Vince Ebert / 12.12.2009 / 13:43 / 0 / Seite ausdrucken

Lieber richtigen Sex als sechs Richtige

Lord Chesterfield sagte zum Thema Sex: „Das Vergnügen ist flüchtig, die Stellung lächerlich und die Folgekosten monströs.“ Dennoch versucht sich jedes Lebewesen, das mehr als zwei Neuronen besitzt, auf Teufel komm‘ raus fortzupflanzen. Und zwar mit allen Mitteln. Das Werben um Geschlechtsverkehr erklärt buntes Gefieder, rituelle Kämpfe und klobige Geländewagen die von einem hohen Prozentsatz kleiner, hässlicher Männer gefahren werden. In Papua-Neuguinea tragen die Herren der Schöpfung aus Imponiergehabe sogar einen Penisköcher. Das gehört dort zum Kulturgut. Aber versuchen sie mal, mit einem solchen Ding bei der Taunussparkasse Oberursel einen Kredit zu bekommen. Viel Glück dabei.
Weibliche Exemplare unterschiedlichster Spezies vom Zwerghasen bis zum Skihasen unterziehen Männchen brutale Folterqualen und absurde Balzrituale, bevor sie gestatten, mit ihnen zu kopulieren. Deswegen schleppen sich Männer, die mit der Eleganz eines Kachelofens gesegnet sind, ihrer Frau zuliebe zu lächerlichen Salsa-Abenden oder begleiten sie bei tagelangen Shopping-Marathons.
Vor der ersten Nacht führt der Mann die Frau groß zum Essen aus und bezahlt dabei ein Vermögen. Dabei wäre es umgekehrt viel praktischer. Vorher ist man so nervös, dass man eh‘ nichts runter bekommt – und danach hat man meist einen riesen Hunger. Doch so läuft das Spiel nicht. Bevor eine Dame mit einem Mann zum ersten Mal ins Bett geht, werden rund eine Million Worte gewechselt. Die meisten davon von der Frau.
Der Drang nach Sex beeinflusst unser Leben in allen Bereichen. Ohne die unzähligen Pornoseiten beispielsweise wäre das Internet heute noch ein Insidertipp für Informatikstudenten.
Aus Sicht der Hirnforschung ist das Gucken eines Pornos übrigens hochinteressant. Die Betrachtung der Bilder aktiviert nämlich bestimmte Regionen in unserem Stirnlappen, der sogenannte Spiegelneuronen enthält. Das sind hochentwickelte Bausteine unseres Gehirns, die nicht nur aktiv sind, wenn man eine Bewegung selbst ausführt, sondern auch dann, wenn man die gleiche Bewegung bei jemandem anderen sieht. Die Spiegelneuronen sorgen folglich dafür, dass wir buchstäblich zu Mit-Gefühl fähig sind. Ich wollte nur, dass sie das wissen. Ohne diese Information bekommen sie zwar bei einem Sexfilm eventuell auch Lust – aber auf einem intellektuell wesentlich niedrigeren Niveau.
Forscher vermuten, dass auch einige höher entwickelte Tiere Spiegelneuronen besitzen. Deswegen haben vor einiger Zeit die Wärter des Pekinger Zoos den Pandabären Pornos vorgespielt, um sie zu animieren, sich zu vermehren. Ein Experiment, das leider gescheitert ist. Die Pandas haben zwar daraufhin tatsächlich miteinander geschlafen, doch jedes Mal, wenn das Männchen soweit war, zog es seinen Penis heraus, und ejakulierte auf die Brüste des Weibchens.
Milliarden von Organismen sausen durch die Welt mit nur einem einzigen Auftrag: Mein Erbgut ist die wichtigste Substanz im gesamten Universum! Jedes Lebewesen ist gnadenlos dazu bestimmt, seine Gene weiterzugeben. Das finden wir bei jungen Katzen süß, bei Küchenschaben eklig.
