Aleksandra Rybinksa, Gastautorin / 29.12.2023 / 12:00 / Foto: AR / 62 / Seite ausdrucken

Medien in Polen: Besetzen, ausschalten, übernehmen

Es ist atemberaubend zu sehen, mit welcher Härte in Polen kurz nach dem Regierungswechsel die öffentlich-rechtlichen Medien aus- und umgeschaltet werden. Und die bislang mit Kritik an Polen nicht sparsamen EU-Partner schweigen dazu. Was geschieht dort gerade?

Der Streit um die öffentlich-rechtlichen Medien gehört zu den Erbsünden des demokratischen Polen. Er dauert in unserem Land an, seit wir die Unabhängigkeit 1989 wiedererlangt und demokratische Regeln eingeführt haben. Die Erbsünde besteht darin, dass die staatlichen Medien im kommunistischen Polen nicht nur Mittel der Kommunikation waren, die dem verfassungsmäßig garantierten Zugang zu Informationen dienten, sondern Propagandainstrument im Dienste der Regierung. Und so werden sie noch immer von einem Großteil der politischen Elite betrachtet. Jede Regierungskoalition, die nach 1989 an die Macht kam, hat sie sofort an sich gerissen und mit „eigenen” Journalisten besetzt, zumindest in den Schlüsselpositionen.

Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat sich ebenfalls dieser Sünde schuldig gemacht, als sie 2015 an die Macht kam. Nur muss man dazu anmerken, dass in Polen fast alle privaten Medien links-liberal sind und oft ausländischen Medienkonzernen gehören, wie dem Axel-Springer-Verlag. Das ist die Konsequenz der demokratischen Transformation nach 1989. Kapital für Mediengründungen war in Polen selbst nicht vorhanden, und wenn doch, dann stammte es aus Quellen der alten kommunistischen Machtstruktur. Die großen privaten Medien, die in den neunziger Jahren entstanden, stemmten sich entsprechend gegen die Aufarbeitung kommunistischer Verbrechen und hängen heute einer linken Ideologie an. Der Rest ist in fremder Hand. Die Tageszeitung Rzeczpospolita ist im August in das Eigentum der niederländischen Firma Pluralis übergegangen, deren Mehrheitseigner George Soros ist.

Obwohl also die Recht und Gerechtigkeit die öffentlich-rechtlichen Medien nach 2015 konservativ ausgerichtet hat und sie eindeutig nicht objektiv waren, ist dadurch wenigstens der Schein eines Pluralismus entstanden: Auf der einen Seite die Öffentlich-Rechtlichen, auf der anderen ein enormer Medienkomplex aus dutzenden Fernsehsendern, Zeitungen und Radios, fast alle auf einer links-liberalen Wellenlänge. Dem neuen Premierminister, und bis dato Oppositionsschef, Donald Tusk, war das natürlich ein Dorn im Auge. Er war oft Gegenstand der Berichterstattung, und die war selten positiv. Man hat ihm vorgeworfen, er sei ein Günstling Angela Merkels und natürlich Brüssels. In den Hauptnachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens strahlte man tagelang den Auftritt Ursula von der Leyens beim Parteitag der EPP im Juni 2022 aus, wo sie mit strahlenden Augen zu Tusk sagte: „Lieber Donald, wenn wir uns das nächste Mal sehen, bist du wieder Premierminister”. Sie berichteten ebenfalls ausführlich in der Dokumentarserie „Reset” über den Versuch der ersten Regierung Tusk (2007 bis 2014) die Beziehungen zu Russland zu normalisieren, trotz des Angriffs Moskaus auf Georgien und der verbrecherischen Natur des Putin-Regimes, entgegen polnischen Interessen.

Wer braucht ein Fernsehen, das einen ständig kritisiert?

