Ich stelle mir das so vor: Irgendwann bestehen Küchen nur noch aus Bücherregalen. Herd, Spülmaschine und Kühlschrank stehen irgendwo im All herum, stattdessen gibt es ein kleines Display, auf dessen rechte obere Ecke der hungrige Mensch seinen linken kleinen Finger legt und nach 3,2 Sekunden weiß, wonach es ihm gelüstet. Diese Speise wird umgehend von intergalaktischen Küchenchefs gekocht, nach Manier alter Küchenmeister reduziert und nach Manier neuer Küchenmeister in Pillenform gepresst. Die Pille ist stets himmelblau (wie früher Viagra, das es dann auch nicht mehr geben wird) und wird unter dem Küchenfenster (das, for sentimental reasons, überlebt hat) links ausgeworfen. Wer Magenprobleme hat, kann sich auch für die intravenöse Verabreichung der Nahrung entscheiden. Küchen mit vermeintlich gemütlichen Einrichtungen wie Küchentisch oder Herd werden dort sein, wo sie hingehören: Auf dem Müll der Geschichte.
Ich kenne Menschen, die eine beeindruckende Kochbuch-Sammlung haben, aber so gut wie nie kochen. Haben sie zudem Geld, mieten sie, wenn es darum geht, Gäste zu empfangen, einen Koch. Haben sie viel Geld, ist es ein Hauben- oder Sternekoch oder zumindest einer, der oft in den Klatschspalten auftaucht. Bekocht er ein Fußballteam, einen berühmten Tennisspieler oder Skirennläufer, beeindruckt das die Gäste ungemein. Gerade hatte ich ein neues Kochbuch in der Post. Es heißt, total originell „ganz & einfach TEMPOFREI KOCHEN“ und ich wünsche mir, dass die EU endlich eine Abteilung einrichtet, die es Menschen verbietet, noch mehr sinnfreie Kochbuchtitel zu veröffentlichen. Ich glaube, dass es mittlerweile mindestens 27 Millionen Kochbücher gibt, also gefühlte 234230804 Millionen. Ich glaube, dass der Markt gesättigt (sic!) ist.
Das tempofreie Kochbuch ist besonders tragisch, da es von einem intelligenten Menschen geschrieben wurde. Dieter Moor gehört seit Jahren zu meinen Lieblings-TV-Gesichtern. Ich kann mir seinen Ausflug in die Kochbuch-Welt nur so erklären: 1. Er braucht dringend Geld. 2. Er braucht dringend ein Kochbuch für sein Regal. 3. Seine Eitelkeit flüsterte ihm ins Ohr: „Es gibt erst 212929 Rezepte für Rote Grütze, aber Deines fehlt noch. Es gibt erst 4378234304409 Kochanleitungen für Ofenkartoffeln, aber allesamt sind sie von Stümpern verfasst, Dieter, Du Lieber und Guter, Du musst jetzt endlich ran!“
In einer schwachen Minute also ließ sich der Moderator zur Unterschrift unter einen hoffentlich hoch dotierten Buchvertrag überreden. Und damit niemand behaupten kann, alles wäre Schmafu, hat er eine ausgebildete Köchin als Co-Autorin erwählt. Deren Name ist natürlich auf dem Buchcover kleiner gedruckt. Gerechtigkeit muss sein, auch in der Küche. Im Vorwort schwadroniert der Autor von einem Essen, bei dem er ein „würzig-vollgesaugtes Brotstück“ in den Mund schiebt. Igitt. Wenig später erfahre ich, dass das nächste Brotstück mit „Resten des Fleischsaftes gewürzt“ ist. Mon dieu! Normalerweise gibt es aufregende Alltagsdetails dieser Kategorie nur unter http://www.facebook.com nachzulesen. Dort kostet der Quatsch allerdings nichts (außer Zeit, das Moor-Kochbuch wird für 24,95 Euro angeboten).
