Richard Wagner / 31.08.2010 / 03:58 / 0 / Seite ausdrucken

Sarrazin für Erwachsene

Der gestrige Montagabend war ein Abend der Rekorde. Wer immer schon mal die Chefredakteure aus der öffentlich-rechtlichen Parallelgesellschaft, und ihre Stellvertreter dazu, zu Gesicht bekommen wollte, hatte seine große Gelegenheit. Darüber hinaus konnte man sich von ihren jeweiligen rhetorischen Fähigkeiten überzeugen, denn die Redekunst war gestern Abend mächtig gefordert.

Es galt nicht mehr und nicht weniger, als die Demokratie zu verteidigen, zumindest das, was noch von ihr übrig ist, den eigenen Realitätsverlust, und die Migranten dazu. Wer genau hinsah, erkannte es auf den ersten Blick: Fast jeder dieser bedeutenden Männer von der obersten Etage hielt beim Reden jeweils einen Migranten im Arm oder hatte ihn wenigstens auf der Schulter sitzen, und zwar mit einer Leichtigkeit, die schon dem oberflächlichen Betrachter verriet, dass die betreffenden Migranten auch sonst auf der Schulter herumgetragen werden, und zwar mit einer Empathie, wie sie nur in Deutschland möglich ist.

Nachdem in den letzten Tagen bereits die Avantgarde unserer politische Klasse und ihr Posaunenorchester angetreten waren, um den Bösewicht davon abzuhalten, die singenden Kreuzberger Jungs zu beleidigen, war es heute, nach erfolgter Pressekonferenz, an den Journalisten die Leitplanken zu streifen.

Den Höhepunkt des Abends gestaltete aber auch am Tag des multikulturellen Widerstands Beckmann, der souveräne Sprecher von Buckeldeutschland. An seinem Tisch nahmen nicht nur Größen aus Politik und Kultur, Wissenschafts- Entertainment und aus dem Vorstand der ältesten Partei aller Volksparteien Platz, auch der Autor des gefährlichen Buches durfte dabei sein, schließlich sind wir eine Demokratie. Autsch.

So verschieden die Menschen, die um den Tisch saßen, auch waren, eines hatten sie gemeinsam, den Abstand zur Unperson, die dem Gastgeber gegenüber saß, und als wäre das nicht schon der Ehre genug, auch noch mitreden wollte. Dabei war er in die Runde gar nicht aus dem Grund eingeladen worden, sondern um ihm die Leviten zu lesen, und zwar vor den Augen der gesamten Nation. Früher nannte man es einen Schauprozess.

Aber wir wollen nicht übertreiben. Der Rest der Runde bestand aus Empörten und Anklägern, aus Claqueuren. Sie übertrafen sich geradezu in der Verurteilung von Statistik und Genetik, und allem anderen aus dem Nähkästchen des Übeltäters, das er zwecks unglaubwürdiger Schilderung von Realität in Deutschland bei sich trug.

Realität? Davon hatten die Anwesenden anscheinend bis dato nur wenig gehört. Jedenfalls hatten sie recht wenig mit der Realität im Sinn. Frau Künast schilderte, sie habe das Buch im Zug nach Hamburg gelesen, 464 Seiten sind es, eine echte Leistung, muss man ehrlich zugeben. Neben ihr saß das Beispiel einer vorbildlichen Integration, Halb-Inder und allen kindlich gebliebenen bekannt durch seinen Wissenschaftszauber im Gebührenguckkasten. Aufgrund seiner immensen Kenntnisse aus den Naturwissenschaften versetzte er den Autor kurzerhand um 200 Jahre zurück. Das hätten wir auch gerne gehabt. Darwin statt Ranga Yogeshwar. Das Buch sagte er, tauge gar nichts, es sei vollkommen überflüssig, oder so ähnlich, warum aber stört es dann so?

Auf der anderen Seite des Tisches saß unsere erste muslimische Ministerin aus Hannover, die unlängst aufgefallen war, weil sie unsere Kultur durch eine Verpflichtung der Medien zur „kultursensiblen“ Berichterstattung bereichern wollte. Sie dachte damit wohl unsere Demokratie etwas origineller zu gestalten und sie mit etwas weniger Pressefreiheit zu belasten. „Kultursensibel“ ist übrigens ein Begriff aus der Altenpflege.

Die Ministerin wurde an diesem würdevollen Abend nicht darauf angesprochen. Es war ja auch nicht der Grund ihrer Anwesenheit. Vielmehr war sie da, um dem Buchautor zu beweisen, dass die eingewanderten Türken nicht dumm sind. Neben ihr saß ein gewisser Olaf Scholz, der schon länger nicht mehr zu sehen war, er sitzt ja auch bloß im Vorstand der SPD, und es gab keinen Grund von dieser Partei zu reden, ihr bekanntestes Mitglied zurzeit ist der bereits erwähnte Sarrazin, aber auch das soll sich, wie Scholz uns versicherte, ändern. Sarrazin fliegt raus. Dann sind alle Menschen wieder gleich, zumindest in der SPD.

Um uns endgültig von der Bereicherung durch die Einwanderung zu überzeugen, hatte man die schönste Halb-Iranerin Deutschlands zugeschaltet, eine Spezialistin in der Interpretation von Statistiken -  mit dem Aussehen einer Hollywood-Diva. Man sah es ihr auf den ersten Blick an, auch wenn Deutschland ihr noch nicht gehört, so liegt es ihr jedoch bereits zu Füssen.

Aber zurück zur Sache: Ab und zu durfte sogar Sarrazin etwas sagen, doch im Grunde hätte die Pokerfacerunde, die um den Tisch saß, die Gespräche auch ohne ihn führen können, sozusagen ungestört. Ansonsten wurden sie nicht müde, uns zu versichern, dass alles kein Problem sei, weder das Schnäppchen Bildung, noch das Bisschen Arbeit. Die Einwanderer, so die Botschaft, speziell die Muslime, freuen sich regelrecht, wie es hieß, dass es auch noch uns Deutsche gibt, sonst müssten sie ja das Ding alleine schaukeln, und womöglich wäre es dann irgendwann auch in Hamburg wie in der Türkei. Das aber möchten sie nicht, zumindest nicht ganz so, sonst wären sie ja nicht hier. Meinen wir.

Als ich dann vorsichtig den Fernseher ausmachte, dachte ich bei mir: Jetzt ziehen die alle heimwärts in die Quartiere, in denen sie Tür an Tür mit diesen netten Arabern wohnen, die ihnen wortreich für die Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik gegen Sarrazin und sein Machwerk gratulieren. Ich aber griff ins Bücherregal, nach Gryphius und Heine, nach Eichendorff und Georg Heym, legte mich schlaflos ins Bett und begann zu meinem Trost zu lesen.

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