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter der Regierung der PiS kritisierte die Europäische Flüchtlingspolitik, den Migrationspakt und lehnte die Rechtsstaatlichkeitsangriffe der EU als politisch motiviert ab. Deswegen war es Hauptangriffsziel der Liberalen, vor allem der jener Wähler der Bürgerkoalition von Donald Tusk, die sich „Silni razem” (Stark zusammen) nennen und auf Rache gesinnt waren. Er versprach ihnen während der Wahlkampagne 2023, die öffentlich-rechtlichen Medien sofort nach den Wahlen zu übernehmen und zu „reformieren”. Unter dem Vorwand der Wiederherstellung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

In Wirklichkeit waren sie ein leichteres Ziel als die Einlösung der 100 Wahlversprechen der Bürgerkoalition, die die Wahlen schließlich nicht gewonnen hat und Koalitionspartner brauchte, mit oft völlig gegensätzlichen Wählern und Wahlprogrammen. Eingetragene Partnerschaften für Homosexuelle: Die Bauernpartei, Koalitionspartner von Tusk, ist dagegen. Niedrigere Steuern? Unmöglich, das Haushaltsdefizit sei dafür angeblich zu hoch. Die Bürgerkoalition hat sich Schritt für Schritt von ihren Wahlversprechen verabschiedet. Aber die Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien, dieses Versprechen wollte sie dann doch einlösen. Wer braucht ein Fernsehen, das einen ständig kritisiert?

Nur leider stand ihr dabei der Nationale Medienrat, der Präsident, und letztendlich auch die Verfassung im Weg. Im Nationalen Medienrat, 2016 berufen, der für die Ernennung als auch die Abwahl der Senderchefs und der Aufsichtsräte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das heißt Telewizja Polska, Polskie Radio sowie Polska Agencja Prasowa, zuständig ist, sitzen fünf Mitglieder, von denen drei von der PiS nominiert wurden. Ihre Amtszeit dauert noch fünf Jahre. Dieser Weg war also nicht praktikabel.

Der nächste mögliche Weg, um die Senderchefs auszuwechseln, wäre eine entsprechende Gesetzesvorlage gewesen, aber gegen die hätte der Präsident sein Veto eingelegt. Die Regierungskoalition unter Donald Tusk verfügt nicht über eine 3/5-Mehrheit im Parlament, die nötig ist, um das Veto zu überstimmen. Man hätte natürlich versuchen können, den Präsidenten mit einzubeziehen und dabei eine nationale Debatte über die Gestaltung der Medien anzuregen, aber das hätte zu lange gedauert. Die Kommunalwahlen stehen im Frühjahr an und danach die Europawahlen. Die Bürgerkoalition wollte keinen Konsens, się wollte die öffentlich-rechtlichen Medien übernehmen, liberal ausrichten, Rache üben und die Berichterstattung zu ihren Gunsten ändern.

Beschluss ohne Rechtskraft?

Es begann nach Plan A: Zunächst hat die neue Regierungskoalition erklärt, die Berufung des Nationalen Medienrats sei 2016 verfassungswidrig erfolgt, was nicht der Wahrheit entspricht. Anschließend hat Tusk Bartłomiej Sienkiewicz, früher Oberstleutnant des Staatsschutzes (UOP), zum Kulturminister nominiert. Sienkiewicz hat, als er unter der ersten Regierung Tusk Innenminister war, mit Polizei-Provokationen während der Märsche am polnischen Unabhängigkeitstag Berühmtheit erlangt. Als erstes hat er die Vorstände der öffentlichen Medienunternehmen auf der Grundlage des Handelsgesellschaftsgesetzes entlassen, das für alle Unternehmen in Polen gilt, mit Ausnahme öffentlicher Medienunternehmen, die eigentlich gesonderten Gesetzen unterliegen. Diese Handlung war also komplett rechtswidrig. 

Anschließend hat er neue Aufsichtsräte ernannt, die neue Vorstände wählten. Dies geschah scheinbar fristlos und ohne Einhaltung der geltenden Kündigungsfristen. Gleichzeitig hat das Parlament mehrheitlich einen Beschluss verabschiedet, in dem der Kulturminister zum Wechsel der Vorstände der öffentlich-rechtlichen Medien aufgerufen wurde. Politiker der Bürgerplattfom sagten Journalisten wiederholt, der Parlamentsbeschluss hätte keinerlei Rechtskraft, er wäre nur eine Art Appell an den Minister. Trotzdem drangen anschließend, unter Berufung auf diesen Beschluss, die neuen Vorstände in die Gebäude der Sender ein, in Begleitung von – manchmal bewaffneten – privaten Wachmännern. Dort trafen sie auf Widerstand der Journalisten, die diese neuen Chefs nicht anerkennen wollten. Die gesamte Aktion dauerte genau 107 Minuten.

