Michael Miersch / 25.03.2014 / 08:03 / 1 / Seite ausdrucken

Klimaerwärmung und Artensterben: Langsame Einsicht

DER SPIEGEL, 24.3 2014:

Verursacht die Erderwärmung ein globales Artensterben? Der Uno-Klimarat ist sich da nicht mehr sicher: Nach SPIEGEL-Informationen sät er im Entwurf seines neuen Reports erstaunlich große Zweifel an seinen bislang verbreiteten Vorhersagen.

Der Uno-Klimarat IPCC zieht seine bisherigen Prognosen eines Artensterbens überraschend stark in Zweifel. Das berichtet der SPIEGEL in seiner neuen Ausgabe. Dem geheimen Berichtsentwurf des IPCC zufolge, dessen zweiter Teil Ende März veröffentlicht werden soll, rechnet der IPCC zwar weiterhin mit dem Risiko, dass zahlreiche Tier- und Pflanzenarten der Klimaerwärmung zum Opfer fallen könnten. Andererseits distanzieren sich die Wissenschaftler von ihren Prognosen: “Es besteht sehr geringes Vertrauen darin, dass die Modelle das Aussterberisiko derzeit akkurat vorhersagen”, zitiert der SPIEGEL aus dem Report.
In den vergangenen Jahren seien wissenschaftliche Unsicherheiten “offenkundiger geworden”. Der Klimarat zog die Konsequenz aus den erkannten Problemen: Im Berichtsentwurf werden keine konkreten Zahlen mehr genannt zum postulierten Artensterben…

Neu ist diese Erkenntnis nicht. Siehe:

WELT AM SONNTAG, 27.02.2005

Prognosen zur Klimaerwärmung sagen ein Massensterben von Tier- und Pflanzenarten voraus. Doch die düsteren Hypothesen können sich kaum auf Fakten stützen.

Von Michael Miersch

Die Überschrift einer deutschen Boulevardzeitung war eindeutig: „Die Eisbären sterben aus.“ Der weiße Gigant werde das erste Opfer der Klimakatastrophe. Ohne Eis kein Eisbär: Das klingt irgendwie plausibel. Ob es stimmt ist eine andere Frage. Solche Schlagzeilen sind zumeist das Endprodukt einer langen Kette der Informationsverarbeitung. Am Anfang steht eine wissenschaftliche Untersuchung, deren Ergebnisse nicht allzu spektakulär sind. Zum Beispiel, dass in einigen Regionen des Nordpolarmeeres seit einigen Jahren eine leichte Temperaturerhöhung festzustellen ist. Die Öffentlichkeitsarbeiter des jeweiligen Instituts packen eine hübsche Hypothese dazu. Die wird von einer Spendenorganisation aufgegriffen und zugespitzt. Deren Presserklärung landet in einer Fachzeitschrift und wird dort von einem Sensationsjournalisten entdeckt. Ergebnis: die Eisbären sterben aus. So prangte es im Jahr 2003 weltweit auf den Titelseiten populärer Massenblätter. Es gab auch schon gewagtere Thesen. Die Pinguine in Alaska seien von der Erderwärmung bedroht, konnte man nach einer Klimakonferenz in USA lesen. Peinlich nur, dass Pinguine ausschließlich auf der Südhalbkugel leben, also weder in Alaska noch sonst irgendwo am Nordpolargebiet. 

Obwohl Eisbären definitiv am Nordpol leben, ist die Kunde vom ihrem Aussterben auch nicht viel härter bewiesen. Die Zählungen der Weltnaturschutzunion (IUCN) und des WWF ergaben, dass von zwanzig Populationen zehn stabil sind, sechs unbekannt, zwei wachsend und zwei abnehmend. Die Rückläufigkeit der beiden regionalen Bestände hat jedoch mit Überjagung und nichts mit dem Klima zu tun. Nicht gerade der Stoff für ein dramatische Aussterbeszenario. Anlass der Schreckensmeldung waren wärmere Temperaturen in der kanadischen Hudson Bay. Doch auch die sind nicht so ungewöhnlich wie die Berichte suggerierten. Dreimal in den vergangnen 100 Jahren war es bereits wärmer, und zwischen 1970 und 1990 sanken die Temperaturen.

