Richard Wagner / 17.07.2009 / 08:03 / 0 / Seite ausdrucken

Ostprodukte (2): Die Securitate in Deutschland und ihre Banater Schwaben

Als unlängst die Financial Times Deutschland durch die Meldung, es gebe in den Landesverwaltungen der ostdeutschen Länder noch rund 17.000 ehemalige Mitarbeiter der Stasi Erstaunen auslöste und sich ein weiteres Mal eine ratlose Debatte Bahn brach, hieß es aus der Lobby der Betroffenen, aber auch aus der auf Harmonie bedachten Politik umgehend: Nicht schon wieder! Oder: Das hatten wir doch schon. Ist doch längst ausdiskutiert.

Stimmt das wirklich? Sind die, die nicht aufhören, von der Sache zu reden, tatsächlich die Drehleiermänner der Republik? Unbelehrbare Funktionäre der Vergangenheitsbewältigung?
Dass dem nicht so ist, wird schnell klar, wenn man den Blick von seiner Fixierung auf die Ostdeutschen löst. Es geht nicht nur um die Ostdeutschen, und es geht auch nicht nur um die Stasi.

Es wird Zeit, auch von den Westdeutschen die Aufarbeitung ihrer Stasi-Vergangenheit zu verlangen. Unter den viel zu vielen unbehelligt gebliebenen Ehemaligen, stellen die Westdeutschen den größten Anteil. Und das in einem Land, in dem eine Partei, nämlich die DKP, eine in der DDR ausgebildete Kampftruppe unterhielt, ein Fall, der bis heute nicht ausreichend untersucht ist. MDR-Fakt zeigte unlängst einen Beitrag meines Landsmanns Helmuth Frauendorfer zum Thema. In der Politik ging zur gleichen Zeit die Rettung der Eisbären und die Vermessung des Ozonlochs unbeirrt weiter.

Dabei ist über die zahlreichen Zuträger, die in der alten Bundesrepublik in den verschiedensten Bereichen und Institutionen für die Stasi tätig waren, das meiste noch aufzuklären. Ich meine damit jene Postbeamten, die unsere Briefe an die Stasi weiterleiteten, jene, die wie Kurras, Daten ihrer Kollegen von der Polizei nach Ostberlin weitergaben oder jene die, wie Bernd Engelmann, den Schriftstellerverband ins Fahrwasser der DDR-Propaganda steuerten, und nicht zuletzt jene, die sich an den durch die DDR geförderten antisemitischen Pöbeleien beteiligten.

Es geht aber nicht nur um die Stasi. Nachdem vor einigen Monaten mehrere ehemalige rumäniendeutsche Schriftsteller und Publizisten (Herta Müller, Johann Lippet, Horst Samson, der verstorbene Nikolaus Berwanger u.a.), Teile ihrer Securitate-Akten aus der Bukarester Behörde erhielten, stellte sich bald heraus, dass nicht wenige ehemalige Mitarbeiter des rumänischen Geheimdiensts Securitate im Gefolge der Spätaussiedler nach Deutschland gelangt sind. Folgt man ihrer Spur hierzulande, ist man, ähnlich wie im Fall Stasi, schnell beim öffentlichen Dienst, aber in Westdeutschland. Meine ehemaligen Landsleute, auch jene mit der ausgeprägten Neigung zur Denunziation, sind Lehrer und Hochschullehrer geworden, sie saßen und sitzen aber auch in den Stadtämtern Süddeutschlands und im sonstigen kommunalen Bereich.

Heute weiß man, dass zumindest ein Teil von ihnen bei der Ausreise mit Kontaktadressen ausgestattet wurde, und dass man annehmen muss, dass es unter diesen auch Leute gibt, die nach ihrer Ausreise für den rumänischen Auslandsgeheimdienst in der Bundesrepublik tätig waren und dass manche vielleicht auch immer noch für diesen tätig sind. Die Akten des ehemaligen Auslandsdienstes der Securitate werden vom dessen Nachfolgedienst weiterhin operativ genutzt. In dessen Führung gab es bis vor einigen Jahren mehrere ehemalige Hauptamtliche in führender Position. Erst die NATO-Mitgliedschaft wurde zum Anlass ihrer Pensionierung mit goldenem Handschlag.


Aus den bis dato zugänglich gewordenen Schriftstellerakten der Securitate geht hervor, dass die ausgereisten Informanten einen gewichtigen Beitrag zur Diskreditierung und Verleumdung der regimekritischen Autoren geleistet haben. Es wurden wahre Schmutzkampagnen losgetreten, deren Ausläufer bis heute nachwirken. Damit sollte in der Bundesrepublik der Eindruck erweckt werden, wir, die regimekritischen Autoren, seien in Wirklichkeit Kollaborateure gewesen, Kommunisten oder zumindest Profiteure des Kommunismus.