Irritiert hat mich das Titelbild: Darauf ist Dieter Moor (ohne Sabine Schneider, die Co-Autorin) zu sehen. Irgendwie unbeholfen hält er in der rechten Hand ein Holzbrett mit Knödeln drauf, in der linken ein Küchentuch. Ein Meisterwerk der Fotografie! Ziemlich unglücklich wirkend steht der Hobbykoch vor einem alten Küchenschrank, es sieht ein bisschen so aus, als würde ihm der Schrank aus den Schultern wachsen, was ihm, vermutlich unbeabsichtigt, die steirisch-kernige Kantigkeit Arnold Schwarzeneggers in jungen Jahren verleiht. Die wiederum, so stünde es auf einer Speisenkarte (die Eitelkeit hat dem Herrn Moor nämlich auch ins Ohr geflüstert, dass es in spätestens zwei Jahren eine weltumspannende Moor-Restaurantkette geben wird, in der ausschließlich nach seinen Buchrezepten gekocht werden wird!) korrespondiert vorzüglich mit den Knödeln, das ist aber auch schon alles Originelle, das man dem Foto bescheinigen kann.
Dieter Moor trägt ein weißes Hemd. Alle Männer, die ich kenne und die kochen können, tragen beim Kochen weiße Anzughemden, weil jeder Mann, der kochen kann auch waschen kann und weiß, dass Tomaten- und Fettflecke aus keinem anderen Stoff so gut wieder rausgehen wie aus weißer Baumwolle. Außerdem sieht ein ehemals weißes Hemd nur mit Tomaten- und Fettflecken verwegen aus. Nur Stümper tragen beim Kochen Fleecepullis (leicht entflammbar!) oder Karohemden! Dieter Moor sieht auf dem Foto irgendwie seltsam irritiert aus; so als könne er es selbst nicht ganz glauben, dass er sich zu diesem Unsinn hat hinreißen lassen. Wie alle Männer, die erkennen, dass sie in eine Lage geraten sind, die ihren Liebsten nur ganz schwer und niemals befriedigend zu erklären sein wird, versucht auch Dieter Moor, cool auszusehen, was ihm leider misslungen ist. Es wäre ehrlich gewesen, dieses Titelfoto wie eine missglückte Sauce einfach dem Mülleimer anzuvertrauen und noch einmal von vorne zu beginnen.
Schon nach dem Lesen des Klappentextes war ich irritiert: „Stellen Sie sich Ihr Lieblingsessen vor. Und stellen Sie sich vor, dieses Essen würde ganz genau nach dem schmecken, woraus es gemacht wurde….“ Ja, was denn sonst?! Gibt es Apfelstrudel, die nach Himbeeren schmecken? Gibt es selbst gekochte Wurstsuppen, die nach Vanillepudding schmecken? Auf 288 Seiten folgt das übliche Potpourri aus Omas Rezepten, begleitet von der sattsam bekannten Tatsache, dass Gerichte nur gut werden, wenn auch die Zutaten gut sind. Gähn.
Ich weiß nicht, was mich mutloser stimmt: Dass man Menschen im 21. Jahrhundert erklären muss, was man zur Zubereitung von Ofenkartoffeln (Kartoffel?- ja, Kartoffel!) nimmt oder der Umstand, dass man schon wieder aufschreiben muss, wie man sie zubereitet (erraten, im Ofen). Textauszug: „Schmeckt zu allen Gerichten, zu denen Sie gerne Kartoffeln essen.“ Danke, Dieter. Darauf wäre ich niemals von allein gekommen. Ich hätte ja noch zusätzlich ein Bier, ein Glas Schilcher, ein Gläschen Schilcher-Sekt, einen Humpen Schilcher-Sturm, ein Glas Chardonnay, eine Pulle Rum, drei Whisky, einen Apfelsaft (aber nur aus selbst geernteten, im Gewitter vorübergehend nach drinnen genommenen und gestreichelten Äpfeln aus dem eigenen, seit Jahrhunderten in Familienbesitz befindlichen Garten, gell!) und einen Grappa empfohlen, aber vielleicht ist das ja erst für die Fortsetzung von „ganz & einfach TEMPOFREI KOCHEN“ vorgesehen.
Wenn Sie das atemberaubende Kapitel „Wie ich zum Kochen kam“ von Dieter Moor lesen wollen, kann ich dieses Buch allerdings uneingeschränkt empfehlen.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de