Auch im Stalinismus war es so: Was nicht sein durfte, gab es auch nicht. Es stand nicht in der Zeitung, und damit war die Sache in der Regel erledigt. Wenn aber, via Westen, über dessen Hass- und Störsender, ein Thema, das nicht zu sein hatte, und deshalb auch gar nicht existierte, trotzdem zu einem Thema wurde, weil man zwar die öffentliche Meinung gleich schalten konnte, aber nicht die Gerüchteküche, und auch nicht den politischen Witz, wurde die Angelegenheit umgehend dementiert.
Man dementierte etwas, was man gar nicht kannte, und das es offiziell gar nicht gab, aber die Dementierenden taten so, als ginge es um Leben und Tod. Sie warfen sich ins Zeug, und scheuten die markigen Worte nicht, bis alles wieder vorbei war, vergessen oder überrollt von anderen Sorgen, echten, die man zwangsläufig hatte.
Der Unterschied unserer Querelen zum Stalinismus ist riesig und geringfügig zugleich. Das zeigt sich am Beispiel Sarrazin. Vor dem Mann wird seit vielen Monaten gewarnt. Er sei ein Rassist. Ein Rechtspopulist. Ein Provokateur. Der Mann ist SPD-Mitlied und arbeitet im Vorstand der Bundesbank. Wegen der Vorwürfe gegen ihn hat man zwar schon gefordert, ihn aus der SPD auszuschließen, und auch im Vorstand der Bundesbank sollte er nicht mehr sein, man hat dort zumindest versucht seinen Einfluss zu minimieren, aber man wagte es dann doch nicht gegen ihn brachial vorzugehen. Dafür hätte jemand gerade stehen müssen. Das aber vermeiden unsere heldenhaften Verteidiger des Guten.
Wir stellen fest: Einem Finanzexperten werden wegen politischer Äußerungen Konsequenzen für sein Berufsleben angedroht. Äußerungen, die er im übrigen in keinem als rechtsradikal verschrieenen Blatt getan hat, sondern im vorbildlich korrekten, geradezu salonfähigen, feinen und unauffälligen kosmopolitischen Intellektuellen-Unternehmen „Lettre international“.
Nun ist ein Buch, das die Thesen Sarrazins bündelt, erschienen: „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“. Das Interesse ist groß, aber auch die Nervosität. Die meisten haben es noch gar nicht gelesen, aber eine Meinung haben sie sich schon gebildet. Wie immer in solchen Fällen, aufgrund der Zitate, die ihnen ihre Mitarbeiter diskret auf den Morgenschreibtisch gelegt haben. So erfahren wir, dass der Grüne Ströbele wieder einmal entsetzt ist, und wundern uns nur noch darüber, wie er es fertig bringt, so viel an Entsetzen zu verkraften, ohne dabei auszusehen wie seine Parteifreundin Claudia Roth. Sein Kollege Volker Beck dagegen, der von Hasstiraden spricht, ist nicht nur entsetzt, er politisiert sein Entsetzen sogar.
Er sagt etwas Interessantes. Etwas, das sozusagen den Provokationen von Sarrazin zu Grunde liegt. Beck spricht von einer „multikulturellen Demokratie“ und behauptet die Integration sei ein „wechselseitiger Prozess“. Sollte es wirklich schon so weit sein?
Was ist denn bitte eine multikulturelle Demokratie? Ist das etwa die Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches durch die Scharia? Und wieso ist Integration ein wechselseitiger Prozess? Feiern wir demnächst Ramadan? Gehen wir ab jetzt freitags in die Moschee? Wird der Freitag zum Sonntag, oder wird der Sonntag bald auch nur noch ein Freitag sein?
Wer im Stalinismus etwas öffentlich dementierte, tat dies meistens aus Angst vor dem Gulag oder vor dem Genickschuss. Heute geschieht es aus kollektiv legitimierter Dummheit. Sie ist das Ergebnis der Angst davor, in die Wüste geschickt zu werden oder gar den sicheren Listenplatz für die nächste Landtagswahl zu verlieren.
Zu den Hauptvorwürfen gegen Sarrazin gehört der des Rechtspopulismus. Was aber ist Rechtspopulismus? Zunächst zum Populismus. Populistisch ist jemand, der dem Volk nach dem Munde redet, auch wider besseres Wissen. Das heißt zumindest, dass seine Aussagen populär sind, das heißt weit gehend von der Bevölkerung geteilt werden. Wenn also Sarrazins Ansichten populär sind, sollte man sich dann nicht nach den Ursachen erkundigen, anstatt sie bloß abzuqualifizieren?
Sarrazins Buch gehört bereits zu den meistgekauften in diesen Tagen, beim Internethändler amazon.de wird es zusammen mit Kirsten Heisigs „Das Ende der Geduld. Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“ und Jörg Schönbohms „Politische Korrektheit. Das Schlachtfeld der Tugendwächter“ angeboten.
Der Erfolg dieser Bücher zeigt das einschlägige Diskussionsbedürfnis der Bevölkerung. Dem sollte man Rechnung tragen, gerade als demokratisch gewählter Politiker. Gabriel, der SPD Vorsitzende, sollte nicht, zur Beruhigung seiner politisch korrekten Klientel, als Erstes ankündigen, er werde das Buch prüfen, sondern sich mit den Thesen seines Parteigenossen auseinandersetzen.
Das gilt für die Politik insgesamt, einschließlich für die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) die Sarrazin „pauschale Polemik gegen muslimische Migranten“ vorwirft. So spricht heutzutage eine führende Politikerin der Christdemokraten. Das ist ihr Deutsch! Warum wundern wir uns, bei einer solchen Sprache, über alles andere?