Eva Quistorp, Gastautor / 07.02.2024 / 14:00 / Foto: Imago / 47 / Seite ausdrucken

Israel und die neue Einsamkeit in Deutschland

Nach dem 7. Oktober frage ich mich angesichts meines politischen Schaffens: Was habe ich bei all meiner Zusammenarbeit mit Juden für die jüdische Sicherheit in Deutschland und Europa überhaupt erreicht?

Wie viele Leser hier lebe ich seit dem 7. Oktober 2023 unter Schock und versuche, mit den Familien, Freunden, Landsleuten der Geiseln, der Ermordeten und Gequälten der Hamas zu fühlen, Solidarität mit Israel zu zeigen und zu organisieren, die Not der Palästinenser wahrzunehmen, den UNO- und EU-Debatten zu humanitären Lösungen kritisch zu folgen. Warum kamen so wenige zur ersten Solidaritätsdemo in der Herbstsonne, wo viele in Cafés in Berlin saßen, noch weniger zur zweiten Solidaritätsdemo im November-Dunkel, wo ich mich wie noch nie allein und einsam fühlte in Berlin?

Ich habe in den 1980er Jahren die großen Bonner Friedens-Demos mit bis zu einer halben Millionen Bürgern organisiert; Frauenfriedensmärsche in Europa und die großen Demos gegen den Irakkrieg 2003; war bei den Demos von Fridays-For-Future als Uralt-Klimaaktivistin. Wo waren auch die Demo-Massen der Montag-Demos geblieben? Es trösteten mich in diesen Wochen nur die jüdischen Lieder am Brandenburger Tor und in der Synagoge Pestalozzistraße und die, die ich bei Facebook geschickt bekam. Nach 77 Lebensjahren schien mein Lebensfaden zwischen mir, Deutschland und Israel zu reißen, ein riesiges Loch tat sich auf. Wo gehörte ich hin? War so vieles umsonst gewesen beim Marsch durch die Institutionen, in der berühmten Zivilgesellschaft? Hatte ich wenig erreicht in all den Kämpfen um eine gute Demokratie in Europa? Hatte die digitale Globalisierung mit ihren Propagandakanälen uns überrollt, atomisiert, abgelenkt, während die Hamas-Terroristen ihre Mordlust sadistisch posteten, wie schon der IS und die Taliban?

Ich war froh, dass die Grünen, wie bereits mit Joschka Fischer, eine klare Position zu Israel gefunden hatten, im Auswärtigen Amt sowie in Fraktion und Kabinett, und auch die Ampel klar war mit Scholz und Lindner. In der SPD, wie seinerzeit auch bei den Anfängen der Grünen bis 1998, wird die Position zu Israel eher durch linken Antizionismus dominiert, so wie er jetzt an Unis in den USA herrscht. Bei uns nicht ganz so schlimm, da durch deutsches linkes Verantwortungsgefühl für die Schrecken von Auschwitz abgemildert. Doch in ihren Anfängen – als der linke Flügel dominant war –, haben die Grünen jahrelang immer nur die PLO auf Parteitage eingeladen. Zur Zeit der ersten Intifada 1987 war ich als Reform-Minderheit im Bundesvorstand der Grünen und wagte, für Waffenlieferungen an Israel einzutreten, gegen die Linke, Juergen Reents, Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und andere.

Ich versuchte, den Blick auf Osteuropas Bürgerrechtsbewegung zu lenken, statt der Intifada den Vorrang des Revolutionären anzudichten. So versuchte ich, meinen Freund, den Schriftsteller und Historiker György Dalos, 1987 aufs Podium zu hieven, der aber als Ironiker von Parteien bald aufgab. Joschka Fischer hatte als Außenminister viel dazugelernt und einige andere aus dem Realoflügel auch. Doch dass Annalena Baerbock sich bei der Abstimmung über die Gaza-Resolution in der UN-Vollversammlung enthielt, hat mich verstört. Die Rolle Deutschlands ist doch nicht, sich zum wichtigen Verhandler neben den USA aufzuspielen. Es muss klar erst mal bei seinem historischen Auftrag bleiben, das Existenzrecht Israels gegen jene, die es infrage stellen – wie Hamas, Hisbollah, Iran, IS –, zu verteidigen, ideologisch und praktisch!

