Hubert Geißler, Gastautor / 09.08.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 6 / Seite ausdrucken

Neues vom Schrauber: Wenn KI den Job klaut

Immer mehr Freelancer, Programmierer und sonstige Arbeitnehmer zieht es in den sonnigen Süden – doch wenn die KI ihren Job überflüssig macht, geht der ganze Lebensentwurf zu Bruch. Doch Schrauben oder Pflegen will keiner.

Unlängst rief mich mein in Portugal lebender Freund an, ein Amerikaner von Geburt, der nach langen Jahren in Deutschland unsere Staatsbürgerschaft angenommen hat und von Übersetzungen lebt: In der Regel Jahresberichte von Firmen, die immer mehr in Englisch abgefasst werden müssen und ein gewisses Maß an Fachwissen seitens des Übersetzers erfordern. Einer seiner Kunden war eine große deutsche Anwaltsfirma, die auf die Regulierung von Auslandsschäden im KFZ-Bereich spezialisiert ist. In besseren Zeiten, also noch vor einigen Jahren, betrug das durchschnittliche monatliche Auftragsvolumen dieses Kunden etwa 1.000 Euro. Das war immerhin ein bedeutender Bestandteil seines Einkommens als Selbständiger.

Dieses Auftragsvolumen ist seit Corona erheblich geschrumpft: Man durfte wohl nicht mehr so viel in fremden Ländern herumkurven, und die Unfallhäufigkeit schien sich auch lockdownbedingt verringert zu haben. Nun wurde ihm bei der vierteljährlichen Einreichung seiner Abrechnung von 650 Euro nahegelegt, alle etwa 40 Rechnungsposten einzeln aufzulisten. Für ihn ist dies natürlich ein völlig unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand, den er sofort so interpretierte, dass der betreffende Kunde ihn auf elegante Art loswerden wollte, ohne dies nach 20 Jahren Zusammenarbeit deutlich zu sagen.

Was ablief, scheint klar zu sein. Die Leistungsfähigkeit gängiger Übersetzungsprogramme erhöht sich ständig, und ich selbst habe schon durchaus akzeptable Erfahrungen in dem Bereich gemacht. Natürlich sind die Ergebnisse einer Übersetzung nicht literarisch wertvoll, und diese Programme sind auch nicht für alle Aufgaben geeignet: Aber wenn es darum geht, etwas verständlich, wenn auch manchmal nicht allzu elegant auszudrücken, dann passt das schon.

Und jetzt verhagelt die KI die Idylle

Und einen entsprechenden Knopf kann jeder Sachbearbeiter drücken, also wird eingespart. Sparen muss ja ohnehin sein, angesichts der sich eintrübenden Zukunftsaussichten der Wirtschaft. Viele Texte, die früher von Fachleuten übersetzt wurden, bestehen im Grunde aus Standardbausteinen, die keine großen Probleme machen. Und: Mit Grausen denkt man an die Verdeutschungen von Bedienungsanleitungen chinesischer Elektronik aus vergangenen Jahrzehnten. Schlechter macht es auch KI nicht.

Für meinen Freund bahnt sich unter Umständen eine persönliche Katastrophe an. Bisher konnte er im billigeren Portugal von seinen nach deutschen Standards bezahlten Aufträgen einigermaßen leben. Aber: Immer mehr Freelancer, Programmierer und sonstige Arbeitnehmer zieht es in den sonnigen Süden, wo man im Winter sogar mit einer Elektroheizung auskommen kann und nach der Arbeit Strand und Vinho verde locken. Das führt zu nicht unerheblichen Mietpreissteigerungen im Gastland, auch die sonstigen Lebenshaltungskosten kennen nur eine Richtung: Nach oben!

Und jetzt verhagelt die KI die Idylle und nagt an den Wurzeln des polyglotten Lebensmodells. Mein Schrauberbruder hält die Entwicklung für unaufhaltsam. Vieles im Vertrieb wird digitalisiert, Autohäuser, Warenhäuser - alles überflüssig. Redenschreiber und Redakteure auch. Die Banken wären der nächste Fall: KI sei jetzt schon jedem Anlageberater überlegen, und der könnte sich demnächst ins Bürgergeld verabschieden. Und das, was man brauche, wolle keiner machen: Pflege, Schrauben und dergleichen

Hubert und Bernhard Geißler.

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Er schreibt diese Serie zusammen mit seinem Bruder. 

Bernhard Geißler gehört zu den sogenannten Fachkräften und Technikern, also zum gut ausgebildeten Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Der arbeitet viel, kommt aber selten zu Wort, was diese Serie ein wenig wettmachen will.

