Wolfram Weimer / 08.02.2019 / 06:04 / Foto: Martin Kraft / 70 / Seite ausdrucken

Ist Gabriel der Merz der SPD? Oder geht da mehr?

In der SPD rumort es nicht bloß, es geht die nackte Angst ums Überleben um. Umfragen signalisieren der stolzen deutschen Sozialdemokratie ein dramatisches, katastrophales Wahlergebnis bei der Europawahl im Mai. Die CDU dürfte – nach derzeitiger Lage der demoskopischen Dinge – doppelt so gut abschneiden, die Grünen würden die SPD bundesweit wohl überholen, selbst die AfD könnte sie einholen. “Das wäre kein Debakel mehr, es wäre der Genickbruch”, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter in Berlin. In wichtigen Kernländern der Republik, in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen, ist die Partei inzwischen auf einstellige Werte abgesackt.

Nicht nur in der Bundestagsfraktion schrillen alle Alarmglocken. Immer lauter wird auch die Kritik am SPD-Führungsdoppel. Es gelinge weder dem Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz noch der Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles, die SPD vor dem Ausbluten zu bewahren. In den SPD-Zirkeln der Berliner Republik werden erste Notfallpläne aus der Krise diskutiert. Das linke Lager verlangt immer offener einen Ausstieg aus der Großen Koalition nach der Europawahl. Im Koalitionsvertrag sei eine Halbzeit-Prüfung verabredet, diese Gelegenheit müsse man zur schieren Selbsterhaltung nutzen und die Regierung endlich verlassen. 

Das bürgerliche Lager in der SPD setzt indes eher auf einen personellen Neubeginn. Der SPD mangele es nicht an Programm oder Regierungserfolgen. Es fehle ihr bloß an überzeugendem Führungspersonal; zumal die Ära Merkel nun zu Ende gehe, brauche es einen starken Kanzlerkandidaten. Insbesondere Nahles wird immer offener von einflussreichen Genossen kritisiert. Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat nun im “Spiegel” dazu Klartext gesprochen. Schröder spricht Nahles die Eignung zur Führung der SPD ab, schon ihre Sprache, etwa das “Bätschi” in einer Bundestagsrede, sei daneben. “Das sind Amateurfehler”, sagte Schröder. “Sie war damals zwar noch nicht Vorsitzende, aber so drückt man sich einfach nicht aus.”

Die Kraft des Autonomen

Schröder warnt davor, Nahles zur Kanzlerkandidatin der SPD zu küren. Der Kandidat müsse über ökonomische Kompetenz verfügen, meint der Altkanzler. Auf die Frage, ob Nahles darüber verfüge, antwortete er: “Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten.” Schröder spricht sich stattdessen dafür aus, die nächste Kanzlerkandidatur über eine Urwahl in der SPD zu klären. “Die SPD hat mit der Urwahl gute Erfahrungen gemacht”, sagte er in dem Interview. “Eine Urwahl mobilisiert und schafft einen guten Background für den Wahlkampf.”

Schröder macht damit die Verfahrenstür für Sigmar Gabriel wieder weit auf. Mit jedem Monat schlechter Umfragen wird die Sehnsucht in der SPD nach einem Volkstribun größer. Gabriel ist zwar in der Partei nicht sonderlich beliebt, aber selbst seine Kritiker geben zu, dass er die SPD kraftvoll wiederbeleben könnte. Schröder formuliert das so: “Sigmar Gabriel ist vielleicht der begabteste Politiker, den wir in der SPD haben. Er ist nur in der Partei ein paar Leuten zu fest auf die Füße getreten.” Tatsächlich gilt Gabriel, immerhin Ex-Vizekanzler, Ex-Parteichef und Ex-Außenminister, in der SPD als wortgewaltigster Mobilisierer.

