Vera Lengsfeld / 29.01.2009 / 23:39 / 0 / Seite ausdrucken

Neunundzwanzigster Januar 1989/2009

Das gemeinsame Haus der „sozialistischen Staatengemeinschaft“ bekommt unübersehbare Risse. Das ungarische Politbüromitglied Imre Poszgay bewertet die Ereignisse von 1956, der Niederschlagung des ungarischen Erhebung gegen das kommunistische Regime als „Volksaufstand“. Damit verlässt ein ranghohes Parteimitglied den Geschichtskanon ,der sagt, von westlichen Agenten gekaufte konterrevolutionäre Subjekte hätten einen Putsch gegen die von der Mehrheit der Bevölkerung getragenen sozialistische Republik angezettelt und wären von der Arbeiterschaft in die Schranken gewiesen worden. Dass Poszgays Geschichtsrevisionismus kein Zufall, sondern Bestandteil einer neuen Strategie des Reformflügels der Kommunistischen Partei ist, beweist sein nächster Satz: Ungarn habe nur unter Zwang ein sozialistisches Modell gewählt. dieses Modell hätte in eine Sackgasse geführt. Wenn der Sozialismus in die Sackgasse führt, so konnte jeder den Satz weiterdenken, lohnte es sich nicht, ihn verändern oder verbessern zu wollen. In einer Sackgasse kann man nur umkehren. Genau das nahmen die ungarischen Reformer in Angriff.

Hier in Sofia kann man heute erleben, wohin es führt, wenn die alte Nomenklatura in anderen Funktionen immer noch in den entscheidenden Positionen sitzt. In allen Zeitungen kann man Berichte über die gestrige Pressekonferenz des „Zentrums für demokratische Studien“ lesen. In einer 100-seitigen Broschüre mit dem bezeichnenden Namen: „Verbrechen ohne Strafe“ wird gezeigt, dass Bulgarien fest im Griff der Korruption ist. Der _Kampf um die Vergabe lukrativer Wirtschaftsaufträge geht bis hin zum Auftragsmord. Von den mindestens 75, andere Quellen sprechen von 100, Auftragsmorden seit Mitte 2000, sind nur fünf aufgeklärt und zur Anklage gebracht worden. Nur ein Urteil wurde gefällt. Die Morde werden meist von Auftragskillern aus dem Ausland ausgeführt, die sich sofort nach vollbrachter Tat wieder über die Grenze absetzten.
Die Bulgaren hatten gehofft, nach Beitritt in die EU von der Korruption erlöst zu werden. Diese Hoffnungen mussten enttäuscht werden, denn solch ein Problem kann nicht von außen gelöst werden,
Die vorgestellte Studie resümiert, dass es an politischem Willen, administrativer Kapazität in der Legislative, Exekutive und in der Justiz fehlt, um Antikorruptions-Reformen durchzusetzen. Der hohe Grad an Korruption und organisiertem Verbrechen hat die EU erstmals in ihrer Geschichte gezwungen, insgesamt 220 Millionen Euros, die für Infrastrukturmaßnahmen bereitgestellt wurden, einzufrieren. Sie sollen erst wieder frei gegeben werden, wenn transparente Vergabekriterien garantiert werden können. Ob es je dazu kommt, ist mehr als ungewiss. Diejenigen, die durch ihr Verhalten das EU-Geld blockieren, wollen ohnehin eine engere Anbindung an Russland.
Die spannende Frage ist, ob die Bulgaren bei der nächsten Wahl im Juni wieder für die Sozialisten stimmen, die ihnen das Desaster dieses
Winters eingebrockt haben und damit weiter den Altkadern Macht über sich einräumen, oder ob sie mit ihrer Stimme einer bürgerlichen Regierung die Verantwortung für das Land übergeben. Letzteres kann natürlich nur gelingen, wenn die zersplitterten bürgerlichen Parteien zu einer gemeinsamen Wahlplattform finden

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