Den richtigen Ton treffen

Merkels Rede 2008 in der Knesset fand ich ambivalent, weil sie ja wenig gegen den islamistischen Israelhass und die Iran-Geschäfte im eigenen Land tat (Anm. d. Red.: Obwohl sie in ihrer Rede den Hamas-Terror und iranische Drohungen gegen Israel kritisiert hatte). Wie auch die SPD und andere und ähnlich wie bei den Ostgeschäften und Putin. Selten hat jemand ausbuchstabiert, was es denn heißt, die Staatsräson zu befolgen, auch jetzt nicht angesichts der Lage im Roten Meer. Oder bei der Migrationspolitik, wo – wie Karl Lagerfeld richtig festgestellt hat – seit 2015 unkontrolliert tausende, Israelhass gewohnte, muslimische Männern ohne viel Ausbildung ins Land gelassen wurden, unter der Menschheitsfahne der Toleranz.

Von links über grün bis zur CDU fühlte man sich zu sicher seit 1991, 2001 und 2014 und glaubte, dass mit einem guten Sozialstaat und den USA schon alles irgendwie zu regeln sei, unter dem Motto der „Diversity“. Man schob gutmeinend viele Probleme auf die überforderten Schulen ab und ließ an den Unis die Postcolonial Studies, Gender Studies und Identitätspolitiken extreme Blüten treiben, die jetzt jüdische Studenten gefährden. Erschüttert ist mein Gefühl, dass der Kampf gegen den Antisemitismus und gegen Israelhass in Deutschland nicht umsonst war.

Als 68er Studentin an der FU habe ich den Sechstagekrieg 1967 und die Debatten darum, auch mit Daniel Cohn-Bendit – dem roten Dany –, erlebt und im Hause meines Theologie-Professors Gollwitzer gewohnt, der mit Gershom Sholem und Leo Baeck befreundet war. Er kannte meine Eltern aus der Bekennenden Kirche im Rheinland mit Karl Barth und in Berlin mit Dietrich Bonhoeffer. Doch als begeisterte anti-autoritäre 68erin wollte ich am weltrevolutionären Lebensgefühl schnuppern. So kriegte ich die Ablehnung des Philosemitismus mit und die Begeisterung vieler Mitläufer bei den Studentendemos für die Palästinensertücher. Oder auch die Bewunderung der Revoluzzercamps der Fatah in den 70ern durch meine WG-Freunde, die ich nicht dorthin begleitete.

Für meine Mutter dagegen und meine Patentante Luise Thilo war die Israelreise das größte Erlebnis in ihrem Leben. Erst jetzt erkenne ich, dass ich das nicht genug verstanden und geachtet habe in meinem jugendlichen Lebensgefühl. Ich selbst flog erst als Europaabgeordnete der Grünen im Juni 1991 nach dem Mauerfall nach Israel, eingeladen von linken Juden aus San Francisco, die einen internationalen Kongress liberaler Juden in Tel Aviv organisierten. Die Vorbereitung meiner Rede fiel mir schwer. Wie als Deutsche den richtigen Ton treffen, wenn auch aus einer entschiedenen Anti-Nazifamilie, deren Vater jeden Sonntag gegen die Judenverfolgung predigte und sich damit bei der Gestapo und nach 1945 in der Kleinstadt unbeliebt machte? Deren Mutter geholfen hatte, eine Jüdin in der Arztpraxis zu verstecken und deren Tante mich früh ihrer jüdischen Freundin vorstellte, die in Turin überlebt hatte, wo auch Primo Levi lebte?

lllusionen auch unter Linksintellektuellen

Jede deutsche Besserwisserei („Ich kann Friedensratschläge geben“) wollte ich vermeiden. Doch als Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen und 68er-Feministin wollte ich mich auch nicht einfach der Regierung anpassen, sondern für friedenspolitische Perspektiven das Problem der Siedler vorsichtig ansprechen. Ich habe meinen Ruhe- und meinen Denkpol bei Rahel Varnhagen gefunden sowie bei jüdischen Freundinnen in der internationalen Antiatomwaffenbewegung und Frauenbewegung. Dort lernte ich 1982 die wunderbare Bella Abzug kennenlernte, mit ihrer Freundin Mim Kelber. Die mich als junge Deutsche in ihren Freundes- und Aktionskreis aufnahmen und meinten, ich würde ja in den 80ern dasselbe machen, mit denselben Frauenfriedenshoffnungen wie sie in den 50ern. Als sie an der Kampagne gegen die Atomwaffentests und für Bürgerrechte mit den Kennedys und dann für Frauenrechte teilgenommen haben.

