Richard Wagner / 12.04.2010 / 02:52 / 0 / Seite ausdrucken

Kam die Securitate bis Tübingen oder war es bloß die Landsmannschaft der Banater Schwaben?

Wussten Sie, dass es in Tübingen ein Donauschwäbisches Institut gibt? Nein? Das macht gar nichts. Auch mich würde diese Frage nicht weiter beschäftigen, ginge es nicht wieder einmal um die Securitate. Herta Müller hat im letzten Sommer, in ihrem Zeit-Essay zur Verfolgung, unter den Informanten und sonstigen Hilfswilligen aus ihrer Akte auch Horst Fassel genannt, einen pensionierten Germanisten, der aus dem Banat stammt und zwanzig Jahre lang Geschäftsführer dieses Instituts gewesen ist. Fassel wird in den Unterlagen der Securitate als Adressat für kompromittierendes Material über Herta Müller, das man im Westen zur Publikation zu bringen gedachte, ausdrücklich genannt.

Darüber hinaus findet er Erwähnung als Gesprächspartner seines Stiefvaters Hans Mokka, einem obskuren Regimedichter und pensionierten Opernsänger, der uns im Temeswarer „Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreis“ über viele Jahre bespitzelte und dort als IM „Maier“zu den eifrigsten Zuträgern der Securitate gehörte. Von dem inzwischen verstorbenen Freizeitdichter gibt es zahllose Berichte in seiner Handschrift in den Akten von nahezu allen Autoren aus dem Temeswarer Literaturkreis.

Laut den Unterlagen der Securitate ist Hans Mokka mehrfach gereist und hat bei seinen Reisen stets Aufträge gehabt. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die Beeinflussung von Führungsmitgliedern der Landsmannschaft, die ihm bekannt waren, und auch um den Kontakt zur Leitung der Banater Post, die damals Horst Fassel innehatte.

Fassel hat sich zum Kasus seines Stiefvaters bisher mit keinem Wort geäußert. Alles, was ihn selbst betrifft, aber hat er wiederholt bestritten. Er hält sich sogar für von uns, den Autoren, die die Akten aufarbeiten, verfolgt. Horst Fassel, der von nichts was gewusst haben soll, hat bisher keine Einsicht in die eigene Akte bei der Bukarester Behörde beantragt. Er scheint auch keinerlei Absicht dieser Art zu haben. Stattdessen lässt er durch Mitarbeiter und ehemalige Studenten Nettes über sich selbst und sein Wirken als Germanist verbreiten.

So können wir nun im Schwäbischen Tagblatt lesen,
http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Nobelpreistraegerin-Herta-Mueller-sieht-Tuebinger-Wissenschaftler-als-Securitate-Helfer-_arid,97379.html
er sei ein stiller kompetenter Zeitgenosse, der beispielsweise im Studium Generale 2006 das Ungarnbild deutscher Reiseschriftsteller referierte. Der kompetente Mann hat 1986 in seiner Banater Post in einer Rezension zur Herta Müller Folgendes geschrieben: „Herta Müller gehört zur Generation der ‚gebildeten’ rumäniendeutschen Schriftsteller. Sie knüpft an eine Tradition an, die in Deutschland geschaffen wurde. Das gilt für die Vorliebe für Obszönitäten, die seit Günter Eichs Tabu-Zerstörung in seinem Gedicht Latrine, durch Peter Weiß, Günter Grass und und fortgesetzt wurde. Auch die Trostlosigkeit, die aus allen Texten von Herta Müller ausstrahlt, hat in der Asphaltliteratur der Zwanzigerjahre Vorläufer“. In der Zeitschrift „Globus“ des VDA Heft 5/ 1986 schreibt er in einem Artikel mit dem Titel „Das Banat im deutschen Schrifttum“ Dieses: „An der deutschen Literatur in Rumänien beteiligen sich die jungen Banater als „Aktionsgruppe“. In Deutschland wird Herta Müller bekannter. Richard Wagner und Horst Samson sind ähnlich manieristisch versteift.“

Der Mann, dessen Kompetenz wir hier nicht anzweifeln wollen, sondern nur dokumentieren, ist auch als Herausgeber einer Zeitschrift mit dem Titel „Beiträge zur deutschen Kultur“ in Erscheinung getreten, in der er nicht nur sich selbst, sondern auch anderen ähnlich Kompetenten das Wort erteilt. So auch einem Germanisten namens Dieter Kessler. Dieser schreibt über Herta Müllers Erzählung „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“: „Zu bewundern ist dieses Büchlein, sogar sehr zu bewundern: mit welch geringen literarischen Mitteln ist doch die Klientel der Autorin zufriedenzustellen. Denn die dümmliche Geschichte ist eiskalt kalkuliert für die Ansprüche einer ideologisch fixierten Schicky-Micky Clique, deren Weltbild in Ordnung war, ist und sein wird, und welche die ideologische Öde ihrer Welt mit geschlossenen Augen und viel saurer Geilheit zu ertragen weiß.“

Derselbe Kessler, in der gleichen, von Germanist Fassel herausgegebenen Publikation, bei anderer Gelegenheit: „Dem Herausgeber ist kein Vorwurf zu machen für einseitige oder unbedarfte Auswahl, obschon dem Rezensenten unerklärlich bleibt, warum gerade Richard Wagner heute in Rumänien so sehr geschätzt wird, an der Qualität seiner Gedichte jedenfalls liegt das kaum.“

Soviel zur Kompetenz, und wenn man so will, auch zur Redlichkeit.

Erstaunlich sind leider auch die Statements des Institutsleiters Johler. Er sagt, als Institut habe man schnell reagiert. Erstens sei der Postverkehr in dem betreffenden Zeitraum überprüft worden. Man habe nichts Signifikantes feststellen können.

Ich muss zugeben, an dieser Stelle war ich sprachlos. Kann es sein, dass ein Tübinger Institutsleiter im Jahr 2010 denkt, die Securitate habe mit Horst Fassel über die Institutsadresse offiziell brieflich in Kontakt gestanden und die Episteln seien anschließend von dessen Vorzimmer archiviert worden?“

Des weiteren spricht Johler von einer geplanten Ausstellung und einem Symposium zum Thema Landsmannschaft, Geheimdienst und Literatur. Einen Forschungsantrag zu diesem Thema hat man in Bukarest bei der Aktenbehörde durch das Institut bisher nicht ins Auge gefasst. Wie will man denn diskutieren ohne die Akten, was will man ausstellen und worüber will man referieren? Vielleicht kommt demnächst auch die akademische Welt ganz ohne Fußnoten aus. Zumindest wenn es um ein so unangenehmes Thema geht wie die Zusammenarbeit mit der Securitate, und um einen so netten Kollegen. Wir freuen uns schon auf das einschlägige Tübinger Schrifttum.

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