Die Bürokratie in diesem unserem Lande, in dem wir gut und gerne leben, ist aufgegangen wie eine Dampfnudel mit zu viel Hefe. Und es gibt nur einen Feind der Dampfnudel, das ist die frühzeitige Deckelabnahme.
Diese Geschichte beginnt wie die meisten Schraubergeschichten mit einer nicht funktionierenden Werkzeugmaschine. Das gute Stück war einst von der ehemaligen Firma meines Bruders für den chinesischen Markt produziert worden, verrichtete dort jahrelang treu seinen Dienst und wurde dann aus uns unbekannten Gründen aus dem Reich der Mitte ins Schwabenland repatriiert.
Dort, an seinem angestammten Platz im Unternehmen, wurde die Maschine von der noch verbliebenen Instandsetzungseinheit sorgfältig überholt und gewartet. Leider zeigte sich jedoch, dass das Teil unverschämterweise nicht selten in einen unerklärlichen Ruhezustand überging und die Arbeit verweigerte. Die Kontaktaufnahme zur Herstellerfirma ergab nichts Genaueres, und anscheinend wussten Mitarbeiter des betroffenen Werkes davon, dass sich die „Buben“, die wir schon öfter erwähnt haben, dissidentisch von ihrer alten Firma abgespalten hatten.
Die „Buben“ wurden nun kontaktiert, und sie meinten, in ihren Reihen gäbe es einen älteren Herrn – gemeint ist mein Bruder –, der sich über 30 Jahre lang mit solchem Gerät und den dazugehörigen Konstruktionen beschäftigt habe und vielleicht wisse, was dem guten Stück fehlt. So weit so gut.
Selige Zeiten ungebremster bundesdeutscher Produktivität
Früher, im vergangenen Jahrhundert, lief das so ab, dass oft während einer Montagereise ein Anruf dieser Art einging: „Hallo, der Leiter von Werk X hat angerufen, da funktioniert etwas nicht. Fahre schnell hin und schau es dir an.“ Gesagt, getan. Man bog ab, meldete sich an der Pforte, wurde von einem Eingeweihten abgeholt, reparierte das Gerät, verfasste einen Montagebericht, schrieb die Rechung und verschwand dann wieder zum nächsten Kunden. Selige Zeiten ungebremster bundesdeutscher Produktivität. Heutzutage hingegen läuft das ganz anders.
Vor den Schweiß haben nämlich die Götter die innerbetriebliche Bürokratie gesetzt, und der unkomplizierte Einmarsch auf ein Fabrikgelände zum Zwecke realer Arbeit ist gewöhnlich äußerst erschwert. Noch vor Antritt seiner Reise bekam mein Bruder sechs verschiedene E-Mails aus diversen Abteilungen des Auftraggebers, vervielfacht dadurch, dass diese auch in seiner Firma ankamen und weitergeleitet wurden. Zu vermuten ist, dass hinter diesem Kommunikationsaufwand auch ein vielfacher administrativer Aufwand des Kunden stand, von dem letztlich nur die Spitzen der Wogen ans Gestade meines Bruders schlugen.
Der bisherige Ablauf war wie folgt:
- Anruf bei unserem Unternehmen.
- Telefonische Kontaktaufnahme meinerseits.
- Es wurden Fotos an mich per E-Mail gesendet, um eine Ferndiagnose zu ermöglichen. Ziel war es, den Fehler eventuell von eigenen Fachleuten untersuchen zu lassen.
- Telefonische Terminabsprache.
- Anfrage und Bitte um ein Angebot von unserem Unternehmen.
- Anschließend wurde ein Fragebogen zur Anlage eines neuen Lieferanten ausgefüllt.
- Die Bestellung wurde vom Einkauf des Kunden getätigt.
- Eine Terminbestätigung wurde von allen Beteiligten erhalten: der Pforte, der Werkstatt und dem Sicherheitsbeauftragten (zwecks Einweisung meiner Person).
In diesem Prozess geht bereits eine beträchtliche Menge an Papierkram hin und her, und qualifiziertes Personal ist involviert, bevor überhaupt der erste Schraubenzieher zum Einsatz kommt.
Achtung, bald kommt die lyrische Volte mit der Dampfnudel
Jetzt kommt die Dampfnudel ins Spiel. Nicht selten, wenn ich mich mit meinem Bruder treffe, geht es vorzugsweise bei einem Vergleich der Sylvaner von den Würzburger Spitäler („Frankenwein ist Krankenwein“) um Erinnerungen aus der Kindheit, nicht zuletzt auch darum, was Mama damals gekocht hat. Schwaben ist Nudelland, die Italiener würden „Pasta“ sagen. Nicht nur Spätzle in allen Erscheinungsformen, sondern auch süße Nudeln, wie zum Beispiel gefüllte Rohrnudeln oder eben Dampfnudeln, gab es zu jeder Tages- und Nachtzeit. Mehl war billig, die Hühner legten Eier, Milch gab es vom Bauern nebenan, und Obst fand sich im Überfluss im eigenen Garten.