Zu diesem Kreis gehörten auch Joseph Weizenbaum und Grace Paley. Ich war wohl die erste grüne Politikerin, die 1991 einen Kranz in Yad Vaschem niederlegte und die Henry Bernard Levy „zufällig“ dann im Jerusalem Hotel traf. Levy sollte mir bei meiner Menschenrechtsarbeit noch öfter begegnen, auch wegen „Sarajevo in Berlin“: Bei der Berlinale 1993 wurde von Levy ein Film zu Sarajevo vorgestellt, was viele Debatten auslöste. Denn in Berlin lebten inzwischen auch Flüchltinge aus Bosnien. Abgesehen davon war der Geheimdienst Serbiens mittlerweile gegen mich and andere aktiv (Anm. d. Red.: Die Autorin trat 1992 in Brüssel als Europa-Abgeordnete der Grünen für eine Verteidigung Sarajevos durch UNO-Truppen ein). So wie Alain Finkielkraut in Paris und André Glucksmann in Berlin und Prag zum Thema „Haus Europa“. Als einzige Grüne traf ich den ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin, als er 1993 das Europaparlament besuchte und den König von Jordanien und seine Schwester, beide auf Friedensmission im Oslo-Prozess. Auch David Grossmann und die Tochter von Amos Oz, die Frauen in Schwarz im Dialog mit Palästinensern. Die Ermordung Rabins ist bis heute ein furchtbarer Schlag.

Nun das Massaker des 7. Oktober 2023, merkwürdigerweise der Tag der Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja und Geburtstag Putins; ein Sabbath, ein jüdischer Festtag. Vom hoffnungsvoll friedensseligen und überfallenen Nova-Festival aus gesehen, frage ich mich: Was habe ich denn bei all meiner Zusammenarbeit mit Juden in vielen Ländern, auch in Südafrika, China, Russland, der Ukraine und Weißrussland, als Nachkriegsdeutsche für die Sicherheit, Freiheit und das Wohlbefinden von Juden in Deutschland und Europa erreicht? Wieso fühle ich so viel Leere um mich herum, so viel Wissen, so wenig Nachdenken über die eigene Familiengeschichte und politische Biografie, über Illusionen auch unter Linksintellektuellen?

Die Polizei schützte den Mob

Dass ich nicht mehr wie in den 80ern und 90ern einfach Bella Abzug in New York anrufen, nicht mit meiner Kollegin Simone Veil mehr sprechen kann, auch dass Edelmann und Geremek, Agnes Heller und Inge Deutschkron leider schon gestorben sind, nach Galinski und Paul Spiegel, vergrößert das Einsamkeitsgefühl. Doch es ist mehr. Wieso mich bei der kleinen Solidaritätsdemo in Berlin das Gefühl der Vergeblichkeit mit Schrecken erfasste? Da geht es mir eben ganz anders als meiner feministischen Weggefährtin Sonia Seymour Mikich. Denn ich habe mich spätestens seit dem 11. September 2001 gezielt mit Aktivitäten und Denken, oft gemeinsam mit Richard Herzinger, gegen den islamistischen Israelhass, den muslimischen Antisemitismus und die Gefahr für die Sicherheit der Juden und die Existenz Israels durch die islamistische Diktatur des Iran befasst. Eigentlich schon seit dem Golfkrieg von 1991, wo ich den Aufstieg des Islamismus in Algerien beobachten musste und in Marokko durch Reisen zu Frauenorganisationen.