Foto: Pixabay

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Yehudt de Toledo Gruber / 09.08.2023

Neulich bei unserem tunesischen Schuster. Ein zuverlässiger, fleißiger und immer gepflegt aussehender Mann. Wie er das hinkriegt in seinem Job, weiß ich nicht. Er sah mich also an, übergab mir die reparierten Schuhe und sagte: “Ihr Deutschen könnt nur noch befehlen, aber wir Ausländer arbeiten.”  Hm, irgendwie stimmt das zumindest hier in Laim. Sämtliche früheren deutschen Fachgeschäfte sind verschwunden - nur und g´ttlob - die Bibliothek ist noch vorhanden. Dafür ringsherum nun indische, türkische, afrikanische Supermärkte oder Verkaufsstände. Sehr geehrter Herr Geißler, ich lese Ihre “Schrauber-Storys” besonders gern und erinnere mich dabei an meine sozialistischen Bohrmaschinen-Zeiten im Dresdener Vorzeige-Betrieb Pentacon.  Die Schule meines Lebens ! so richtig mit Stechuhr, Normerfüllungspflicht,  Dreischichtarbeit und anchließen Kaltwasser-Duschkabinen. Man nahm es hin ohne großes Gejammer. Aber heute, du meine Güte, scheint jegliche Arbeit nur noch Qual und Belastung zu bedeuten. Sogar auch bei den Kindern. Nö - bei solcher Haltung kommt die KI wohl gerade recht. Ich bin mal gespannt, wann hierzulande aufgewacht wird

Johannes Witt / 09.08.2023

Das ist eine Entwicklung, die es schon des Öfteren in der Geschichte der arbeitenden Bevölkerung gegeben hat. Einige Jobs sind überflüssig geworden, andere sind hinzugekommen. Wenn irgendwann alle journalistisch wertvollen Artikel, SEO-Texte, Werbetexte und Ad’s von der KI geschrieben worden sind, hat man auch wieder einen Einheitsbrei, aus dem es mit emotional getexteten Wortergüssen herauszustechen gilt. Dann fängt das rhetorische Wettrüsten von vorne an. Das Copywriting-Business wird sich zweifellos verändern. Allerdings habe ich die KI nie als Konkurrenz gesehen, sondern arbeite mit ihr zusammen. Ich kann mit ihr meiner Kreativität auf die Sprünge helfen, ein textliches Gerüst aufbauen und dieses mit den menschlichen Aspekten, die einen Text lesenswert machen, spicken. Bisher zweifeln meine Kunden nicht an dem Wert meiner Texte. Und ich denke auch nicht, dass dies in absehbarer Zukunft passieren wird. Aber selbst wenn alle Stricke reißen, kann ich zum Glück auch noch andere Fachkraft-Kompetenzen vorweisen - Server, Computer und alte Autos reparieren sind schließlich nicht so schnell ersetzbar, wie dieser Artikel sehr passend im letzten Satz darstellt.

Johannes Bader / 09.08.2023

Kleiner Haken zur Einwanderung geschlagen: Im Fall der Pflege läuft es schon lange nicht mehr ohne, denn, wie erwähnt, es will kaum einer. Schon gar nicht Lena-Sophie Doppelname. Die ist sich viel zu gut, ihr feines Näschen an eine stinkende Wunde zu halten. Da geht sie lieber in die Schreibstube auf dem Amt. Oder macht Projekte. Irgendwas mit Medien. Also importiert man die Azubis halt. C’est la vie, das ist hausgemacht.

finn waidjuk / 09.08.2023

Tja, die global nomads, gestern noch der heißeste Scheiß und heute braucht sie schon keiner mehr. Wenn ich mal Zeit habe, dann bedauere ich sie. Bis dahin: versucht es mal mit Arbeit.

B. Gersfeldt / 09.08.2023

“Und das, was man brauche, wolle keiner machen: Pflege, Schrauben und dergleichen” -> und das, obwohl es dafür ganz sicher ü-b-e-r-h-a-u-p-t keine Gründe geben kann. Es muß wohl an der Verdorben- und Boshaftigkeit der zu derartigem Tun Verdamm… Befähigten liegen. Anders ist… anders darf das gar nicht erklärbar sein.

A. Ostrovsky / 09.08.2023

Codeknechte waren an sich immer schon überflüssig. Die Kunst beim “Programmieren” ist das Konzept, nicht das “In Code Meißeln”. Aber die Zeit, als die Schrauber überflüssig wurden ist doch schon Geschichte, wie bei den Schriftsetzern und Buchbindern. Keiner will mehr schrauben? Naja, als Hobby machen das viele noch, aber so beruflich reicht das nicht aus. Selbst die Chinesen schrauben nicht, obwohl sie es viel billiger könnten. Sie drucken oder haben andere Techniken. Schrauben ist Opa. Und Pflegen ist noch nicht mal mehr Opa. Es ist nur noch Oma. Und Transoma natürlich auch. Soviel Zeit muss sein.

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