Henryk M. Broder / 26.03.2016 / 20:41 / Foto: Vmenkov / 22 / Seite ausdrucken

Potzblitz, sagt der Risikoforscher. Es gibt Gefährlicheres als den Terror

Falls Sie bis eben nicht gewusst haben, wofür das Kürzel IASS steht oder gedacht haben, es handle sich um eine Weiterentwicklung des International Space Station, kurz ISS, dann machen Sie sich nichts daraus. Anders als GNTP oder DSDS ist IASS kein Begriff, der beim Paarduell mit Jörg, Frank und Anne jemals abgefragt würde. Er steht für Institute for Advanced Sustainability Studies.

Das Institut, pardon: Institute, ist ein eingetragener Verein, der am Tropf der Öffentlichen Hand hängt. Er wird, wie man der IASS-Homepage entnehmen kann, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg "gefördert". Dafür beantwortet das Institute Fragen ganz im Sinne der Fragesteller, also seiner Förderer. Zum Beispiel: "Wie trägt Deutschland zu einer globalen Energiewende bei?" Indem es mit gutem Beispiel vorangeht: "Die deutsche Energiewende hat internationale Signalwirkung. Das weltweite Interesse am Umbau des deutschen Stromsektors ist immens." Ja, Völker der Welt, schaut auf dieses Land und seine Windräder!

Überhaupt wird die internationale Zusammenarbeit ganz groß geschrieben. So hat das IASS eine Kooperation mit der in Katmandu weltberühmten Nepalesischen Akademie für Wissenschaft und Technologie "im Bereich der Forschung zur Nachhaltigkeit" vereinbart. Man hat sogar bereits "eine Absichtserklärung" unterschrieben. Natürlich in Katmandu.

Aber das ist es nicht, worauf ich hinaus wollte. Ich bin über das IASS nur gestolpert, weil ich vor ein paar Tagen während einer längeren Autofahrt ein Interview mit dessen Chef, Prof. Dr. Ortwin Renn, gehört habe. Er ist nämlich auch ein international anerkannter deutscher Risikoforscher.

In dieser Eigenschaft wurde er gefragt, wie man nach den Ereignissen von Brüssel mit dem "Gefühl der Angst" umgehen sollte. Indem man sich mit der Statistik vetraut macht, antwortete Renn: "Es ist in Europa wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen zu werden, als ein Opfer eines Anschlags zu werden, wir können uns auch durch Wissen manchmal ein stückweit von der Angst befreien."

Ich dachte, mich trifft der Blitz. Obwohl ich natürlich weiß, dass man mit Hilfe der Statistik alles beweisen kann, auch dass deutsche Professoren weltweit zu den dümmsten gehören, weil sie die wenigsten Nobel-Preise bekommen. Und mir fiel ein, dass nach den Anschlägen von 9/11 ein paar akademisch verbildete Klugscheißer die Zahl der Terroropfer ins Verhältnis zu der Zahl der Verkehrstoten in den USA setzen und daraus die Empfehlung ableiteten, die blöden Amis sollten sich nicht so anstellen, kämen doch bei Verkehrsunfällen weit mehr Menschen ums Leben als bei Terroranschlägen.

Solche Überlegungen werden immer nur im Zusammenhang mit Terroranschlägen angestellt. Würde es ein verblödeter Nachhaltigkeits- oder Risikoforscher wagen, den Eltern der Schüler, die beim Absturz der Eurowings-Maschine vor einem Jahr in den Alpen zu Tode gekommen sind, zuzurufen: "Haltet inne und denkt daran, die Wahrscheinichkeit, von einem Blitz getroffen zu werden, ist größer als die, in einer Maschine zu sitzen, deren Kopilot Selbstmord begehen will!", würden ihn die Angehörigen der Getöten in kleine Stücke reißen und an die Geier verfüttern. Das Risiko, so zu enden, kann aber vernachlässigt werden, denn kein Mensch käme auf die Idee, so etwas zu sagen, nicht einmal ein Junkie im Crystal-Meth-Rausch. Und falls doch, würde Deutschlandradio Kultur den Notarzt rufen, statt das Erbrochene zu senden.