Bei der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking baten mich iranische Oppositionelle, für sie zu reden. Da erlebte ich mit Schock, wie China einen Vertreter des iranischen Geheimdienstes als Journalisten agieren ließ und mich bedrohte. Der Iran macht ja schon länger Waffengeschäfte mit China und Putin, wie auch der grausame Krieg in Syrien seit 2011 zeigte, bei dem Obama leider die rote Linie durch Assad und Putin überschreiten ließ. Ich war „zufällig“ dabei, als Beate Klarsfeld mit einigen alten Juden aus Frankreich gegen den Besuch Assads im Hotel Adlon protestierte und nach dem Verbleib des Massenmörders Brunner fragte. Die Polizei in Berlin vertrieb uns und schützte den Mob von 300 mit Bussen angekarrten Syrern, die Assad zuklatschten.

Mich hat es also spätestens seit dem islamistischen Terroranschlag vom 11. September 2001 durch eine Islamismus-Zelle aus Hamburg geärgert, wie wenig sich die deutsche Linke und deutsche Linksliberale in Medien, Kultur und Wissenschaft mit der Geopolitik und Terrorpolitik des Irans und seiner Verbündeten beschäftigten, Scholl-Latour nicht ernst nahmen, sondern weitgehend einem antiwestlichen Weltbild huldigten, nach dem die USA und der Kapitalismus für das Böse in der Welt verantwortlich waren. Diejenigen, wie der Journalist Constantin Schreiber, die Moscheepredigten ernst nahmen, wurden in die rechte Ecke gestellt. Schreiber wurde nach dem miesen Protest von Studenten in Jena gegen ihn im letzten Sommer von seinen medialen Kollegen allein gelassen.

Wer hat denn außer unserer kleinen Kritikergruppe mit Paul Nellen, Necla Kelek, Seyran Ates, Ahmad Mansour und Susanne Schröter, mit denen ich seit 2001 zusammenarbeite, die Forderung nach der Schließung des Islamischen Zentrums in Hamburg ernst genommen? 2003 habe ich die Nasrallah-Fahnen bei den Anti-Irakkrieg-Demos kritisiert, doch kaum eine Zeitung nahm den Ball auf. Der feministische Kampftag am Berliner Hermannplatz zum Frauentag hat schon länger etwas merkwürdige anti-israelische Strömungen, doch das ist bislang weder dem feministischen Missy-Magazin noch der taz aufgefallen. Im Dezember wurden die Wohnungen von Mitgliedern der links-feministischen Frauengruppe „Zora“ erst untersucht.

Auch die Revolutionsgarden des Iran und deren Verklärung hier sowie die der Hamas hätten längst verboten werden müssen. Ebenso wie die Propagandasender von Putin und den Islamisten in der EU. Eigentlich war viel schon 1991 während des Golfkrieges zu erkennen und dessen Auswirkungen in Nordafrika, die ein Vorspiel der islamistischen Propagandamaschinerie waren. Diese ist heute seit dem militärischen Gegenschlag Israels gegen die Hamas vom arabischen Nachrichtensender Al Jazeera bis zu TikTok-Profilen von hamas-nahen und USA- und israelfeindlichen Organisationen und Individuen zu beobachten, dass einem nur schlecht werden kann. Ich kann nur sehr wenig davon anschauen und anhören.

Friedenspolitik als Grüne und Feministin

Ich habe von meinen Eltern und dem Ehepaar Gollwitzer den Lebensauftrag mitbekommen, das Existenzrecht Israels sichern zu helfen. Wobei ich immer nur dachte, dass ich da in die nicht-jüdische Gesellschaft hineinwirken, demokratische Institutionen sichern, Bildung und Erfahrungschancen gegen Antisemitismus stärken muss. Darum bin ich auch Lehrerin und nicht Professorin geworden, dann Gründerin der Grünen und der Friedensbewegung der 80er Jahre. Doch inzwischen glaube ich, dass einiges in den Bildungsinstitutionen, in den Integrations- und Deutschkursen und in der Migrationspolitik vollkommen falsch gelaufen ist und dass das globale schnelle Internet die Demokratie eben doch eher geschwächt hat. Die individualisierte Spaß- und Popkultur-Gesellschaft hat die Werte der Demokratie eben nur sehr beschränkt verteidigt.