Damit zeichnet sich in der SPD eine spiegelbildliche Lage ab wie in der CDU vor wenigen Wochen. Gabriel wird unter immer mehr Sozialdemokraten als ein Comeback-Retter angesehen, der die angeschlagene Volkspartei wiederbeleben und auf ihren Markenkern zurückführen könne. Wie Merz in der CDU verkörpert auch Gabriel für die SPD etwas Urgewaltiges, Eigentliches, die fleischgewordene DNA der Partei. Beide werden von den jeweiligen Parteifunktionären kritisch beäugt wie Ich-AGs ihrer Lager. Aber gerade die Kraft des Autonomen lässt sie zur Projektionsfläche für Mobilisierungen werden.

Gabriel kann noch Säle füllen

Sigmar Gabriel würde bei einer Urwahl sicher antreten, so wie Friedrich Merz auf den Regionalkonferenzen angetreten ist. Was die Hessenwahl für die CDU war (ein letztes Fanal vor einem zwingenden Neubeginn), dürfte für die SPD die Europawahl werden. Es droht eine Schmach, dann droht der Verlust der letzten Festung Bremen und schließlich die Splitterparteienexistenz in Sachsen. Martin Dulig, Landeschef der SPD in Sachsen, setzt bereits auf Gabriel im Wahlkampf. Dessen großer Vorteil sei, dass er “sowohl im direkten Gespräch als auch bei größeren Formaten Wirkung erzielt”. Im Klartext heißt das: Gabriel kann noch Säle füllen, Nahles nicht mehr. “Wir können zurzeit viel gute Politik durchsetzen, aber trotzdem ändert sich stimmungsmäßig nichts.” Einem wie Gabriel traut er zu, die Stimmung zu drehen.

Ähnlich wie Merz, dem seine seinerzeitig kalte Entmachtung durch Angela Merkel später zum moralischen Bonus wurde, kann auch Gabriel auf einen solchen Rückenwind hoffen. Nahles und Scholz hatten Gabriel nach der desaströsen Bundestagswahl ziemlich rüde ins Abseits geschoben. Es wirkte wie die persönliche Rache durch Andrea Nahles, die lange unter Gabriel gelitten hatte und es ihm nun zurückgezahlt hat.

Doch in der SPD kommt das nicht gut an. Vorstandsmitglied Boris Pistorius hat dazu nun ausgesprochen, was viele Parteimitglieder denken, und die Parteiführung für ihren Umgang mit den früheren Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel und Martin Schulz offen kritisiert. “Ich glaube, es befremdet die Menschen, wenn die SPD ihr Spitzenpersonal immer wieder hochjubelt und es dann quasi über Nacht fallen lässt”, sagt der niedersächsische Innenminister und liest Nahles die Leviten: “Das gehört sich einfach nicht.”

Insbesondere in den SPD-Schlüssel-Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen findet die Idee eines Gabriel-Comebacks immer mehr Freunde. Für Nahles wird es unbequem, denn schon am kommenden Sonntag und Montag will die SPD-Spitze bei einer Klausurtagung in Berlin Wege aus der tiefen Krise suchen, und auch die Personaldebatte wird kaum mehr zu unterdrücken sein. Gabriel könnte also einfach abwarten, bis seine Gelegenheit zum Comeback im Juni reif ist.

Doch Abwarten ist seinem Naturell fremd, und der größte Feind seines Erfolges ist er immer noch selbst geblieben. Und so wiederholt er einen typischen Gabriel-Fehler, indem er Nahles selbst ungeschickt attackiert. Mit einem vergifteten Lob auf die Grundrenten-Pläne seiner Partei meldet sich Gabriel zum Wochenauftakt auf Twitter. Die Vorschläge von Sozialminister Hubertus Heil seien “fair, gerecht und überfällig”, schreibt er angriffslustig. “Er bringt das Sozialministerium auf Kurs, das noch vor zwei Jahren die Grundrente gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert hatte. Gut so.” Sozialministerin vor zwei Jahren war Nahles. Er tritt ihr rhetorisch also nach – und schadet damit seinen eigenen Chancen auf ein spektakuläres Comeback. Andererseits signalisiert er: Der Machtkampf ist eröffnet.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Volker Matthes / 08.02.2019

Gabriel? Hinter den stellt sich in ihrer ganzen Hilflosigkeit wahrscheinlich ein Teil der SPD-Mitglieder, aber nicht die von ihm als Pack beschimpften Bürger. Die SPD braucht niemand mehr. Sie mutiert jetzt endgültig zum reinen Wirtschaftsunternehmen.

