Antje Sievers / 28.05.2014 / 12:47 / 3 / Seite ausdrucken

Kreuzung aus Arafat und altem Fensterleder

Neulich ging ich an einem etwa sechzehnjährigen Mädchen vorbei, dessen Dekolleté breitflächig von einem bunten, tätowierten Cupcake geziert wurde. Die Zeiten haben sich wirklich geändert. Früher galten Tätowierungen als vulgär und proletarisch, ja geradezu verdächtig. Es gab eigentlich nur drei Bevölkerungsgruppen, die Tätowierungen hatten: Seeleute, Ex-Häftlinge und Rocker.

Bei den Seeleuten gehörten die pfeildurchbohrten Herzen mit dem Namen der Liebsten oder der Mutter, der Anker und die Bark mit vollen Segeln hart am Wind schlicht zur Folklore. Ex-Häftlinge hatten die von Tattoo-Joe aus Zellenblock III dilettantisch handgestochenen Knastkennzeichen an abartigen Stellen wie auf den Fingerknöcheln und zwischen den Augenbrauen. Und die Tätowierungen der Rocker konnte man gebührend bewundern, wenn sie im Sommer ihre 120 Kilo von der BMW wuchteten und die Schwimmbäder unsicher machten: Die Tattoos wurden damals noch nicht so kunstvoll ausgeführt wie heute, und die verschwommenen blau-violetten Abbildungen auf der rosigen Haut erinnerten lebhaft an die wegen Trichinenfreiheit vom Fleischbeschauer blau abgestempelten Schweinehälften beim Metzger.

Früher hätte man als untätowierter Zeitgenosse nicht mal gewusst, wo man denn ein Tattoo verpasst bekommt, denn Tätowierer gab’s höchstens in irgendeinem Hinterzimmer auf dem Kiez, nicht wie heute, wo man auf Schritt und Tritt zwischen Friseur und Bäcker gepierct, gelasert und tätowiert werden kann. Früher haben sich allerdings auch höhere Töchter keine Tattoos zum Geburtstag gewünscht.

Auch bei Tätowierungen sind deutlich Moden zu verzeichnen. So verschwand das Batmanartige Arschgeweih zusammen mit der Bauchfreimode. Dann schwappte die Esoterikwelle in die Tattoosalons und man ließ sich japanische Weisheiten, Hieroglyphen und Yin/Yang-Kreise in den Nacken stechen. Heute scheint ein bunt tätowierter Arm oder die bebilderte Wade der große Renner zu sein.

Männer neigen nach wie vor eher zu martialischen Motiven, während Frauen Tiere, Ornamente und Blumen bevorzugen, am liebsten in bunten Farben. Ich kannte sogar mal eine, die tätowierte Diddlmäuse auf dem Körper trug. Leider nicht nur da – auch auf der Kleidung und als Maskottchen an der Tasche baumelnd. Die Frau sah obendrein mit ihrer runden Nickelbrille, den dünnen Ärmchen und den Riesenfüßen selbst aus wie eine überdimensionale Diddlmaus. Wer auf der Suche nach Schönheit und Individualität Diddlmäuse findet, hat von vornherein verloren. Wer gar den Namen seines Freundes auf der Haut verewigt, begeht offenbar den klassischen Tattooanfängerfehler: „Christoph forever“ kann leicht abgelöst werden von „Oliver forever“, demnächst auch bekannt als „Kevin forever“. Spätestens „Jean-Paul forever“ wird sich fragen, ob er wirklich mit einer Frau herumlaufen will, die wie ein menschlicher Wanderpreis aussieht …

Aber um auf das Cupcake-Mädchen zurückzukommen: Hat sie mal darüber nachgedacht, wie das Tattoo aussehen wird, wenn es keine sechzehnjährigen Betontitten mehr zieren wird, sondern fünfundfünfzigjährige Hängebrüste, an denen zwei Kinder genährt wurden? Und dass es eventuell viel von seinem Zauber einbüßen könnte, wenn die Haut erstmal welk und schrumpelig ist?