Etwa gleichzeitig zum Ende der Eisbären wurde eine anderes Aussterbeszenario bekannt: Die Zahl der arktischen Wölfe im Nordosten Kanadas nahm ab. Wiederum sollte das Klima schuld sein. Doch wer den Berichte genauer las, kam ins Grübeln. Denn diesmal ging es nicht um Erwärmung sondern um Abkühlung. Mehrere Sommer in Folge waren ungewöhnlich kalt. Es hatte bereits im August geschneit.

Nicht nur im hohen Norden leiden Flora und Fauna unter der Klimaerwärmung, weltweit rafft das Fieber des Globus die Arten dahin. Diesen Eindruck erweckte eine Studie, die Anfang 2004 Schlagzeilen machte. „Die globale Erwärmung,“ so faste die Nachrichtenagentur Reuters zusammen, „könnte bis zum Jahr 2050 ein Viertel aller Arten auslöschen.“ So stand es dann weltweit in die Zeitungen. Was war geschehen? Wissenschaftler der Universität Leeds in England hatten prognostiziert, wie sich eine fortschreitende Klimaerwärmung auf 1103 ausgewählte Arten auswirken würde, und waren zu dem Schluss gekommen, dass 15 bis 37 Prozent dieser ausgewählten Arten dann wohl untergehen würden. Also eine Hypothese aufgrund von Hochrechungen. So stand es auch in ihrer Studie: „Das Vorhersagen von Aussterben enthält viele Unbekannten, und die Werte, die hier vorgelegt werden, sollten nicht als präzise Vorhersagen betrachtet werden.“ So wurden sie aber von vielen Hundert großen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern betrachtet und weitergegeben. Lediglich ein Journalist der britischen „Times“ bemerkte: „Es riecht nach dubioser Wissenschaft.“ Zu den angeblichen Aussterbekandidaten gehörten die Proteapflanzen am Kap der guten Hoffnung. Doch die vorliegenden historischen Temperaturdaten zeigen, dass dort in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts viel wärmer war als heute. Offenbar hat die Vegetation das gut überstanden.

Im aufgeheizten Wissenschaftsbetrieb ist Aufmerksamkeit die wichtigste Währung. Wer mit seiner Arbeit in die Schlagzeilen kommt, verbessert seine Aussicht auf neues Geld und neue Stellen. Die Verführung, einen unspektakulären Befund durch ein paar dramatisierende Formulierungen „sexy“ zu machen, ist verlockend. Haben die Medien erst einmall angebissen, sorgen sie von selbst für eine weitere „Zuspitzung“ des Themas. Heute ist die „Klimakatastrophe“ bereits so fest im öffentlichen Bewusstsein installiert, dass nahezu jede Ausschmückung des drohenden Desasters geglaubt wird.

Dass wärmere Temperaturen zu einem Rückgang der Artenvielfalt führen ist jedoch keine sonderlich plausible Prognose. Zwei einfache Befunde sprechen dagegen. Erstens nimmt die Artenvielfalt der Erde zum Äquator hin immer mehr zu. Die geringste Artenvielfalt herrscht an den Polen und in der Kälte der Hochgebirge, die höchste im tropischen Regenwald. Und zweitens waren die Warmzeiten der Erdgeschichte immer die artenreichsten, währen in den Eiszeiten die Vielfalt abnahm (siehe Interview). Warum sollte es diesmal anders sein – falls es wirklich zu einer starken Klimaerwärmung kommt?

Obendrein sprechen messbare ökologische Veränderungen der Gegenwart dagegen. Der erhöhte Kohlendioxidgehalt der Luft bewirkt ein stärkeres Pflanzenwachstum, insbesondere auf der Nordhalbkugel. Satellitenbilder dokumentieren, wie sich die Wälder ausdehnen. Außerdem gibt es deutlichen Anzeichen dafür, dass die Sahara schrumpft. Im Herbst 2002 wertete ein internationales Wissenschaftlerteam Satellitenbilder und Niederschlagsmessungen aus. Sie stellten fest, dass das fruchtbare Land zunimmt und die vegetationslose Fläche auf dem Rückzug ist. Wachsende Wälder und schwindende Wüsten sind nicht gerade ein Szenario, bei dem man mit einem galoppierenden Artentod rechnen muss.