Um das eigene Fortbestehen zu garantieren, hat sich die Natur die originellsten Tricks und fiesesten Kniffe ausgedacht. Die Seepocke hat im Verhältnis zur Körpergröße den längsten Penisse aller Geschöpfe der Welt und gilt somit als der „Long Dong Silver“ des Tierreiches. Ihr Zeugungsorgan kann siebenmal (!) länger werden als ihr Körper. Übrigens stehen Seepocken üblicherweise auf ihren Köpfen und fressen mit den Füßen – ein eindeutiger Hinweis, dass ein übermäßig großes Gemächt zu schweren psychischen Störungen führen kann. Deswegen habe ich letzte Woche auch nicht auf die Email eines russischen Professors geantwortet, der mir ein Mittel verkaufen wollte, mit dem ich meinen Penis um 40 % verlängern könnte. Das war mir zu heikel. Außerdem habe ich auch noch eine extrem verwinkelte Wohnung. Der Komiker Robin Williams brachte das Ganze auf den Punkt: Gott gab uns einen Penis und ein Gehirn, aber nicht genug Blut, um beides gleichzeitig zu betreiben.
Ob es uns gefällt oder nicht. Wir sind Gefangene unserer Triebe. Siegmund Freud hatte im Kern recht. Der Ausdruck „Sexuelle Freiheit“ ist genau genommen ein Paradoxon.
Dennoch streben viele danach. Selbst das Leben der größten Genies und Denker drehte sich bei genauerem Hinsehen meist um Sex und Frauen. Picasso, Einstein, Mozart oder Brecht waren Schürzenjäger vor dem Herren. Der eher nüchterne Philosoph Arthur Schopenhauer sagte von sich: „Ich war den Weibern immer sehr gewogen – hätten sie mich nur haben wollen.“ Und der große Konfuzius musste bitter erkennen: Man kann sein Bett so groß bauen wie man will, und trotzdem sehr wenige Frauen dazu bringen, mit einem zu schlafen.
Dennoch sollte man die Sexualität keinesfalls als platt, oberflächlich oder geistlos verteufeln. Immerhin ist es empirisch bewiesen, dass hochgradig Gebildete häufiger Sex haben als intellektuelle Tiefflieger. Denn Sex fängt ja bekanntlich im Kopf an, aber hört selten damit auf.
Umgekehrt leidet in sexualfeindlichen Kulturen nicht nur die Lebensfreude, sondern auch der Intellekt. Alle Gesellschaften, die körperliche Freuden einschränken, unterdrücken oder verbieten, sind stets auch in anderen Bereichen unfrei und repressiv. Deswegen hatte der Kampf um sexuelle Freiheit immer auch eine politische Dimension. Die Antibabypille hat vermutlich mehr zur Stärkung der Frauen beigetragen als alle Parteiprogramme zusammen. Denn die Pille gab zum ersten Mal in der Geschichte dem weiblichen Geschlecht die Macht, über ihre Zukunft zu entscheiden. Mit ihrer Einführung schnellte in Deutschland die Zahl von Jura- und Medizinstudentinnen spektakulär in die Höhe, weil die Frauen wussten, dass sie ihre Ausbildung abschließen und sich beruflich etablieren konnten, ohne wie eine Nonnen leben zu müssen. Da die Pille offensichtlich bildungsfördernd ist, müssten sie die Frauen eigentlich steuerliche Vorteile davon haben. „Haben sie auch“ erklärte mir mein Steuerberater. „Aber nur, wenn sie sie vergessen zu nehmen.“ Übrigens verhüten inzwischen immer mehr Frauen wieder mit der Temperaturmethode. Wenn’s im Schlafzimmer unter 17 Grad ist, läuft gar nichts.
Dreht sich denn wirklich alles immer nur um das eine? Natürlich nicht. Männer beim Fußballgucken scheinen eine erstaunliche Ausnahme zu sein.  Während der letzten Fußball-WM fiel der Absatz von Viagra um die Hälfte. Das lässt zwei Rückschüsse zu: Entweder hatten die Männer während des Turniers tatsächlich keine Lust auf Sex oder sie wurden durch die Spiele so angeturnt, dass sie auch ohne Viagra ihr blaues Wunder erlebten.

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