Ewald Grube / 08.02.2019

Martin Dulig, Landeschef der SPD in Sachsen, setzt bereits auf Gabriel im Wahlkampf. Dessen großer Vorteil sei, dass er “sowohl im direkten Gespräch als auch bei größeren Formaten Wirkung erzielt”. Im Klartext heißt das: Gabriel kann noch Säle füllen, Nahles nicht mehr. “Wir können zurzeit viel gute Politik durchsetzen, aber trotzdem ändert sich stimmungsmäßig nichts.” Einem wie Gabriel traut er zu, die Stimmung zu drehen. Ich denke auch, daß Sigmar “das Pack” Gabriel in Sachsen allgemein und in Heidenau im Besonderen sehr gut ankommen wird! Sicher ist er in der Lage, dort die Stimmung zu drehen. Er sollte schon mal seinen Mittelfinger wieder bereit machen. Es könnte sein, daß er diese eines Außenministers durchaus übliche Bekundung seiner politischen Meinung, dort wieder offensiv einsetzen kann.

Michael Schmitz / 08.02.2019

Die SPD ist ein verrückter Gaga-Laden geworden, egal wer ihn leitet! Aus der einstigen Arbeiterpartei ist ein Konzern geworden, der mit zum Teil hinterfragenswerten Geschäftsmodellen gut verdient. Die Abteilung “Politik” ist auf der Führungsebene bevölkert mit Apparatschiks, die das Leben zumeist nicht aus der Sicht der arbeitenden Bevölkerung kennen, weil sie - im besten Falle - aus bürgerlichem Elternhaus von der Schule über den Hörsaal direktemang in den Plenarsaal eingewandert sind oder zahlreiche “Komissionen” als “Experten” bevölkern. Mit dem klassischen “linken” Gedankengut (“ein Herz für Arbeiter” und ihre Familien, faire Beteiligung am Erwirtschafteten, Abfederung der schlimmsten Härten der Unwägbarkeiten des Lebens…..) hat die SPD-Führung heute wenig bis nichts mehr am Hut. Man hat so ein paar flausige Ideen über allgemeine Weltverbesserung und wofür “Europa” und allen voran Deutschland “die Verantwortung trägt”. SPD steht nicht mehr für “Intellekt kann auch einem Blaumann stecken”, sondern für ein vollkommen abgehobenes (und oft faktenfreies aber meinungsstarkes!) Selbstverständnis gegenüber “Abgehängten” (früher mal deren “Herzkammer”!). Das Ganze kombiniert mit einer maßlosen Hybris bei sämtlichen “Welt”-Themen! Darin werden sie lediglich übertroffen von den GRÜNEN, die sich auch vom ihrem Kernanliegen, der Rettung von “Karl dem Käfer”, inzwischen meilenweit entfernt haben.

Peer Munk / 08.02.2019

Sigmar “Abbas ist mein Freund” Gabriel? Nee. Im übrigen kann eine Person allein nicht den ganzen Laden umkrempeln - was nötig wäre, genau wie in der CDU.

Hartmut Laun / 08.02.2019

Wie wäre es denn mit den beiden SPD-Parteimitgliedern als Retter in der Not:  Sarrazin und Buschkowski?

