Alexander Wendt / 11.05.2015 / 14:51 / 3 / Seite ausdrucken

Perfides Albion oder: Was der europäischen Einigung im Wege steht

Jakob Augstein ist im Zweifel links. Das muss stimmen. Er sagt es ja selbst. Schon seit langem vertritt er den linken Klassiker, Juden zögen die Strippen in Deutschland und dem Rest der Welt: „Wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin.“

Als Vor- und Nachdenker mit ständigem Sitz im Hamburger Sturmgeschütz feuert er regelmäßig Böller auf den Menschheitsfeind USA. Kernkraft findet er prinzipiell gut, jedenfalls dann, wenn sie schleunigst zur iranischen Atombombe führt. Jetzt kommt ein mindestens 100 Jahre alter linker Evergreen dazu: das perfide Albion.

In seiner neuesten Spiegel-Kolumne – vor der britischen Wahl getippt, nach der Wahl erschienen -  hält er den Briten ihre Sünden vor: „Es sind immer wieder die Interessen der Finanzwelt – das unabhängige Pfund, die bevorzugte Verbindung mit New York, der Glaube an die Märkte – die einer europäischen Integration im Wege stehen.“

Aus der EU könnten die Krämer deshalb ruhig verschwinden: „Die Briten haben bisher nicht wirklich dazugehört.“ Sie seien außerdem Träumer, Schlafwandler, wofür Augstein, der Völlige Beobachter aus Deutschland, ein unabweisbares Indiz besitzt: „Die Kandidaten der beiden großen Parteien weigerten sich bis zuletzt, das Offensichtliche zu akzeptieren: Eine absolute Mehrheit war weder für David Cameron noch für Ed Miliband erreichbar.“

Die Tatsache, dass die Briten sich bei der Wahl hartnäckig, träumerisch oder wahlweise krämerseelig weigerten, sich zu beugen, wenn Deutschlands berühmtester Linker analysiert, die Perfidie also, Cameron doch mit einer absoluten Mehrheit auszustatten, wird Augstein ihnen die nächsten 100 Jahre nicht vergessen.

Im ersten Weltkrieg stempelte man in Deutschland Briefe mit „Gott strafe England“. Irgendeins der historischen Stempelsets wird sich für den linken Sturmschützen doch noch auftreiben lassen.

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Leserpost

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Sönke Greimann / 13.05.2015

Was mancher, der immer noch dem Irrtum anhängt, die europäische, gemeinsame Währung liege in der Wurzel allen Übels, offenbar beim Nachdenken stets vermeidet, ist die Erkenntnis, dass der Euro nur eine von kumulativ notwendigen Bedingungen dafür darstellt, dass es zu Problemen gekommen ist. Die zweite ist nämlich, dass eine gemeinsame Währung nur dann funktionieren kann, wenn auch eine tatsächliche Harmonisierung der wirtschaftlichen Voraussetzungen stattfindet. Wenn diese - wie in den Ländern des südlichen Europas geschehen - im Wesentlichen ausbleibt, weil bequeme und billige Kredite den Reformdruck künstlich gemindert zu haben schienen, gibt es ein böses Erwachen. Das ist aber nicht die ausschließliche Schuld des Euro. Auch nicht - wie oft behauptet - die ausschließliche Schuld jener, die ihn vielleicht etwas blauäugig eingeführt und darauf vertraut haben, dass Regierungen sich so verhalten, wie es für ihr Land langfristig am besten ist. Sondern vor allem die Schuld jener, die in der fiskalischen Führung ihrer Länder versagt haben, weil sie nicht in der Lage gewesen sind, das nötige zu tun, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten - notfalls eben auch, Länder wie Griechenland aus dem Euro zu halten, bis sie bereit dazu gewesen wären und ihren Bevölkerungen nicht zu erzählen, im Himmel sei Jahrmarkt! Dass der Euro zu Transfers innerhalb Europas führen würde, war doch sonnenklar, wenn man nicht auf den Frontallappen saß. Wie auch sonst wäre es denkbar, die wirtschaftlichen Verhältnisse in einer so umfassenden gemeinsamen Währungszone langfristig zu homogenisieren? Das hat aber nicht stattgefunden. Stattdessen weigerten sich Verantwortungslose Verantwortliche über Jahrzehnte hinweg, von alten Gewohnheiten abzulassen. Eine Abwertung wird immer dargestellt, als sei sie das Nonplusultra in Antwort auf einen wirtschaftlichen Konkurrenzdruck. In Wirklichkeit ist sie das Armutszeugnis einer Politik, die nicht in der Lage ist, zu erkennen, dass sie mit Reformen langfristig mehr bewirkt, als periodisch die relative Kaufkraft im Vergleich zum Ausland rituell zu verbrennen.

Max Wedell / 12.05.2015

Ganz vieles, was an “europäischen Projekten” beabsichtigt wird, ist einem realitätsfernen Träumertum entsprungen. Was etwa die gemeinsame europäische Währung angeht, müssen sich die Europa-Träumer gerade auf eine unsanfte Landung in der Realität gefasst machen… auf den Moment, in dem das erste europäische Land aufgrund der gemeinsamen europäischen Währung pleite gegangen ist. Einzig die Briten standen und stehen fest in der Realität, und haben sich nie von der Hauptfantasterei der Europa-Träumer anstecken lassen: “Probleme in Europa? Einfach europäische Behörden schaffen, die es nach dem Motto “one size fits all” schon richten werden!” Und was macht der Oberträumer Augstein jetzt? Den Briten Träumerei vorzuwerfen! Augstein ist immer wieder für einen Lacher gut! Sicher, wenn Träumer ihre Träumereien für eine Pflicht halten, um die keiner herumkommen kann, dann erscheint es diesen Träumern wohl als Träumerei, zu glauben, nicht an der allgemeinen Träumerei teilnehmen zu müssen und zu können. “Auf der Insel stellen sie sich mit träumerischer Radikalität gegen die Wirklichkeit.” Und die Wirklichkeit eines schon nicht mehr nur moderaten Linken ist nun mal: “Träumen ist Pflicht!” Wer nicht mitmacht, wird nur “Träumer” genannt, wenn der Linke gut gelaunt ist… sonst aber “Reaktionär” oder Schlimmeres.

Thomas Schlosser / 11.05.2015

Was Augstein betrifft, so empfehle ich einen von vielen treffenden Ratschlägen, die die alten Preußen für Beobachter von Parvenüs wie ihn parat hatten: “So jemanden ignoriert man noch nicht mal…”.

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