Rumänien macht zwar kaum Schlagzeilen in den deutschen Medien, es ist aber in den Nachrichten immer wieder präsent. Meistens geht es um die Vergangenheit, und wenn es um die Gegenwart geht, geht es fast immer auch um die Vergangenheit. Selbst in den letzten Tagen war es nicht anders. Es ging diesmal um Tunesien, und vor allem um Ägypten. Was aber hat Rumänien mit Tunesien und mit Ägypten zu tun?
Jedenfalls wurde das Stichwort Rumänien im Zusammenhang mit den Nachrichten aus Tunesien und aus Ägypten in Umlauf gebracht. Man brauchte wohl einen griffigen Vergleich. Den brauchten die Korrespondenten vor Ort, die Kommentatoren im Studio und in der Presse. Es war gerade ein schwer einzuordnendes Phänomen entstanden. In beiden Ländern sind plötzlich, ohne jede einschlägige Tradition vor Augen, Menschen in großen Gruppen auf den Straßen und Plätzen erschienen, haben nach Freiheit verlangt und den Rücktritt der korrupten Oberschicht aus dem Staatsapparat und den Gremien der Gesellschaft gefordert.
Das war so unerhört wie unerwartet. Die Korrespondenten fanden die jungen Leute auf der Straße gut. Obwohl sie von den prekären Grundlagen des Aufstands wissen mussten, ließen sie sich trotzdem vom Gefühl mittragen. Schließlich waren es die Zuschauer, die Leser und die Zuhörer, die die Zustimmung zum Aufbegehren erwarteten.
Das war immer schon so. Spätestens aber seit dem Ende des Napoleon und mit dem Anfang des Biedermeier in der Mitte Europas. Damals begeisterte man sich für die Griechen und später für die Polen. Lord Byron, der Brite unter den Engagierten, machte sich sogar selbst nach Griechenland auf, um sich am Freiheitskampf zu beteiligen.
Das alles passiert diesmal nicht, obwohl die Sympathie auffallend groß ist. Sie überwölbt die Lage. In Wirklichkeit ist es wie immer in der Geschichte, wenn sich etwas innerhalb der Peripherie des Westens, im Grenzland oder gar in den angrenzenden Territorien ereignet. Man sieht darin eine Veränderung, mit Vorliebe eine politische. Es ist eine Veränderung, mit der man gerechnet hat, über deren Voraussetzungen und Hintergrund man aber zu Recht skeptisch ist.
Der Protest der jungen Leute ist verständlich, zumal sie mit ihren Forderungen deutlich machen, dass auch sie leben möchten wie im Westen, und zwar in einem Rechtsstaat, und dass sie nicht weiter der Willkür ausgeliefert sein wollen. Das ist deutlich, aber es ist noch lange nicht politisch. Fragt man nach dem Politischen, stellt sich schnell heraus, dass in diesen Ländern weder ernst zu nehmende Parteien, noch die Voraussetzungen dafür bestehen.
Eine amorphe Gesellschaft begehrt auf. Sicher ist nur, und darüber gibt es einen breiten Konsens, dass die Uhr der bisherigen Machthaber abgelaufen ist. Wer aber sind diese Machthaber? Es ist die schon seit Jahrzehnten gewachsene Oberschicht, die alle Fäden in Wirtschaft, Politik und Kultur in der Hand hält und die mit dem Pan-Arabismus und speziell mit dem Nasserismus der Fünfzigerjahre an die Schalter der Macht gekommen ist. Es sind Familienclans und Seilschaften, die sich um Armee und Staatsapparat gruppieren. Der Rest der Bevölkerung ist machtlos oder setzt auf die Islamisten.
In dieser Debatte ist man schnell am Nullpunkt des Problems, so braucht man, um das Thema doch noch zu beleben, ein Vergleichsmotiv. Schon nach ein paar Tagen kamen die Journalisten auf die Idee, den Vergleich mit dem Herbst 1989 in Osteuropa zu ziehen, und speziell mit Rumänien, wo gekämpft wurde, und es dabei, nicht zuletzt, um das Verhalten der Armee ging. Es trifft zwar zu, dass Rumänien gewisse Züge eines Staates der Peripherie hat, letzten Endes geht es aber darum, dass es über eine andere geopolitische Voraussetzung verfügt, und über kulturelle europäische Anbindungen aller Art.
Warum also der Vergleich mit dem Aufstand in Bukarest? Wahr ist, dass über die rumänischen Umstände und das Ende des Diktatorenpaars viel diskutiert wurde, auch international, und dass die Ereignisse auch nach 20 Jahren im Dunkeln liegen. So haben die Journalisten nicht nur ein historisches Datum ins Spiel gebracht, sondern mit dem rumänischen Beispiel auch dessen Fragwürdigkeiten. Damit aber wurde die gefühlsverdeckte Skepsis, was Tunis und Kairo angeht, nochmals - in symbolischer Weise- vorgetragen.