Manfred Haferburg / 09.01.2016 / 10:30 / 4 / Seite ausdrucken

Mit der ganzen Milde des Gesetzes

Tief empört, sondern die Kanzlerin, der Innenminister und der Justizminister Sprechblasen über die „widerlichen Vorkommnisse“ in die Kameras ab. Am beliebtesten ist derzeit die Forderung, die Täter „mit der ganzen Härte unserer Gesetze“ zu bestrafen und dann „müssen sie unser Land verlassen“. An wen richten sie denn ihre Forderung? Ich dachte immer, sie sind die Regierung. Der Vizekanzler denkt laut darüber nach, dass Asylbewerber ihre Strafen in ihren Heimatländern absitzen sollen. Er weiß wohl darum, das eine deutsche Gefängniszelle für Bewohner einer Traglufthalle so etwas ist, wie ein Luxushotel.

Offensichtlich halten die Politiker das Volk für bekloppt. Oder sie haben nicht gemerkt, dass die DDR untergegangen ist, wo tatsächlich Politiker die Gerichtsurteile vor dem Prozess festgelegt haben. Haben sie nicht geschnallt, dass wir heute in dem leben, was vom Rechtsstaat noch übrig ist?

Also, die Herren Justizminister Maas und Innenminister de Maizière, Sie sind ja beide Volljuristen. Hier zur Erinnerung, wie’s geht im Rechtsstaat: hier entscheidet ein unabhängiger Richter nach Beweislage über das Urteil.

Kommen wir zum Abschieben. Für unseren Vizekanzler hier eine Erinnerung an sein eigenes, derzeit in Deutschland von der Politik und Verwaltung wohl meistgebrochenes Gesetz. „Die Ausweisung ist ein ausländerrechtlicher Verwaltungsakt nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG)“. Der Deliquent muss sich einer schweren Straftat, die zu einer Verurteilung von drei Jahren führt, schuldig gemacht haben. Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit (keine Papiere), oder Personen, denen bei Ausweisung Tod oder Folter drohen, können gar nicht abgeschoben werden.

Aber welcher Politiker interessiert sich heutzutage noch für Gesetze?

Wie die viel strapazierte „ganze Härte des Gesetzes“ in der deutschen Praxis aussieht, zeigt ein gestriges Kölner Gerichtsurteil. Man höre und staune, der Spiegel berichtet:  Die beiden Marokkaner Mehdi E.-B. (18) und Otman K. (19), beide Asylbewerber, werden verdächtigt, in Köln an Silvester Frauen sexuell belästigt und beklaut zu haben. Gestern standen sie wegen eines Antanz-Trickdiebstahls vor Gericht.

Mehdi E.-B. reiste Anfang Dezember als Flüchtling in die Bundesrepublik ein. Noch im selben Monat wurde er bei einem Ladendiebstahl erwischt. Sein Komplize Otman K. ist der Polizei wegen Diebstahls und Körperverletzung bekannt.
Die Beiden werden im Eilverfahren (binnen einer Woche) vor Gericht gestellt.  Die Anklage lautet „gewerbsmäßiger Diebstahl“. Die Richterin mahnt: “Das sollte nicht noch mal vorkommen” und verurteilte die Beiden wegen einfachen Diebstahls zu einer Woche Jugendarrest. Und weil das Duo den Arrest mit der Untersuchungshaft bereits abgesessen hat, tanzen die Antänzer schon wenige Minuten später kichernd aus dem Gerichtssaal.

Tja, Frau Merkel, Herr Maas und Herr de Maizière, so geht Rechtsstaat, mit der ganzen Milde des Gesetzes.

Und noch was: seit gestern macht mir das Zeitunglesen wieder richtig Spaß. Einige Leitmedien, man höre und staune, trauen sich nicht mehr, „nicht hilfreiche“ Fakten wegzulassen.

Oder aber, einige Journalisten haben die Schnauze gestrichen voll.

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Leserpost

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stefan kliehmt / 10.01.2016

Ein sehr wohltuender Kommentar und gleichzeitig weist er auf die zur Zeit stattfindende Realsatire “Die volle Härte des Gesetzes” hin: das haben Sie gut beschrieben, Herr Haferburg, nichts als Sprechblasen…...

