Als unlängst die Financial Times Deutschland durch die Meldung, es gebe in den Landesverwaltungen der ostdeutschen Länder noch rund 17.000 ehemalige Mitarbeiter der Stasi Erstaunen auslöste und sich ein weiteres Mal eine ratlose Debatte Bahn brach, hieß es aus der Lobby der Betroffenen, aber auch aus der auf Harmonie bedachten Politik umgehend: Nicht schon wieder! Oder: Das hatten wir doch schon. Ist doch längst ausdiskutiert.
Stimmt das wirklich? Sind die, die nicht aufhören, von der Sache zu reden, tatsächlich die Drehleiermänner der Republik? Unbelehrbare Funktionäre der Vergangenheitsbewältigung?
Dass dem nicht so ist, wird schnell klar, wenn man den Blick von seiner Fixierung auf die Ostdeutschen löst. Es geht nicht nur um die Ostdeutschen, und es geht auch nicht nur um die Stasi.
Es wird Zeit, auch von den Westdeutschen die Aufarbeitung ihrer Stasi-Vergangenheit zu verlangen. Unter den viel zu vielen unbehelligt gebliebenen Ehemaligen, stellen die Westdeutschen den größten Anteil. Und das in einem Land, in dem eine Partei, nämlich die DKP, eine in der DDR ausgebildete Kampftruppe unterhielt, ein Fall, der bis heute nicht ausreichend untersucht ist. MDR-Fakt zeigte unlängst einen Beitrag meines Landsmanns Helmuth Frauendorfer zum Thema. In der Politik ging zur gleichen Zeit die Rettung der Eisbären und die Vermessung des Ozonlochs unbeirrt weiter.
Dabei ist über die zahlreichen Zuträger, die in der alten Bundesrepublik in den verschiedensten Bereichen und Institutionen für die Stasi tätig waren, das meiste noch aufzuklären. Ich meine damit jene Postbeamten, die unsere Briefe an die Stasi weiterleiteten, jene, die wie Kurras, Daten ihrer Kollegen von der Polizei nach Ostberlin weitergaben oder jene die, wie Bernd Engelmann, den Schriftstellerverband ins Fahrwasser der DDR-Propaganda steuerten, und nicht zuletzt jene, die sich an den durch die DDR geförderten antisemitischen Pöbeleien beteiligten.
Es geht aber nicht nur um die Stasi. Nachdem vor einigen Monaten mehrere ehemalige rumäniendeutsche Schriftsteller und Publizisten (Herta Müller, Johann Lippet, Horst Samson, der verstorbene Nikolaus Berwanger u.a.), Teile ihrer Securitate-Akten aus der Bukarester Behörde erhielten, stellte sich bald heraus, dass nicht wenige ehemalige Mitarbeiter des rumänischen Geheimdiensts Securitate im Gefolge der Spätaussiedler nach Deutschland gelangt sind. Folgt man ihrer Spur hierzulande, ist man, ähnlich wie im Fall Stasi, schnell beim öffentlichen Dienst, aber in Westdeutschland. Meine ehemaligen Landsleute, auch jene mit der ausgeprägten Neigung zur Denunziation, sind Lehrer und Hochschullehrer geworden, sie saßen und sitzen aber auch in den Stadtämtern Süddeutschlands und im sonstigen kommunalen Bereich.
Heute weiß man, dass zumindest ein Teil von ihnen bei der Ausreise mit Kontaktadressen ausgestattet wurde, und dass man annehmen muss, dass es unter diesen auch Leute gibt, die nach ihrer Ausreise für den rumänischen Auslandsgeheimdienst in der Bundesrepublik tätig waren und dass manche vielleicht auch immer noch für diesen tätig sind. Die Akten des ehemaligen Auslandsdienstes der Securitate werden vom dessen Nachfolgedienst weiterhin operativ genutzt. In dessen Führung gab es bis vor einigen Jahren mehrere ehemalige Hauptamtliche in führender Position. Erst die NATO-Mitgliedschaft wurde zum Anlass ihrer Pensionierung mit goldenem Handschlag.
Aus den bis dato zugänglich gewordenen Schriftstellerakten der Securitate geht hervor, dass die ausgereisten Informanten einen gewichtigen Beitrag zur Diskreditierung und Verleumdung der regimekritischen Autoren geleistet haben. Es wurden wahre Schmutzkampagnen losgetreten, deren Ausläufer bis heute nachwirken. Damit sollte in der Bundesrepublik der Eindruck erweckt werden, wir, die regimekritischen Autoren, seien in Wirklichkeit Kollaborateure gewesen, Kommunisten oder zumindest Profiteure des Kommunismus.
Ja, liebe Landsleute, ich war in der verkommenen Partei, und ich erinnere mich sogar daran, ihr aber habt der vorbildlichen Securitate gedient. Ich habe mit meinem Parteibuch eine Autorengruppe und einen Literaturkreis mit aus der Taufe gehoben und anschließend am Leben erhalten und ihr habt diese Gruppe und diesen Kreis unermüdlich bei der Securitate denunziert. Das ist der kleine Unterschied, auf den ich Wert lege. Wir haben gegen Ceausescu gekämpft, und ihr habt gegen uns agitiert. Ich gratuliere!
Zu den erstaunlichsten Phänomenen der Verleumdung gehört die stillschweigende Kooperation einiger Repräsentanten der Landsmannschaft der Banater Schwaben in München mit Bezugspersonen der Securitate. (Herta Müller wird demnächst ausführlicher darüber schreiben). Eine Schlüsselrolle hatten ausgereiste Informanten, die auf Rumänienreisen zwecks Verwandtenbesuch ihre Aufträge bei der Wahlverwandtschaft von der Securitate entgegen nahmen.
Nebenbei erzählten sie dort noch, was unsereins in Deutschland über ihren Ceausescu verbreite. So fragt sich bei einer derartigen Gelegenheit, unter dem Namen „Matei“, ein ehemaliger Temeswarer Staatsschauspieler und Vorstadtkomödiant, der mich Jahre davor schon mal im Auftrag seiner geheimen Dienstherren prophylaktisch geohrfeigt hatte, wann mir denn endlich das Handwerk gelegt werde, zumal meine Eltern ja im Banat lebten! Der Mann genießt heute seine Staatsschauspielerrente in München. Er wurde unlängst zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt Temeswar gekürt. Für seine Verdienste um das Banat, versteht sich.
Beschränken wir uns also nicht auf die Stasi und auf Ostdeutschland, wenn es um die Aufarbeitung der Vergangenheit geht. Westdeutschland hat aufgrund seiner großzügigen Einwanderungspolitik für die deutschen Volksgruppen im Osten Europas, die zum Opfer der Weltkriegsverwerfungen geworden waren, im Nebeneffekt auch den dortigen Geheimdiensten ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Von diesen wird nicht nur die rumänische Securitate Gebrauch gemacht haben, sondern auch der polnische Geheimdienst und der russische KGB. Aus diesen Ländern sind Millionen Menschen nach Westdeutschland eingewandert.
Bei ernsthafter Betrachtung gäbe es also viel zu tun, auch für Erika Steinbach und den Bund der Vertriebenen, neben aller Ausstellungs- Würdigungs- und Aufklärungsarbeit. Unter den Opfern sind auch die Täter. Sie sollten endlich beim Namen genannt werden. Zumindest das.