Geht es Ihnen auch so? Seit Monaten lese ich die von den Profis verfassten Artikel leicht angewidert und freue mich auf das Lesen der Kommentarspalten, die von Laien geschrieben wurden. Sie sind meist witziger, oft auch informativer als der dazugehörige Artikel. Irgendwie ist uns etwas beim Journalismus abhandengekommen. An seine Stelle sind plumpe Hofberichterstattung und Arschkriecherei getreten: „seit Kurzem steigt das Ansehen der Kanzlerin wieder - Wähler wollen Merkel als Kanzlerin“
Seit die Flüchtlingskrise die Große Koalition mit der Opposition zu einer Ganz Großen Koalition zusammengeschmiedet hat, stehen die Journalisten in Deutschland vor ganz vielen neuen „Chancen und Herausforderungen“ – ein geschraubter Ausdruck, bei dem ich Pickel bekomme.
Journalist sein wäre eine reine Freude, wenn da nicht alle diese blöden Leser wären. Man könnte unwidersprochen die Kanzlerin als „neoheroisch“ bezeichnen, Sigmar Gabriel als „Neidschürer“, die AfD als „perfide menschenverachtend“ brandmarken und Seehofer als „hinterfotzigen Brutus“. Man könnte die Wähler als „rechte Dumpfbacken“ titulieren, weil sie ihr Kreuzchen an der falschen Stelle machen. Man könnte „nicht hilfreiche“ Tatsachen zu erwähnen vergessen. Man könnte „bürgerverunsichernde“ Zahlen ein bisschen aufhübschen. Man könnte mit erhobenem Zeigefinger die Leser vom hohen moralischen Ross herunter belehren. Viele Journalisten kämpfen heute zusammen mit der GanzGroKo bis zum moralischen Endsieg für das Gute auf der Welt, oder zumindest das, was sie dafür halten.
Aber da ist dieser Tsunami von unfrohen Leserkommentaren, verfasst von hässlichen bösen „Trollen“ mit „dumpfen rechten“ Ansichten - lästige Leser, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun haben, als ihrer Meinung zu sein und das auch noch aufzuschreiben. Das empfinden Journalisten als geballten „Hass und Dummheit“ in den Foren. Die Redaktion musste schon Hilfskräfte aus linken Studentenkreisen einstellen, bei denen das Mousepad raucht vom Löschen der Kommentare. Was Hass und Dummheit ist und wer Troll ist, das legt die Redaktion fest. Und der § 12 des Pressekodex.
Allerorten sind die journalistischen Kammerjäger unterwegs, um ihre Seiten vom Ungeziefer der andersdenkenden Leserschaft auszuräuchern. Der Redakteur als Meinungs-Schleusenwärter, einer, der darüber verfügte, wer Zugang zur großen Öffentlichkeit erhält und wer zur Menge der Abgelehnten gehörte, die ihre Ansichten für sich behalten müssen.“ Spiegel, FAZ, SZ und viele anderen „Qualitätsanspruchsmedien“ plagen sich schon lange nicht mehr mit dem Löschen unliebsamer Lesermeinungen herum. Auch „Welt-Online“ hat seit dem Wochenende die Lufthoheit über die Lesermeinung zurückerobert, „im Sinne des Qualitätsanspruches“, hurra: "Im Sinne unseres Qualitätsanspruches haben wir uns entschieden, die Kommentarfunktion bis auf Weiteres portalweit einzuschränken. Für ausgewählte Artikel wird die Redaktion wochentags die Kommentarfunktion zeitweise öffnen und moderieren.“
Kommentarseiten geschlossen: „Einfach mal die Klappe halten, ihr Leser. Bei uns wird nicht über unsere Qualitätsmeinung oder die weisen Entscheidungen der Regierung räsoniert! Eure unmaßgeblichen Ansichten sind nur zum Fußball und zu Kochrezepten erwünscht. Basta!“ Das hätte ich von Stefan Aust nicht erwartet. Ich bin schon mal gespannt, wie sich die Leser-Entmündigung auf die Abonnentenzahlen auswirkt. Aber vielleicht zahlen wir ja bald alle eine Printmedien-Demokratieabgabe.