Sicherlich werden bestimmte an die Kälte angepasste Arten Schwierigkeiten bekommen, wenn es in den kalten Zonen immer wärmer werden sollte. Auch das Mammut verschwand als die Eiszeit zuende ging. Doch auf der anderen Seite der Bilanz sind höhere Temperaturen für weitaus mehr Pflanzen und Tiere vorteilhaft. Die warmen Sommer der vergangenen Jahre haben etliche Arten nach Deutschland gelockt, die unsere heimische Natur bereichern. Eine davon ist der Bienenfresser, ein bunt gefiederter Schönling, der von Insekten lebt und es gern warm und trocken hat. Mit seinem gelb-schwarz-grün-blau-braunen Federkleid sieht er wie ein tropischer Vogel aus. Doch eigentlich ist er kein wirklicher Neuzugang in Deutschland, sondern ein Rückkehrer. Auf mittelalterlichen Gemälden sind Bienenfresser häufig zu sehen, ebenso Blauracken, Wiedehopfe und andere Arten, die heute im Mittelmeerraum verbreitet sind. Denn damals -  zur Zeit des mittelalterlichen Kimaoptimums - war es in Mitteleuropa wärmer als heute. Dann kam die sogenannte kleine Eiszeit und die gefiederten Sonnenfreunde wanderten nach Süden. Für das Saaletal in Sachsen-Anhalt ist belegt, dass dort bis ins 17. Jahrhundert Bienenfresser vorkamen. Seit 1990 sind sie wieder da. Inzwischen nisten dort hundert Brutpaare. Auch mediterrane Wanderschmetterlinge wie Taubenschwänzchen und Totenkopfschwärmer kommen immer häufiger über die Alpen geflattert, um in Deutschland Nektar zu saugen.

Mitteleuropäische Vögel dringen unterdessen immer weiter nach Norden vor. So nisten seit Mitte der neunziger Jahre Graureiher in Tromsø.  Früher gehörte Nordnorwegen nicht zu ihrem Verbreitungsgebiet. Von 435 in Europa nistenden Arten haben im Laufe des 20. Jahrhunderts 196 ihre Brutgebiete nach Norden und Nordwesten ausgedehnt. Manche Zugvögel ziehen nicht mehr, da sie mit Hilfe der von Menschen bereit gestellten Futterhäuschen gut über die mitteleuropäischen Winter kommen. Besonders die anpassungsfähigen Kurzsteckenzieher korrigieren ihre Reiserouten. So überwintern viele Mönchsgrasmücken nicht mehr in Südeuropa oder Nordafrika sondern im südlichen England. Höchst erstaunlich ist dabei, wie schnell der neue Flugplan in den genetischen Code der Tiere eingebaut wird. Der Ornithologe Peter Berthold konnte durch Kreuzungsversuche beweisen, dass bereits innerhalb von drei Generationen, das veränderte Zugverhalten im Erbgut gespeichert ist.

Problematischer wäre eine Klimaerwärmung für Langstreckenzieher, wie Schwalben, die teilweise bis Südafrika fliegen. Sie sind weniger flexibel, weil sie ihre Ab- und Anreise nicht allein nach der Witterung in Europa ausrichten können. Es könnte daher passieren, dass die Kurzsteckenzieher und die Standvögel ihnen zu wenig Nahrung übrig lassen. Aber auch dieses Problem findet bisher nur im Reich der Hypothesen statt. Falls die Atmosphäre sich weiter erwärmt (was unter Experten umstrittener ist, als in den Medien) ist es jedenfalls eher unwahrscheinlich, dass dies nur Nachteile für Flora und Fauna bringt. Es kommt dabei immer auf die Perspektive an: Aus Sicht der Bienen ist die Rückkehr der Bienenfresser natürlich ein Übel.

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Leserpost

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Harald Drings / 25.03.2014

Also ehrlich gesagt halte ich das “es ist nichts bewiesen”-Argument für das schwächste. Schließlich war in Fukushima ja auch nicht erwiesen, dass es einen doppelt so hohen Tsunami geben würde wie die Sicherheitsauslegung vorsah. Unterstellen wir eine, sagen wir, 90%-ige Wahrscheinlichkeit dass die Erderwärmung ausbleibt. Der Atomausstieg würde immer noch SEHR VIEL mehr Gefahren bringen als abwenden. Womöglich wären sogar die Folgen des massenhaften Anbaus von Biomasse katastrophaler als die Erderwärmung. Auch eine eher hypothetische Gefahr kann Handlungsbedarf erzeugen, und keine noch so sicher erwiesene Gefahr rechtfertigt nutzlose bis kontraproduktive Gegenmaßnahmen.

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