Seit der Belagerung von Sarajevo habe ich mich mit der jüdischen Gemeinde in Sarajevo, jüdischen Freunden aus Belgrad und Warschau – wie mit Simone Veil, meiner Kollegin im Europaparlament – sowie mit der Verteidigung der multireligiösen Stadt Sarajevo, einem Jerusalem Südosteuropas praktisch, nicht nur intellektuell beschäftigen müssen. Im Herbst 1992 bin ich nach dem Bekanntwerden der Massenvergewaltigungen in Lagern zu der für eine Frauenfriedensaktivistin schweren Erkenntnis gekommen, dass Sarajevo und die Lager nur militärisch zu befreien seien. Entweder von der UNO, oder, wenn diese von Russland und China blockiert wird, wie damals schon, dann mit der NATO. Das hat mich meine Karriere bei den Grünen gekostet, weil ich zu früh die Lager und das Massaker von Srebrenica verhindern wollte.

Es hat mir aber die Freundschaft vieler Bosnier und jüdischer Persönlichkeiten wie Simone Veil, Marek Edelmann, Jakob Finci und Sonja Licht gebracht. Letztere hatte früh erkannt, was der damalige serbische Präsident Slobodan Milošević für ein Verbrecher war und dass das Abkommen von Dayton keine Lösung auf Dauer war, auch wenn der damalige US-Sondergesandter für den Balkan, Richard Holbrooke, sein Bestes gegeben hat. Ich habe also nur gemeinsam mit Juden in Europa, den USA und Russland meine Friedenspolitik als Grüne und Feministin lernen und gestalten können.

Dazu kamen dann nach 1990 Emigranten aus der UdSSR und die, die ich bei meinen Reisen in Kiew, Minsk, Moskau, Leningrad und Alma-Ata traf – einer von ihnen der junge Sergey Lagodinsky. Sie haben mich realistischer gemacht und mich die notwendige Rolle der militärischen Verteidigung gerade für ein Land wie Israel oder seit 2014 auch die Ukraine und die baltischen Staaten erkennen lassen. Die Mutter von Putins Gefangenem Michail Borissowitsch Chodorkowski, Boris Nemtsov und Garri Kimowitsch Kasparow haben schon in den 2000ern meine Haltung verstärkt, dass Putin mit seiner Mafia eine Gefahr für Europa ist, was auch Vaclav Havel früh erkannt hat.

Ein weiter, widersprüchlicher Weg

Viel zu viele in Deutschland haben sich in Medien, Politik und Wissenschaft in falschen Sicherheiten gewiegt und ihre Lieblingsdebatten voller Eitelkeiten geführt. Deutschland muss mit Europa, den USA und seinen Freunden in Japan, Australien und Kanada, mit den Demokratien in Afrika, Lateinamerika und Indien gemeinsam aufwachen, denn bei dem grausamen Angriff auf die Ukraine und auf Israel geht es auch um die internationale Weltordnung. Diese ist durch den Sicherheitsrat der UNO spätestens seit Srebrenica, Darfu, Ruanda, Syrien und dem Krieg der IS nicht mehr gesichert.

Ich habe den Aufruf von Frauen an der Seite von Israel, der sich wesentlich mit der Gefahr der iranisch-islamischen Mullah-Diktatur befasst, unterschrieben, weil ich glaube, dass Statements für Menschlichkeit, humanitäre Hilfe für „beide Seiten“, der Blick auf das Elend der Geiselfamilien sowie auf das Elend der Zivilbevölkerung in Gaza und dementsprechende Hilfsaktionen für beide gut und wichtig sind. Aber das Humanitäre reicht nicht, Workshops gegen Antisemitismus auch nicht, wenn der Kampf nicht entschieden aufgenommen wird gegen die islamistischen Terror-Organisationen und ihre IT-Propaganda-Kanäle.

Der Schutz Israels und Europas gegenüber der Terrorstrategie des iranischen Regimes, das Nobelpreisträger und Sacharow-Preisträger foltert und ermordet, wurde nicht erkannt, wenn man von Nahostkonflikt und beiden Seiten redet und meint, die Zweitstaatenlösung sei ohne Machtpolitik gegenüber dem Iran zu erreichen. Europa und Deutschland müssen gegenüber dem Putin-Regime und Chinas Cyber-War auch die innere Sicherheit, Verteidigung und innergesellschaftliche Debatten klarer ausrichten. Masha Gessen, die bei Putin durchblickt, hat mit dem falschen Vergleich von Ghettos und Gaza der Friedenspolitik jedoch einen Bärendienst erwiesen. So wie die bereits oben angesprochene Frauengruppe „Zora“ auch das Gegenteil von Frauenfriedenspolitik ist.