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Hermes Conrad / 28.03.2016

Es dürfte auf jeden Fall sinnvoll sein, sich die fallspezifische Risikoexposition anzuschauen, was in solchen Artikeln oft nicht geschieht. Z.B. sterben Frauen niemals an Prostatakrebs und Männer niemals an Eierstockkrebs. Wenn man annimmt, dass 90% der Gewittertoten beim Golfspielen ums Leben kommen, so sollte man berücksichtigen, dass dieses Teilrisiko für jemanden, der niemals Golf spielt, wegfällt. Man könnte also, je nachdem, wie die Risiken unter Beachtung aller individuellen Faktoren aussehen, statt zu argumentieren, dass die Menschen Risiken falsch einschätzen, eben auch argumentieren, dass die Menschen ihr persönliches Risiko unter Berücksichtigung dieser Faktoren eher richtig einschätzen als manche Wissenschaftler, die sie diesbezüglich beruhigen wollen, dabei aber die individuelle bzw. fallspezifische Risikoexposition vernachlässigen. Zu den Verkehrsrisiken: Ein Motorradfahrer hat auf derselben zurückgelegten Strecke ein 18 mal höheres Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu sterben wie ein Autofahrer, der (gefährdeter ist als die Autofahrerin, besonders stark aber dann, wenn er sehr jung oder sehr alt ist und ohne Berücksichtigung dieser Aspekte) wiederum fünfmal riskanter unterwegs ist als der Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs, wobei dieser ein 20 mal höheres Risiko hat als der Nutzer der Eisenbahn und der Bahnfahrer wiederum ein zehnmal höheres als jemand, der fliegt (, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass das Risiko fast nur Start und Landung betrifft, also kürzere Flüge riskanter sind als längere). Die individuelle Risikobewertung bedeutet hier, dass jemand, der in die U-Bahn oder in die Eisenbahn steigt, mit einem geringeren Risiko rechnet als jemand, der aufs Motorrad steigt. Deswegen dürfte man die Todesopfer bei Verkehrsunfällen nicht in einen Topf werfen. Zu Fuß zu gehen ist übrigens auch nicht gerade ungefährlich - wobei man allerdings z.B. bei einem Waldspaziergang höchst selten von einem Auto überfahren wird, in angetrunkenem Zustand bei der Überquerung einer Schnellstraße aber um so häufiger. Vorsichtige Menschen schätzen Risiken außerdem vermutlich allgemein höher ein (und sind eben deswegen vorsichtiger). Wenn man denen nun erzählt, dass ihr Risiko, bei einem Fallschirmsprung ums Leben zu kommen, viel höher ist als das Risiko, bei einem Terroranschlag zu sterben, dann entspricht das nicht der Wahrheit, wenn diese Menschen niemals einen Fallschirmsprung wagen würden. Aber dazu könnte Ihr Kollege Herr Prof. Krämer sicher viel Qualifizierteres schreiben als ich.

Beatrice Hamberger / 28.03.2016

Leute, die hier Herrn Renn in Schutz nehmen, haben den Kern der Aussage nicht begriffen. Da wird ein mit öff. Gelder finanzierter Statistiker vorgeschickt, um dem Volk - mit durchaus objetive Daten - eine Beruhigungspille zu geben.  Seht her,  Deutschland ist sicher!  Etwaige Zusammenhänge zwischen massenhafter Zuwanderung und aktueller Bedrohungslage werden so gleich mit im Keim erstickt. Dabei ist die Bedrohungslage hoch, noch höher - dann macht es Bumm! ( Zitat eines Sicherheitsbeamten in der Welt) Dieses Szenario scheint mir wesentlich realistischer, als dass jemand in Deutschland vom Blitz getroffen wird. Statistik hin oder her.

Kay Kastning / 28.03.2016

Lothar Buchmann: Das wird die belgischen, französchischen, tschechischen oder polnischen Meiler nicht davon abhalten, im Falle eines GAU ihre Strahlung auf über Deutschland zu verteilen. Der deutsche Atomausstieg ist weder gut geplant, noch europäisch abgestimmt, ein Alleingang, wie in der Flüchtlingskrise.  Aber der dt. Michel wird schon alles bezahlen, auch die Nachforderungen der Energiekonzerne. Übrigens werden wir noch sehr lange auf fossile Energie angewiesen sein, solange Windenergie nicht permanent zu erzeugen ist und die Zwischenspeicherung faktisch physikalisch nicht gelöst ist, und ob Braunkohle nun soviel zum Thema Klimaschutz beiträgt? Tchernobyl und Fukushima sind sicherlich Mahnmale, aber für was? Für die Unfähigkeit der russischen Betreiber (damals war die Uraine noch GUS-Staat), vernüftige Wartungen vornehmen zu lassen und für die Unfähigkeit der japanischen Verwaltung, ein Kernkraftwerk in einer Erdbeben-Region anzusiedeln, ohne höhere Sicherheitsvorkehrungen zu verlangen.  Kernenergie ist gefährlich, die Endlagerung immer noch strittig (wie lange wird allein in Deutschland daran gesucht…), aber wenn sie so gefährlich wäre, wie man der Bevölkerung weis machen will, warum produzieren tagtäglich 93 AKWs in Europa Energie und es sind 13 neue Anlagen geplant (in Europa) ?

