Gastautor / 09.10.2008 / 15:59 / 0 / Seite ausdrucken

Richard Herzinger: Kapitalismus ist für alle da!

Von allen denkbaren politischen Systemen sei die Demokratie das am wenigsten schlechte, meinte sinngemäß Winston Churchill. Dasselbe gilt auf dem Gebiet der Wirtschaft für den Kapitalismus.

Das sollte gerade heute betont werden. Denn angesichts der internationalen Finanzkrise wird der Kapitalismus von allen möglichen Seiten für gescheitert erklärt, ihm werden gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit und Unverträglichkeit, wenn nicht Gemeingefährlichkeit vorgeworfen. Schnell sind Kommentatoren bei der Hand, die nach Verstaatlichungen oder zumindest verschärfter staatlicher Kontrolle über das Finanzwesen rufen. Als hätten sich Staatsbanken wie die IKB in dieser Äffäre rationaler verhalten als private!

Dass maßlose Finanzjongleure, inkompetentes Management und fehlende oder versagende Kontrollmechanismen das internationale Finanzsystem an den Rand des Abgrunds gebracht haben, ist freilich unbestreitbar. Doch wer jetzt die bösen Finanzkapitalisten verdammt und dagegen etwa die Tugenden des ehrlichen, bodenständigen Familienunternehmers oder gleich die vermeintlich unendliche Weisheit von Vater Staat und seiner Vertreter preist, begibt sich in bedenkliche Nähe der unseligen Entgegensetzung von „raffendendem“ und „schaffenden“ Kapital.

Es stimmt allerdings: ohne Transparenz und verbindliche Regeln kann der freie Markt nicht funktionieren – und sich nicht selbst korrigieren. Das haben auch und gerade Vertreter der reinen kapitalistishen Lehre wie Friedrich Hayek und Milton Friedman stets gepredigt. Denn gerade wenn der Markt durch Regellosigkeit aus den Fugen gerät, öffnet er dem Durchgriff staatlicher Gängelung Tür und Tor. Mehr noch: Kapitalismus und Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden – auf andere Weise freilich, als es die Moralpredigten von Kapitalismuskritikern suggerieren. Seiner Verantwortung gegenüber dem Ganzen – der Gesellschaft, der Menschheit – kommt er nicht primär dadurch nach, dass sich individuelle Kapitalisten sozial enagieren und als besonders gutherzige, selbstlose Menschen erweisen.

Die Stärke des kapitalistischen Sytems liegt vielmehr gerade darin, dass es auf die guten Absichten und edlen Motive seiner Akteure nicht angewiesen ist, um Gutes zu bewirken. Adam Smith, der Urvater des Wirtschaftsliberalismus, sah gerade in der möglichst ungehinderten Entfaltung der Einzelinteressen in einer freien Wirtschaft die beste Voraussetzung dafür, den Wohlstand aller zu heben und damit der Verantwortung der Ökonomie für das Gesamtwohl gerecht zu werden. Wie spätere enthusiastische Vordenker des Kapitalismus sah freilich schon Smith in dieser Sicherung der Wohlfahrt der Nationen die eigentliche ethische Legitimation einer freien Wirtschaft. Geistige, gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit gehörten nicht nur für Smith, sondern für alle großen Aufklärer des 18. Jahrhunderts, von Voltaire bis Kant, untrennbar zusammen.

Das galt später auch für die sogenannten „Manchester-Liberalen“ des frühen 19. Jahrhunderts, die heute zu Unrecht in dem Geruch stehen, rücksichtslose Ausbeutung propagiert zu haben. Im Gegenteil: „Manchester-Liberale“ wie Richard Cobden stritten für den freien Welthandel ausdrücklich deshalb, weil sie nur darin die Chance für die Verbesserung der sozialen und politischen Rechte der arbeitenden Klassen sahen. Ungeachtet schwerer Krisen hat der Kapitalismus die Mission, die ihm seine enthusiastischsten Vordenker zugedacht hatten, historisch eindrucksvoll erfüllt – und erfüllt sie noch heute: durch die Entfaltung freien Handels immer größere Schichten der Bevölkerung und immer mehr Völker an den Reichtümern der Menschheit teilhaben zu lassen. Der Kapitalismus bietet damit eine weltliches System der Umsetzung jener ethischen Maxime, wie sie etwa in jüdischer Tradition als Zedaka oder „ausgleichende Gerechtigkeit“ bekannt ist.