Anschließend wurde das Sendesignal des Nachrichtensenders TVP Info, der 16 Regionalsender und des englischsprachigen Senders TVP World ausgeschaltet, um den Widerstand der dortigen (und immer noch) legalen Vorstände und der Journalisten zu brechen. Archive und das Internetportal der TVP Info wurden komplett gelöscht. Diese Vorgehensweise wurde von Politikern der PiS scharf kritisiert. Sie schlossen sich den widerständigen Journalisten an und harren zum Teil immer noch in den Redaktionen aus. Das letzte Mal, dass die Staatsmedien nicht gesendet haben, war im Dezember 1981 nach Verhängung des Kriegsrechts. Das heißt, damals haben sie gesendet, aber nur die Ansprachen von General Wojciech Jaruzelski.

Die Kritik am Vorgehen gegen die öffentlich-rechtlichen Sender wurde in der Zwischenzeit immer lauter, auch von liberaler Seite. Man habe auf eine Übernahme gehofft, aber doch lieber nach den Regeln der Demokratie, hieße es. Es wurde argumentiert, dass so ein Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoße, dass man Parlamentsbeschlüsse über Gesetze stelle, weil der Präsident gegen sie kein Veto einlegen könne. Beschlüsse sind Empfehlungen des Parlaments ohne Rechtskraft. 

Ein gefährlicher Präzedenzfall

Die Konsequenz ist ein Abbau verfassungsrechtlicher Sicherungen. Wenn sie Gesetze übergehen können, können sie letztendlich tun und lassen, was sie wollen. Einige Politiker der Bürgerkoalition hatten sogar vorgeschlagen, den Präsidenten, der bis 2025 im Amt ist und dem Lager der PiS enstammt, zu „ignorieren”.

Nach einigen Tagen, nach Weihnachten, wurde die Kritik immer lauter, hauptsächlich aus dem englischsprachigen Ausland. Der Präsident legte sein Veto gegen das Haushaltsgesetz der Regierung Tusk ein, das drei Milliarden Zloty Finanzierung für die öffentlich-rechtlichen Medien beinhaltet. Ohne dieses Geld aus dem Haushalt ist die Finanzierung der Medien nicht gesichert.

Die Antwort der Regierung war der Plan B: die öffentlich-rechtlichen Medien unter Konkursverwaltung zu stellen. Die Regierung will sie natürlich nicht wirklich schließen, aber da der Widerstand groß ist und auch die Kritik, will man versuchen, in die Medienverwaltungen Abwickler einzusetzen, in der Hoffnung, dass das Nationale Justizregister eher bereit ist, sie als neue Medienchefs einzutragen als die illegal gewählten Vorstände. Kritiker dieser Lösung behaupten, dass sich durch die Auflösung der öffentlichen Medien ihre Mission ändern würde, und dass der Kulturminister, der Teil der Exekutive ist, de facto die Mediengesetze ändert, wozu er kein Recht hat. Damit werde die Gewaltenteilung aufgehoben.

Die Programme der Sender haben sich bereits geändert. Es gibt inzwischen Nachrichten, die brav die links-liberale Linie der neuen Regierung widerspiegeln: Die EU ist toll und der Migrationspakt ein Erfolg.

Die EU schweigt dazu. Schlimmer noch: Der Angriff auf die öffentlich-rechtlichen Medien fand während des Besuchs von EU-Kommissarin Vera Jourova im Parlament statt, und die Angeordneten der PiS hatten sie darüber informiert. Doch sie wollte keinen Kommentar dazu abgeben.