Gunther Bartelt / 08.02.2019

“Wir können zurzeit viel gute Politik durchsetzen, aber trotzdem ändert sich stimmungsmäßig nichts.” Martin Dulig fasst den zentralen Irrtum und Irrsinn der SPD in einem Satz zusammen. Die SPD-Granden - und eine Vielzahl ihrer Mitglieder - begreifen nicht, dass die Bürger eben nicht glauben, die SPD mache GUTE Politik. Die SPD hat sich nicht nur von ihrer einstigen Stammklientel, den Arbeitern und einfachen Angestellten, abgewendet, sie hat diesen Menschen mit ihrer “guten” Politik geradezu den Krieg erklärt. Die SPD betreibt die Islamisierung, Genderisierung, Dekarbonisierung, Deindustralisierung und alles sonst, was Deutschland zerstört, auf demselben Level wie die GRÜNEN - und versucht die Grünen in ihren extremen Forderungen sogar noch zu überbieten. Ihr vormaliger Heilsbringer Schulz forderte (verfassungsfeindlich), Deutschland müsse als Nation aufgelöst und in einen EU-Bundesstaat überführt werden. Die Zeit der SPD ist offenbar vorbei, denn wer ausgerechnet den Schaumschläger und eitlen Selbstdarsteller Gabriel zum Hoffnungsträger erklärt, ist nicht mehr zu retten - Gabriel war an allen falschen politischen Entscheidungen der letzten Jahre - insb. zur illegalen Einwanderung - maßgeblich beteiligt.

Anders Dairie / 08.02.2019

Die SPD hat weit und breit keinen “August Bebel”.  Sie werden Herrn Gabriel neu installieren,  weil irgend etwas gegen den endgültigen Zusammenbruch getan werden muss.  Momentan verspricht der SPD-Sozialminister, Herr Heil,  eine riesen Rentenaufbesserung.  Gleichzeitig trifft der SPD-Finanzminister, Herr Scholz, die Feststellung, bereits jetzt ein Milliarden-Haushaltsloch zu haben.  Dies bei sinkendem Wirtschaftswachstum von 1,9 auf 0,5 %.  Dahinter stecken enorme Verluste an Steuereinnahmen.  Deutschland wird sich bei internationalen Privatbanken hoch verschulden müssen,  damit die SPD ihre Wahlgeschenke reali-sieren kann.  Auch dies nur eine Maßnahme zum Überleben.

Gottfried Meier / 08.02.2019

Auch der Gabriel wird die SPD nicht mehr retten können. Diese wird sich dauerhaft darauf einstellen müssen, bei Wahlen 10 bis 15 Prozent zu bekommen und in den neuen Bundesländern und Bayern sogar noch weniger. Die SPD müsste sich politsch ganz neu ausrichten, was, wie man jetzt sieht, nicht zu erwarten ist. In der SPD gibt es viel zu viele linksgrüne Spinner, die das Sagen haben. Vernunftorientierte Politiker, die es zu Zeiten von Schmidt und auch von Schröder in der SPD gegeben hat, sind Mangelware.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 18.06.2020 / 06:29 / 104

Der Rassist Karl Marx

Die Rassismus-Debatte eskaliert zum Kulturkampf. In Amerika werden Kolumbus-Denkmäler geköpft oder niedergerissen, in England sind Kolonialisten-Statuen zerstört oder in Hafenbecken geworfen worden, in Antwerpen trifft…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 21.05.2020 / 12:00 / 23

Warren Buffet traut dem Braten nicht

Warren Buffetts Barreserven liegen jetzt bei sagenhaften 137 Milliarden Dollar. Das ist so viel wie das Bruttosozialprodukt der 50 ärmsten Staaten der Welt zusammengenommen –…/ mehr

Wolfram Weimer / 07.05.2020 / 06:29 / 105

Anders Tegnell: Der Stachel im Fleisch der Corona-Politik

Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell spaltet die Gemüter. Er trägt weder Anzüge noch Medizinerkittel. Er vermeidet jedes Pathos und Wissenschaftlergehabe. Im Strickpullover erklärt er mit lässiger…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 17.04.2020 / 06:17 / 90

China blockiert Recherchen zur Virus-Herkunft

Wie kam das Coronavirus von der Fledermaus auf die Menschen? Der Tiermarkt in Wuhan war es wohl doch nicht. Ein Virus-Forschungslabor nebenan spielt offenbar eine…/ mehr

Wolfram Weimer / 03.04.2020 / 06:25 / 100

Die liberale Corona-Bekämpfung

Die Bewältigung der Corona-Krise ist nicht alternativlos. Während viele Länder Europas – auch Deutschland – auf radikale Massen-Quarantänen mit wochenlangen Ausgangssperren und Kontaktverboten setzen, vertrauen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com