Durch die Globalisierung wachsen heute ehemalige Länder der „Dritten Welt“ zu ökonomischen Großmächten heran, die weltweite Armut sinkt. Nicht zuletzt aber, weil sich immer mehr Menschen an den internationalen Finanzmärkten beteiligen können und von ihnen profitieren wollen, schwollen sie in jene immense Dimensionen an, in denen viele Finanzjongleure die Maßstäbe verloren. Ohne Risiken wird dieser Globalkapitalismus auch in Zukunft nicht zu haben sein. Auch in gute Menschen mit vorbildlichem sozialen Verantwortungsbewusstsein werden sich nicht alle Akteure auf den Finanzmärkten verwandeln. So viel Eigenverantwortung kann aber von ihnen verlangt werden, dass sie nicht das System in die Luft sprengen, von dem sie selbst profitieren wollen. Ohne Rückbesinnung auf das ethische Gründerpathos des Kapitalismus wird das nicht gehen.

Erschienen in der Jüdischen Allgemeinen, 9.10.08

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 28.02.2024 / 12:00 / 22

In 10 Jahren keine europäischen Auto-Massenhersteller mehr

Von Matthias Weik. Der Standort Deutschland ist durch zu hohe Energiepreise, Steuern und Abgaben viel zu teuer und international nicht wettbewerbsfähig. Das Elektroauto ist nicht die Antwort, sondern…/ mehr

Gastautor / 25.12.2023 / 06:00 / 57

Musk have?

Von Rocco Burggraf. In Elon Musk hat sich der Kapitalismus, ganz im Sinne von Ayn Rand, mal wieder neu erfunden. Und zwar, indem er kantiges…/ mehr

Gastautor / 31.10.2023 / 06:15 / 62

Die Bitcoin-Reformation des Finanzwesens

Von Okko tom Brok.  An einem schicksalsträchtigen 31. Oktober, während die Welt am Rande des Chaos irrlichterte und die Mächtigen ihrer Zeit in banger Sorge…/ mehr

Gastautor / 02.10.2023 / 06:15 / 74

Wohnungsbau-Politik auf sozialistische Art – und was man tun könnte

Von Peter Pedersen. Um die implodierende Bauwirtschaft vor ihrem totalen Niedergang zu retten, ergreift die Bundesregierung die für sie einzig logische Konsequenz, auf die wirtschaftsschädlichen…/ mehr

Gastautor / 16.09.2023 / 15:00 / 16

Ein Obstkorb gegen den Fachkräftemangel?

Von Johannes Witt. Womit locken Headhunter und Personalabteilungen: Homeoffice? Flexible Arbeitszeiten? Tischkicker? Firmenwagen? Ein vernünftiges Gehalt? Steuerfreie Arbeitnehmergeschenke? Nein! Alles unwichtig. Der kostenlose Obstkorb ist…/ mehr

Gastautor / 16.09.2023 / 10:00 / 33

Kein Fleisch, nur sonntags Insekten!

Ernährungswende: Aus Klimagründen soll auch die Lebensmittelproduktion in Europa umgestellt werden. Globale Planwirtschaft soll die nationale und regionale Lebensmittelproduktion ersetzen. Auch Insektenzucht soll zu einem Big…/ mehr

Gastautor / 19.06.2023 / 16:00 / 31

Neun deutsche Kardinalfehler

Von Matthias Weik. Sollte die Politik nicht zeitnah das Ruder herumreißen, dann wird Deutschland an seiner von Ideologie getriebenen Energiepolitik, seiner nicht wettbewerbsfähigen Steuer-, Bildungs-…/ mehr

Gastautor / 07.06.2023 / 12:00 / 25

Zentralbank für Wirtschaftsverlust

Von Annette Heinisch und Martina Binnig.  Trotz überschwänglichen Eigenlobs anlässlich 25 Jahre Europäische Zentralbank gleicht ihre Bilanz einem Schadensbericht: Tatsächlich hat die EZB Wohlstandsverlust und…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com