Was in Polen passiert ist, ist natürlich ein gefährlicher Präzedenzfall. Die nächsten Regierungen könnten sich daran ein Beispiel nehmen, und dann ist die Rechtsordnung in Polen irgendwann komplett zerstört. Es zeigt gleichzeitig, dass der Rechtsstaat und die Rechtsstaatlichkeit für die Funktionäre in Brüssel nur leere Floskeln sind. Einsetzbar ausschließlich als Argument gegen politisch unliebsame Regierungen. Die anderen können tun, was sie wollen. Es stört sich niemand daran, selbst wenn sie im Unrecht sind.

 

Aleksandra Rybińska ist Politologin, Redakteurin der Internetzeitschrift „Nowa Konfederacja“, Publizistin des Portals „wPolityce.pl“ und des Wochenmagazins „wSieci“ sowie Vorstandsmitglied der Maciej Rybiński Stiftung.

Foto: AR

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Dirk Kern / 29.12.2023

Es gab im Jahr 2008 keinen “Angriff Russlands gegen Georgien”. Georgien hatte vielmehr und zwar sehr schlecht beraten von den USA, das abtrünnige Südossetien und die dort von den Vereinten Nationen beauftragten, russischen Friedenstruppe mit dem Ziel der Rückeroberung der abtrünnigen Gebiete attackiert. Die angreifende, georgische Armee wurde aber trotz amerikanischer Bewaffnung von den russischen Truppen sehr schnell gestoppt und zurückgedrängt.  Nach schon fünf Tagen endete der Konflikt in einem bis heute haltenden Waffenstillstand, die russischen Truppen waren zwischenzeitlich bis auf georgisches Gebiet vorgedrungen. Glücklicherweise ist dieser Krieg anders als dann nur wenig später 2014 in der Ukraine nicht weiter eskaliert.  Sowohl den Georgiern als auch den Osseten blieb also ein katastrophaler und opferreicher Krieg unter ausländischer Beteiligung erspart.

Dieter Rose / 29.12.2023

Blaupause für DE! Da kann doch niemand was dagegen haben.

Klaus Schmid / 29.12.2023

Es gibt eben auch einen “guten Faschismus”.

sybille eden / 29.12.2023

Ist doch ganz klar das dort ein Exempel statuiert werden soll. Als Warnung für alle Staaten die nicht auf Linie sind.

Chris Kuhn / 29.12.2023

Ja ohne Putin-Bashing geht hier kein Artikel mehr durch. 2008 hat nicht die russische, sondern die georgische Armee zuerst geschossen, nämlich auf Milizeinheiten Südossetiens. Daß die Minderheitenlage im Kaukasus komplexer ist, als es hier dargestellt wird, gehört zur Wahrheit und manifestiert sich gerade wieder in Georgien (und Armenien). Die Spielchen der NATO, welche in dieser Region nichts zu suchen hat, und der EU mit ihren leeren Versprechungen à lá Ukraine versprechen nichts Gutes.

Dr. R. Möller / 29.12.2023

Bin bin auf den Aufschrei der aufrechten Demokraten der SED 2.0 un der EU gespannt, wenn Ministerpräsident Björn Höcke rechtmäßig den Medienstaatsvertrag kündigt. Diese „gewaltsame““ Zerstörung IHRER Demokratie werden sie nicht hinnehmen.

Lutz Liebezeit / 29.12.2023

@ Holger Chavez Ich habe die AfD gleich gewarnt, wenn die über Rechts kommen will, fährt die direkt gegen den Baum. Die wird verboten werden. Die Polarisierung ist Teil des Spiels und man muß zuerst mal gucken, welche Seite sich die Regierung aussucht. Eine Seite hat das böse Bewußtsein und die wählt man natürlich nicht. Man grast immer in der Mitte und schiebt die Regierung zum bösen Bewußtsein, man umgarnt das liberale Bürgertum. Da sind die Stimmen.

Chris Groll / 29.12.2023

@Rudi Hoffmann, stimmt, auch in meinen Augen ist   Frau Rybinska , eine tolle Journalistin ! Auch ich sehe den Presseclub schon lange nicht mehr. @Ferdinand Hutter, die Polen haben diese Regierung gewählt, dann müssen sie auch mit den Konsequenzen der mohammedanischen Invasion leben.  Dachte immer, die Polen wären schlauer, ein großer Irrtum. Aber Dummheit schütz bekanntlich vor Strafe nicht.

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