berger / 27.04.2020

Um die deutsche Wirtschaft zu ruinieren, braucht es die Corona-Pandemie nicht (mehr). Es geht halt nur ein bisschen schneller.

Steffen Rascher / 27.04.2020

@Carlos Redder   Die Umfragen werden von Studenten vorgenommen, und zwar auf dem Campus, weil’s bequem ist. Man könnte es auch schätzen, wie der Großteil der Coronazahlen überwiegend geschätzt sind. Die Menschen müssen nicht unbedingt blöd sein und sie verfolgen ihre eigenen Interessen.

Belo Zibé / 27.04.2020

Sind unsere unverhandelbaren Werte, die Merkel   in Afghanistan verteidigen liess nicht jene , die hier täglich, mitunter schmerzhaft,  neu ausgehandelt werden sollen?  35 Jahre systemkonformes Verhalten in der DDR und was Merkel bis heute bestreitet,  FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda (Agitprop), haben ebenso Spuren hinterlassen, wie dies bei Protagonisten aus der Ouvertüre zur DDR der Fall war, die sowohl im Westen als auch im Osten wiederum die obersten Plätze belegten .  Sie hätte im Grunde im Westen niemals in politische Führungspositionen kommen dürfen. Dass dies dennoch geschehen konnte liegt an der westdeutschen Hybris und Ignoranz.

K.H. Münter / 27.04.2020

Das hätte ich mir gestern noch nicht vorstellen können, daß der Herr Reichelt von BILD so etwas schreibt. Aber er liegt da richtig.

Dr. Hans Christ / 27.04.2020

Alles richtig! Nur wird das keinen Einfluß  haben.  Die Mehrheit der Bürger ist schlichtweg zu dumm bzw.  ignorant,  um den dafür Verantwortlichen die rote Karte zu zeigen! Siehe aktuelle Umfrage, soferne sie nicht getürkt ist. Bei uns in Österreich übrigens auch!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Julian Reichelt, Gastautor / 02.03.2021 / 06:25 / 197

Der Staat scheitert – und zahlt es uns heim

Von Julian Reichelt. Nein, niemand hätte sich eine Pandemie dieses Ausmaßes ausmalen können. Aber den Staat, in dem wir derzeit leben, hätte ich mir genauso…/ mehr

Julian Reichelt, Gastautor / 22.11.2019 / 13:31 / 108

Angela Merkel: Lügen, so durchsichtig wie Frischhaltefolie

Von Julian Reichelt. Der Chefredakteur der BILD-Zeitung rechnet mit Angela Merkel ab Vor fast genau drei Jahrzehnten fiel die Berliner Mauer, heute vor genau 14 Jahren wählte…/ mehr

Julian Reichelt, Gastautor / 10.10.2019 / 09:30 / 166

Nie wieder!

Von Julian Reichelt. Es ist nicht schwer, sich zu merken, wozu unser Land aus unserer Geschichte heraus bedingungslos verpflichtet ist. Diese Verpflichtung, dieser Schwur an…/ mehr

Julian Reichelt, Gastautor / 13.08.2019 / 06:23 / 130

Wer kein jüdisches Leben in Deutschland will, den wollen wir nicht!

Von Julian Reichelt. Berlin, die Stadt, in der der Holocaust geplant wurde, ist in den letzten Jahren zur deutschen Hauptstadt des Judenhasses geworden. Wer die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com