Mike Hartwig / 10.01.2016

Sehr geehrter Herr Haferburg, wenn man selbst lange im Knast gesessen hat, möchte man manchmal auch andere Leute im Knast wissen. Ich ertappe mich manchmal selber bei diesem frommen Wunsch nach Gerechtigkeit. Recht aber ist – und ich gehe davon aus, Sie wissen das auch – etwas völlig anderes. Es wird, wie Sie richtig anmerkten, von unabhängigen Richtern gesprochen. Und weil das in diesem Land immer noch relativ gut funktioniert, ist das Urteil, das Sie so in Rage versetzt, auch einfach zu akzeptieren. Man kann das Strafmaß für zu niedrig oder für zu hoch halten, man kann seine Meinung dazu auch öffentlich äußern. Wenn man aber sich SPON anbiedert, wie Sie es meinen tun zu müssen, gehe ich davon aus, dass bei Ihnen die Vernunft für längere Zeit auf Tauchstation gegangen ist und der Gerechtigkeitsduselei ein paar angenehme widerspruchsfreie Stunden genehmigt hat. Was wäre denn das Strafmaß, das Sie zufrieden stellte? Die Höchststrafe für Diebstahl, fünf Jahre? Oder ist Ihnen das Gesetz zu milde? Vielleicht doch die Sharia? Hand ab? Nur - was fangen Sie dann an mit so einer abgehackten Hand? Oder ärgert es Sie, dass die Richterin nur auf einfachen und nicht auf gewerbsmäßigen Diebstahl erkannte? Vermuten Sie nicht auch, wenn Sie dreimal tief durchatmen und mal richtig lesen, dass hier der Staatsanwaltschaft in der Kürze der Zeit die Gäule durchgegangen sind und sie keine Beweise für die Gewerbsmäßigkeit geliefert hat? Ohne Beweise keine Verurteilung durch mich, wird sich die Richterin gesagt haben und hatte mal eben nebenbei bewiesen, dass der Rechtsstaat noch funktioniert! Wer mit SPON fraternisiert, darf sich nicht beklagen, wenn ich ihn frage, ob er noch alle Schüsseln im Regal hat. Einen solch ideologischen Artikel zum unreflektierten Ausgangspunkt eigener unkritischer Überlegungen zu machen, zeugt davon, dass Sie ein richtig guter Deutscher sind, ein Zoni bis auf die Knochen, hartherzig wie man die Deutschen spätestens seit Saul K. Padover´s Lügendetektor kennen und fürchten muss. Es fängt im Artikel von SPON schon damit an, dass die beiden Autoren zwischen einer am 3.1.2016 begangenen Straftat und einer möglichen Anwesenheit der beiden Verurteilten am Kölner Hauptbahnhof in der Nacht vom 31.12.2015 zum 1.1.2016 eine Unmittelbarkeit konstruieren. Wegen welcher anderen Delikte die beiden Angeklagten der Polizei bekannt sind ist im Zusammenhang mit dem Prozess schnurz. Entweder haben die Ermittlungsbehörden rechtskräftige Beweise für andere Straftaten, dann sollen sie diese der Anklage beifügen, oder sie sollen den Sabbel halten. (Hier bei mir im Viertel funktioniert das doch auch: Bekannt als Räuber, Dieb, Hehler, Erpresser u.v.m hütet sich die Polizei mich öffentlich ohne Beweise so zu bezeichnen - sie hätten mit meinen Anwälten keinen Spaß!) “Für uns Polizisten sind solche Urteile vollkommen unverständlich” – kolportieren die beiden SPON-Chargen Diehl und Lehberger den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus. Und dieser Rettinghaus stellt „Bezüge zu den Übergriffen an Silvester“ her und mokiert sich deswegen über eine „derart niedrige Strafe“. Dafür gehört er entlassen! Oder befördert! Ein guter Deutscher ist er jedenfalls auch, von dem PEGIDA noch viel lernen kann. Diehl und Lehberger hingegen sollen bleiben wo sie sind. Die Gegner der Demokratie in den staatlichen Institutionen wissen, was sie an den beiden im Speziellen und an SPON allgemein haben. Mit der Lügenpresse haben sie jedenfalls nichts zu tun. Bleibt nur noch, das mit der Milde zu klären. Rettinghaus ist die Richterin und ihr Urteil zu milde, SPON mag den milden Rechtsstaat allgemein nicht und Sie, Herr Haferburg, vollenden mit dem Hinweis auf die Milde des Gesetzes die unbarmherzige Dreieinigkeit. Es ist ein schönes Land, in dem ich lebe! Ihren Hinweis, dass „Personen, denen bei Ausweisung Tod oder Folter drohen“ nicht abgeschoben werden, verstehe ich so, dass Sie doch ein guter Mensch sind. Sie wollten ja nur mal , vor Kühnheit zitternd wie ehedem Walser, der deutschen Justiz ihre Milde austreiben. Besten Dank dafür nach Paris! Mike Hartwig, Berlin

Gerhard Warthold / 09.01.2016

Es sind mehrere Aspekte. Zunächst die offenkundigen Ablenkungsmanöver der größten Rechtsbrecher (Merkel voran), die jetzt nach dem Rechtsstaat rufen. Dann der Blick auf die systematisch demontierten, desavouierten und kaputtgesparten Organe des Rechtsstaates, insbesondere Polizei und Justiz. Speziell vielleicht noch der Blick auf die Justiz: Verpflichtet zur Anwendung eines unüberschaubar gewordenen Wustes von Regelungen, sind selbst professionelle Rechtsanwender zunehmend nicht mehr in der Lage, Recht korrekt anzuwenden (renommierte Kommentatoren wählen bspw. Beschreibungen wie “Paragrafenmonster” in ihren Werken), und zwar völlig unabhängig von der immer häufiger zu beobachtenden Gängelung durch Obergerichte und die immer häufiger anzutreffende anmaßende Einmischung des Bundesverfassungsgerichts in die Zuständigkeit der höchsten deutschen Fachgerichte. Und schließlich: Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, daß Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die - zumindest im Westen - in der 3. Generation in DIESER Demokratie sozialisiert worden sind (grün-moralisierend, diskurs- und diskussionsfeindlich, Primat der Harmonie etc.), für ihre Aufgabe völlig ungeeignet sind, wenn sie mit Mitte/Ende 20 allein aufgrund ihrer Examensergenisse in den Justizdienst eingestellt worden sind und werden: Sie stammen in den aller-allermeisten Fällen aus absolut behüteten Verhältnissen, können daher Lebenskonflikte nur aus der gedruckten und gesendeten “Lückenpresse” (Klonovsky) kennen, haben keinerlei Lebenserfahrung. So sind sie schlicht unbrauchbar für ihren Beruf, erst recht in schwierigen Zeiten.

Herwig Mankovsky / 09.01.2016

Hoffentlich gelingt jetzt wirklich der Ausbruch aus der kollektiven Lügenspirale, in der sich aber auch große Teile der Bevölkerung und nicht nur Journalisten und Politiker gehorsamst befinden.

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