Ja, liebe Landsleute, ich war in der verkommenen Partei, und ich erinnere mich sogar daran, ihr aber habt der vorbildlichen Securitate gedient. Ich habe mit meinem Parteibuch eine Autorengruppe und einen Literaturkreis mit aus der Taufe gehoben und anschließend am Leben erhalten und ihr habt diese Gruppe und diesen Kreis unermüdlich bei der Securitate denunziert. Das ist der kleine Unterschied, auf den ich Wert lege. Wir haben gegen Ceausescu gekämpft, und ihr habt gegen uns agitiert. Ich gratuliere!

Zu den erstaunlichsten Phänomenen der Verleumdung gehört die stillschweigende Kooperation einiger Repräsentanten der Landsmannschaft der Banater Schwaben in München mit Bezugspersonen der Securitate. (Herta Müller wird demnächst ausführlicher darüber schreiben). Eine Schlüsselrolle hatten ausgereiste Informanten, die auf Rumänienreisen zwecks Verwandtenbesuch ihre Aufträge bei der Wahlverwandtschaft von der Securitate entgegen nahmen.

Nebenbei erzählten sie dort noch, was unsereins in Deutschland über ihren Ceausescu verbreite. So fragt sich bei einer derartigen Gelegenheit, unter dem Namen „Matei“, ein ehemaliger Temeswarer Staatsschauspieler und Vorstadtkomödiant, der mich Jahre davor schon mal im Auftrag seiner geheimen Dienstherren prophylaktisch geohrfeigt hatte, wann mir denn endlich das Handwerk gelegt werde, zumal meine Eltern ja im Banat lebten! Der Mann genießt heute seine Staatsschauspielerrente in München. Er wurde unlängst zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt Temeswar gekürt. Für seine Verdienste um das Banat, versteht sich.

Beschränken wir uns also nicht auf die Stasi und auf Ostdeutschland, wenn es um die Aufarbeitung der Vergangenheit geht. Westdeutschland hat aufgrund seiner großzügigen Einwanderungspolitik für die deutschen Volksgruppen im Osten Europas, die zum Opfer der Weltkriegsverwerfungen geworden waren, im Nebeneffekt auch den dortigen Geheimdiensten ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Von diesen wird nicht nur die rumänische Securitate Gebrauch gemacht haben, sondern auch der polnische Geheimdienst und der russische KGB. Aus diesen Ländern sind Millionen Menschen nach Westdeutschland eingewandert.

Bei ernsthafter Betrachtung gäbe es also viel zu tun, auch für Erika Steinbach und den Bund der Vertriebenen, neben aller Ausstellungs- Würdigungs- und Aufklärungsarbeit. Unter den Opfern sind auch die Täter. Sie sollten endlich beim Namen genannt werden. Zumindest das.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Richard Wagner / 19.07.2016 / 09:13 / 6

Aus dem Zeitalter der Dummheit

Dass wir im Zeitalter der Dummheit leben, wird uns beinahe täglich vor Augen geführt. So, wenn wir glauben, einen feinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus…/ mehr

Richard Wagner / 09.03.2016 / 20:00 / 1

Femme Fatal und Landtagswahl

Noch nie war die Politik in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so weichenverstellt. Es ist das späte Ergebnis des langen Aufstiegs und noch…/ mehr

Richard Wagner / 19.11.2014 / 10:51 / 0

Krieg um die Fifth Avenue?

“Für das Individuum mit seinen Wünschen nach Unversehrtheit und Glück ist der Krieg immer sinnlos.  Aber während er das individuelle Leben zerstört, kann er das…/ mehr

Richard Wagner / 12.09.2014 / 11:33 / 4

Von allen guten Geistern

Früher, als die Kirche noch für die öffentliche Moral zuständig war, und damit auch für die Identifikation des Bösen, war im Gegenzug auch die Zuständigkeit…/ mehr

Richard Wagner / 09.09.2014 / 11:45 / 6

Der Narr und die Barbarei

Wer am Morgen Radio hört, ist selber schuld, und wer am Morgen in Berlin Radio hört, muss den Verstand verloren haben. Wie ich, heute. Kaum…/ mehr

Richard Wagner / 24.07.2014 / 08:06 / 3

Die rechten Migranten formieren sich

Wenn Palästinenser in deutschen Städten demonstrieren, geht es immer öfter nicht nur gegen den Staat und die Staatsidee Israels, sondern gegen jüdisches Leben in Deutschland.…/ mehr

Richard Wagner / 30.05.2012 / 12:25 / 0

Die Israel-Predigt

An dem neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck wird in der Regel sein dem Diplomatenjargon konträres Pathos gelobt. So, wenn er in Israel dem dortigen Staatsoberhaupt und…/ mehr

Richard Wagner / 29.04.2012 / 05:45 / 0

Holocaust, Ölpreis, Vermischtes

Vor drei Tagen erschrieb sich Elisabeth Kiderlen in der Süddeutschen Zeitung einen Vergleich zwischen Israel und dem Iran, aus ihrer Sicht sogar eine Gemeinsamkeit, die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com