Was das Liebesleben ihrer Präsidenten angeht, sind die Franzosen und auch die französischen Medien äußerst tolerant. Da wird nicht nachgebohrt. Da bewahrt man Diskretion. Die Franzosen haben auch Verständnis für manche menschliche Schwäche. Die ein oder andere gestehen sie sich schließlich auch selber zu. Das Gerücht dass Macron ein „verkappter Schwuler“ sein soll, geht in Frankreich um, seitdem er auf der Bildfläche erschien. Wer zu sehr viel älteren Frauen tendiert, müsse so eine gewisse Neigung haben, heißt es dann. Und „wenn man ihn genau beobachtet, seine Gesten“ ..... und so weiter. Auch habe er früher schon „Männergeschichten“ gehabt. Aber das wäre wahrscheinlich alles gar kein Problem für die Franzosen. Sie mögen es jedoch nicht, wenn herauskommt, dass jemand aus bestimmten Gründen „gefördert“ wurde und dieses womöglich mit Hilfe von Steuergeldern. Da ist dann Schluss mit lustig.
Wäre Emanuelle Macron nur im Internet unterwegs, würde man ihn als einen Troll klassifizieren - jemand, der seine Berufung darin sieht, andere Leute zu ärgern, weil er Wutgebrüll mit Anerkennung verwechselt. Viele seiner Aktionen sind vollkommen zweckfrei und dienen nur dazu, Leute aufzubringen, etwa Verringerung der Höchstgeschwindigkeit auf bretonischen Landstraßen im Namen der CO2-Senkung von 80 km/h auf 70 km/h, damit die arbeitende Bevölkerung noch ein bisschen länger von daheim zur Arbeit und zurück braucht. Und was darf man mit Trollen keinesfalls tun? Sie füttern. Wahrscheinlich war das neue Geschirr deshalb nötig, weil Macron vor Vergnügen über die hilflosen Proteste auf dem Tisch tanzte. Mit Demonstrationen ist so jemandem jedenfalls nicht beizukommen. Ein Generalstreik à la Gandhi wäre vielleicht die nächste Stufe der gewaltfreien Kommunikation… Wobei das Problem darin ist, dass die Leute, die Macron aus dem Nichts aufgebaut haben, nach seinem etwaigen politischen Knockout ruckzuck den nächsten Hampelmann dieser Art aus dem Hut ziehen können, im Middle Management der Finanzindustrie gibt es genügend geeignete Byzantiner, und Le Pen als Boogeywoman immer noch gute Dienste leistet: Wenn ihr unseren Schnösel nicht nehmt, dann kommt euch die böse braune Hexe holen!
Das Problem bei allem Respekt für die Franzosen: Welche Alternative soll es in Frankreich geben?
Und Monsieur Macron, geschützt durch die Verfassung, wonach er allenfalls unter Vorwurf des Hochverrats mit einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments aus seinem Amt entfernt werden könnte (und die Partei mit seinen Initialien hat immer noch die absolute Mehrheit—pas de chance), amüsiert sich derweil prächtig über den gelben Zoff auf den Straßen—wie Julian Apostata, der führende Kirchenmänner seiner Zeit zu einem Gastmahl einlud, um sich an ihrem Streit zu ergötzen…
Benalla und die Fotos mit den schweißnassen schwarzen Gefangenen mit nackten Oberkörpern und einem sichtlich gelösten Emanuel Macron - eigentlich alles ok - aber eine Ehe, die auch (auch!) den Anschein einer PR Maßnahme hat, das kann leicht nach hinten los gehen. Die Leute verlieren das Vertauen. Und das ist ein sehr rarer Stoff, Vertrauen besonders in einer Präsidialdemokratie wie in Frankreich, wo sehr viel vomVertrauen in den ersten Mann im Staat abhängt.
Ich bin mal optimistisch und glaube an den ansteckenden Effekt der Gelbwesten. Weshalb ? Da wir grün(d)lich unseren Industriestandort zerschießen, ist dies alles eine Frage der Zeit. Keine Sorge, alles entwickelt sich in Wellen, jede Bewegung erzeugt eine Gegebewegung. Pech für die Gutmenschen, gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.
Nur wer bei der Präsidentenwahl Le Pen gewählt hat, hat jetzt - moralisch - das Recht gegen Macron zu protestieren. Macron hat nie eine Geheimnis daraus gemacht, dass er wirtschaftsliberal ist und elitär denkt. Die Franzosen dürfen den Präsidenten direkt wählen und sie haben eine breite Auswahl gehabt. Wenn sie gleichwohl bewusst einen Wirtschaftsliberalen wählen, dann sollten sie auch die Größe haben, ihn vier Jahr hinzunehmen. Inhaltlich stimme ich den Gelbwesten weitgehend zu.
Lieber Manfred, es ist gut und wichtig, dass Du weiter aus Paris berichtest. In den deutschen Medien kommen die Ereignisse so gut wie nicht vor. Ich habe sie gestern den ganzen Tag über den Livestream von Ruptly im Internet verfolgt und parallel dazu in einige deutsche Newsseiten geschaut. Dort existierten Frankreich und die Gelbwesten nicht. Dabei musste sich jeder, der die aktuellen Bilder sah, fragen, was eigentlich wichtigeres in der Welt geschah als diese zum 13. Mal abgehaltene Manifestation gegen Macron, so dass darüber “leider” nicht berichtet werden konnte. - Vieles hat mich erschreckt. Die abgerissene Hand eines Fotografen, die marodierenden, leider nicht gebremsten Chaoten zwischen den Gelbwesten, die eine Baustelle plünderten, ganze Straßen verwüstet hinterließen und Autos anzünden. Ein Porsche am Place des Etats Unis wurde vor laufender Kamera zunächst demoliert und dann in Brand gesetzt. Die Täter sahen nicht so aus, als hätten sie im Leben auch nur einen einzigen Tag gearbeitet. Das sind keine Gelbwesten. Aber niemand bremst sie aus. Das halte ich für einen schweren Fehler. - Auch erschreckend: die Polizei zu beobachten. Sie vermittelt uns einen realistischen Eindruck davon, was in anderen Ländern auf die unzufriedenen Bürger zukommt, wenn die sozialen Unruhen sich ausbreiten. Bon nuit.
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