Oft endeten Gespräche und Weinproben mit dem Versuch, diese familiengeschichtlichen Gerichte wieder aufleben zu lassen. Dabei konnte auch einiges schiefgehen: Der Teig war zu flüssig oder zu trocken, er war nicht lange genug gegangen. Die Milch war zu kalt oder zu heiß, die Hefe zu wenig oder zu viel. Aber nach einigen Versuchen waren die Ergebnisse durchaus genießbar und ließen Raum für Experimente. Man konnte sie auch verfeinern, zum Beispiel durch das Einrollen von Marmelade oder von Früchten.
In den Aufzeichnungen unserer Großmütter fanden wir sogar Rezepte für Vanillesoßen aus dem Jahr 1916: Damals hießen sie „Tunken“, denn "Sauce" war zu französisch und die Franzosen waren der Erbfeind.
Nun kommt die lyrisch-metaphorische Volte: Die Bürokratie in diesem unserem Lande, in dem wir gut und gerne leben, ist aufgegangen wie eine Dampfnudel mit zu viel Hefe. Und es gibt nur einen Feind der Dampfnudel, das ist die frühzeitige Deckelabnahme. Dann fällt das Zeug zusammen wie nichts. Neulich las ich Äußerungen von Herrn Kretschmann, Sie wissen schon, dem Duke of the „Länd“ und Waschlappenvertreter vor dem Herrn: Man hätte zu wenig Personal in der Verwaltung. Herrjemineh! Gleichzeitig liest man, dass die Behörden aufgepumpt werden, wie nichts Gutes – geht's noch? Könnte man nicht das verfügbare Personal an deutlich verminderte Aufgaben anpassen, was dazu führen könnte, dass einen der Staat endlich mal in Ruhe lässt?
Übrigens: In die bei uns übliche Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird natürlich der gesamte Papier- und Verwaltungsaufwand mit eingerechnet. Und die Beauftragten und die CO2-Nummer und und und… Das ist ja auch Arbeit, für die Löhne gezahlt werden, sogar Steuern werden abgedruckt. Dass das Produkt dadurch teurer wird und nicht mehr konkurrenzfähig bleibt, ist unbestreitbar.
Das zentrale Problem ist klar der Staat: Immer mehr Behörden produzieren immer mehr Anweisungen auf allen Ebenen (Gemeine, Land, Bund, EU, Welt), und vorzugsweise die dummen Deutschen halten sich daran: Eine wahre Garotte für Wirtschaft und Gesellschaft.
Wo bleibt die geforderte Entbürokratisierung, die Beseitigung von Produktivhemmnissen? Machen wir es doch wie die alten Osmanen. Jeder Bürokrat, der nicht auf der Stelle nur noch die halbe Arbeit macht, muss sich in die aufgeklappte Tastatur stürzen – anders ist Besserung nicht zu hoffen.
Der Staat ist zur Dampfnudel geworden, heben wir den Deckel.
Schrauberische Exzesse
Die schrauberische Weinprobe endete, wie solche Exzesse eben enden müssen. Voll der Rohr- und Dampfnudel und des guten Silvaners überlegten wir, in Istanbul eine Almanpastahanecokgüzeldampfnudleria aufzumachen: Das wäre doch die fällige Gegenbewegung gegen den Döner und vielleicht auch bei weniger Bürokratie noch möglich. Bei uns würde das nur schwerlich gehen. Ich weiß, wovon ich rede, ich war mal mit einem Gastronomieberater befreundet.
Wenn wir uns mit einem Blech Dampfnudeln auf den Marktplatz stellen würden, landeten wir eher in Stammheim, statt im Dax. Im besten Fall noch in Günzburg, das ist bei uns die Nervenheilanstalt, so hieß das wenigstens früher. Jetzt vielleicht Wellnesspunkt für besonders Begabte.
Die Reparatur der Maschine hatte übrigens ein Happy End. Mein Bruder traf auf ein kompetentes Team: „Fähige Kerle! Die hatten nur eine Blockade in der Problemdiagnose, ist mir auch schon öfter passiert.“ Nach fünfstündiger gemeinsamer Schrauberei lief das Ding zur allgemeinen Zufriedenheit wieder. Folgeaufträge für die „Bubenfirma“ wurden angekündigt.
Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Er schreibt diese Serie zusammen mit seinem Bruder.
Bernhard Geißler gehört zu den sogenannten Fachkräften und Technikern, also zum gut ausgebildeten Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Der arbeitet viel, kommt aber selten zu Wort, was diese Serie ein wenig wettmachen will.