Burkhard Müller-Ullrich / 13.06.2008 / 12:30 / 0 / Seite ausdrucken

Prinzlicher Preis für kleine unbekannte Suchmaschine

Die Horrorvisionen des Club of Rome haben sich nicht bewahrheitet, die Erdbevölkerung wächst nicht so schnell wie einst vorhergesagt; insbesondere in China mit seiner Ein-Kind-Politik nimmt die Menschenmenge nur noch ganz allmählich zu – und schon entsteht ein neues, völlig anders geartetetes Problem, nämlich bei der Vergabe von Kulturpreisen. Kulturpreise sind darauf angewiesen, daß es auf der Welt genügend Rezipienten gibt, und das ist, wenn die Weltbevölkerung nicht explodiert, höchst fraglich. Denn die Menge der zu vergebenden Kulturpreise hört nicht auf zu explodieren.

Man braucht in diesem Jahr der Mathematik keine besondere Unterweisung, um zu erkennen, daß hier eine Schere aufgeht zwischen der Anzahl der Preisstifter und jener Preisempfänger. Wenn der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels schon an den Kunsthandwerker Anselm Kiefer geht, dann zeigt dies einen so dramatischen Kandidatennotstand an, daß man froh sein kann, nicht auch Michael Schumacher, Joanne K. Rowling oder Al Gore in der Frankfurter Paulskirche geehrt zu sehen.

Aber zum Trost für die Genannten: sie haben bereits alle den Prinz-von-Asturien-Preis bekommen – genauso wie Woody Allen, das Volk von Puerto Rico, Günter Grass, CNN, Ralf Dahrendorf, die UNICEF, Steffi Graf, die Internationale Raumstation ISS und das Jugend- und Kinderorchesterwerk in Venezuela. Der Prinz-von-Asturien-Preis – gegründet vor 28 Jahren, vergeben in acht Sparten und dotiert mit je 50 000 Euro – ist ein schönes Beispiel für den Totalitarismus des Preisens überhaupt.

Es liegt eine geradezu rührende Omnipotenzphantasie in der massenhaften Preisemanation von Jurys und Gesellschaften, Einzelpersonen und Großorganisationen, und der Auszeichnungs-Orgasmus fällt um so prächtiger aus, je größer das Prominenzgefälle zwischen der empfangenden und der gebenden Seite ist. Hier der Weilheimer Literaturpreis, dort Wolfgang Hildesheimer, Siegfried Lenz und Wole Soyinka. Dort Nelson Mandela, Bob Dylan und Google, hier eine Reklamestiftung des spanischen Thronfolgers Felipe de Borbón y Grecia.

Ja, richtig gehört: Die Firma Google, Marktwert: 82 Milliarden Dollar und nach neuesten Analysen die bekannteste Marke der Welt, gehört diesmal auch zu den durch asturische Belobigung aus dem Dunkel der Anonymität hervor- und herausgehobenen Wesenheiten. Damit das preisökologische Gleichgewicht in den Kulturtümpeln dieser Erde nicht vollends kippt, sollte man vielleicht außerhalb von Weilheim und Asturien ein paar preisfreie Zonen einrichten oder wenigstens die gleichzeitige Vergabe von mehr als zehn Preisen durch denselben Stifter untersagen oder jedem Preisempfänger gleich noch neun andere Auszeichnungen zukommen lassen. Oder mir wenigstens mal eine.

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