Uwe Dippel / 28.03.2016

Statistik ... Seltsam, dass es einige Apologeten der ungezügelten Grenzöffnung es bis hierher geschafft haben. Offenbar um zu erklären, warum statistische Einzelfälle nicht geeignet sind, sie von ihren Überzeugungen abzubringen. Flugzeug ist dabei ganz schlecht, weil unvergleichbar. Immerhin hat jeder eine Freiheit, einzusteigen oder eben nicht. Wenn mir mein nächstes Einkaufszentrum in die Luft fliegt, und ich mit dem Einkaufszentrum, ist das anders. Oder gar mein Wohnblock. Die Relativierung kann einem schon auf den Zeiger gehen ... es ist ja nicht nur die Gefahr selbst, z.B. im Flieger, die nach spätestens 15 Stunden vorüber ist. Sehen Sie sich an, unter welchen Bedingungen die Einwohner von Paris oder Brüssel seit Monaten leben, und leben müssen. Da sind Millionen betroffen. Statistik ist mir soweit vertraut, dass ich tatsächlich im Moment keine Angst vor einem Terroranschlag hätte, der mir Gesundheit oder gar Leben ruinieren würde. Erzählen Sie das mal den Leuten, die mit mehr islamistischen Fundamentalisten zu tun haben, in Nigeria, Pakistan, Afghanistan, oder auch im Irak. Auch eine statistisch verschwindend kleine Anzahl von ‘nur Einzelfällen’ - also einige hundert oder tausend in der gesamten Bundesrepublik Deutschland - kann die Situation sehr schnell umkippen lassen, auch statistisch. Deshalb jetzt zu sagen ‘iss doch nix passiert!’ wäre alles andere als schlau. In meiner Jugendzeit war ‘einfach vorher rausziehen’ für viele Menschen das Verhütungsmittel der Wahl. Die Statistik dahinter ist die gleiche. Und der ‘Erfolg’ ist ebenso wenig verschieden. 1 Million+ Migranten, davon 100000+ unregistriert, und bisher kein Anschlag in Deutschland spricht für manche Menschen Bände: “Alles okay, machen wir doch ruhig so weiter.” Manchmal ist ‘Aufhören’ genauso zu spät wie rausziehen.

Carl Meinen / 28.03.2016

Einigen Kommentatoren scheint der Unterschied nicht klar zu sein: Der Unterschied zwischen einer realen Bedrohung und einem Lebensrisiko. Der Terrorismus ist eine Bedrohung; der Tod durch Blitzschlag ein Lebensrisiko. Das eine kann bekämpft werden; das andere wird in einer Relativität gemessen.

Dietmar Schell / 28.03.2016

@Steffen Ahrens Sie mögen mit Ihren Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen ja recht haben, was die aktuelle Statistik angeht. Sie verkennen aber, dass die “Angst” in diesem Fall mehr ist als nur ein dummer Reflex. Sie weiß durchaus die Geschehnisse in die Zukunft zu projizieren und aktuelle Entwicklungen zu extrapolieren. Das heißt: Die Menschen rechnen mit einer Zunahme der Ereignissse, und wenn die Politik nach wie vor untätig bleibt, sogar mit einer deutlichen Zunahme. So irrational ist das nicht. Irrational ist es, wenn man unter den aktuellen Umständen eine Konstanz der Wahrscheinlichkeit für Terroranschläge in der Zukunft erwartet.

Thomas Baader / 28.03.2016

“Solche Überlegungen werden immer nur im Zusammenhang mit Terroranschlägen angestellt.” Genauer: mit islamistischen Terroranschlägen. Unsere Denker kämen ja niemals auf die Idee, rechtsextreme Morde auf diese Art und Weise runterspielen zu wollen, obwohl die Relationen hier natürlich exakt dieselben wären. Denn natürlich ist in Deutschland die Chance, sein Leben im Straßenverkehr zu verlieren, deutlich höher, als es durch die Taten von Neonazis zu verlieren. Und Stichwort Ehrenmorde: Für eine türkische Frau ist die Chance, von ihren eigenen Verwandten ermordet zu werden, viel höher, als von Rechtsextremen ermordet zu werden. Das alles ist korrekt, aber interessant ist doch, in welchen Zusammenhängen Argumente dieser Art auftauchen und in welchen nicht.

Martin Schott / 28.03.2016

@Steffen Ahrens, @Simon Templar: Mein Problem mit solchen Aussagen wie der von Prof. Renn ist, dass hier Terrorismus sozusagen mit einer Naturgewalt gleichgesetzt wird, die wir als solche auszuhalten hätten. Sich nicht in ein Auto zu setzen, um keinem Verkehrsunfall zum Opfer zu fallen, ist für die allermeisten Deutschen keine Wahl. Die Terroristen hingegen könnten einfach aufhören, Gewalt auszuüben.

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