Wahrscheinlich nicht. Mit sechzehn konnte ich mir auch nicht vorstellen, mal zu altern. Schließlich war ich mein Leben lang jung gewesen - warum sollte sich das jemals ändern? Alt werden bekanntlich immer nur die andern. Ich sage nicht, dass ich nicht auch schon mal mit dem Gedanken gespielt habe, mir ein Tattoo stechen zu lassen – schließlich kann man sich schon ab hundert Euro dauerhaft verunstalten lassen. Aber glücklicherweise bin ich immer noch 100% tattoofrei.

Seit neulich weiß ich auch, warum: In meiner Muckibude lief eine Frau um die fünfzig splitternackt vor mir her. Sie war auf dem Weg zur Dusche. Zwischen ihren schwabbeligen Hinterbacken und den zwei Schwimmringen prangte ein blaues Arschgeweih. Das Beste, was man über diesen Anblick sagen konnte, war, dass es farblich perfekt mit den Krampfadern in ihren Kniekehlen harmonierte.

Man kann unerwünschte Tattoos heute natürlich auch einigermaßen entfernen lassen. Aber das ist schmerzhaft, kostet ein Vermögen und hinterher sieht man unter Umständen aus wie ein Napalmopfer. Also lieber vorher mal nachdenken. Muss so was sein? Mädels, die Wechseljahre kommen früher oder später, aber sie kommen. Ihr werdet das Telefon nicht mehr hören, eine Gleitsichtbrille brauchen und morgens beim ersten Blick in den Spiegel aussehen wie eine Kreuzung aus Arafat und einem alten Fensterleder. Das ist auch ohne Tattoos schon hart genug.

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Leserpost

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Markus Sommer / 29.05.2014

Man sollte den jungen Mädchen und Frauen besser empfehlen, ihre jugendlichen Körper in vollen Zügen auszuleben. Als ob es nicht letztendlich egal wäre, ob ein alter unansehnlicher Körper tätowiert ist oder nicht. Bei einer Tätowierung schwingt vielleicht noch, zumindest in einer gewissen Übergangszeit, ein Nachhall vergangener Lebenslust oder der nostalgische Hauch erotischer, jugendlicher Ausgelassenheit mit.

Dirk Ahlbrecht / 28.05.2014

Eine schöne Geschichte, Frau Sievers. Diese erinnerte mich an meine eigenen Überlegungen aus Jugendzeiten mir ein Tattoo auf den Oberarm stechen zu lassen. Da bei uns auf dem platten Land allerdings keine entsprechende Tattoo-Station zu finden war, wollten zwei Schulfreunde und ich die Gelegenheit einer Klassenfahrt nach London nutzen, um uns dort “verschönern” zu lassen. In London angekommen, ich war damals knapp 16 Jahre, schlichen wir tagelang um ein Tattoo-Studio in der Nähe unserer Unterkunft. Da sich in dem Studio jedoch allerlei finstere Gestalten herumdrückten, und ich darüber hinaus ständig das Gesicht meines Vaters vor dem geistigen Auge hatte, haben wir die “Operation Tattoo” letztlich nicht durchgeführt. Wieder daheim erzählte ich meinen Eltern von meiner fast durchgeführten Tattoo-Aktion. Mein Vater quittierte diese Geschichte seinerzeit relativ trocken mit dem Satz: “Im Geräteschuppen hinterm Haus hätten wir sicher noch ein Plätzchen für Dich hergerichtet!”, was meine Mutter mit einem langgezogenen “Wilhelm!!!!” kommentierte. Heute, mit fast 50 Jahren, bin ich sehr froh, daß mir seinerzeit in London das Bild meines Vaters nicht aus dem Kopf wollte.

Klaus Metzger / 28.05.2014

Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen ungewollt mit einem “Ente Süss/Sauer”-Tattoo aus der Speisekarte vom Chinesen an der Ecke herumlaufen.

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