Da erinnere ich lieber an meine Kollegin Vivian Silver, die mit der Frauenfriedensinitiative Women Wage Peace jahrelang im Kibbuz Be’eri arbeitete. Dieser wurde beim Massaker vom 7. Oktober übefallen und teilweise zerstört. Wir hielten Vivian wochenlang für eine Geisel und zitterten um sie, doch dann wurden ihre Zähne gefunden. Sie wurde im Kibbuz von Hamas-Terroristen, jungen Männern, mit sadistischer Lust verbrannt. Für ihre Organisation hat die Philharmonie im Dezember Spenden gesammelt, doch ihren Namen und ihre Ermordung nicht erwähnt. Ich stehe in ihrer Pflicht sowie der der israelischen Friedens- und Demokatiebewegung. Aber ich stehe auch als Europapolitikerin in der Pflicht, den Dialog mit den liberalen und demokratischen Kräften im Kriegskabinett zu suchen und der Mehrheit der Bevölkerung Israels, die sich von Netanjahu seit Jahren verraten fühlt, zu ihrer Stimme in Europa zu verhelfen. Wer mich durchhalten lässt zur Zeit, ist der wunderbare Neuköllner Jude und Pressesprecher der israelischen Armee Arye Sharuz Shalicar, der für einen großen Teil der Jugend Israels steht. Diese vertritt ihr Land, wie auch in der Ukraine viele wunderbare begabte junge Menschen, doch meiner Ansicht nach verteidigen die jungen Israelis auch ganz Europa gegen Terrorregimes.

Ein weiter, widersprüchlicher Weg für ein Mädchen vom Niederrhein, das in eine Familie hineingeboren wurde mit den Botschaften von Jesaja, Jeremia, Micha, Amos, mit dem Traum von Schwertern zu Pflugscharen und dass die Sanftmütigen das Erdreich besitzen werden und Gott ein Gott des Friedens und der Gerechtigkeit ist. Schalom.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Eva Quistorps Blog.

 

Eva Quistorp ist evangelische Theologin und Politologin, Gründungsmitglied der Grünen und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments.

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Mario R. Stepanik / 07.02.2024

Man kann anderer Meinung sein und auch schon immer auf der richtigen Seite gestanden haben, ohne Zweifel und voller Sendungsbewusstsein. Man kann auch reflektieren, hinterfragen und selbstkritisch sein. Jeder, wie es ihm gefällt. Mir hat diese Selbst-Analyse gefallen, sie hat mich zum Nachdenken angeregt. Danke dafür an die Autorin.

W. Renner / 07.02.2024

Was genau hat Joschka Fischer bitte dazu gelernt, vor allem zu was? Kann er inzwischen besser Polizisten verprügeln oder Belgrad bombardieren?

L. Luhmann / 07.02.2024

In den 70ern habe ich derartige Leute sozusagen hautnah erleben müssen. Meine knappen Beschreibungen der erlernten und ergangenen Aversionen gegenüber derartigen Kreaturen wurden hier und heute leider nicht begrüßt ... hahaha ...;)

Sigrid Leonhard / 07.02.2024

“die Sanftmütigen” sind sicher nicht für Kriege.

armin wacker / 07.02.2024

Liebe Frau Quistorp, sie sind leider ein Teil des Problems, nicht der Lösung. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten. Aber ganz sicher entspräche ich nicht Ihrem Niveau.

Michael Müller / 07.02.2024

Da sehen Sie mal, Frau Quistorp, was man hier im “Löwenkäfig Forum der Achse” alles abbekommt, wenn man nicht mindestens seit 2010 begeisterter Wähler der AfD ist - obwohl es die erst seit 2013 gibt -, Atomkraftwerke mehr liebt als die eigenen Kinder und der unbedingten Überzeugung ist, dass es der Umwelt am besten tut, wenn man sie zupestet.

Alfons Hagenau / 07.02.2024

@Michael Müller: Tja, “die Aufgabe, das jüdische Wesen aufzuheben” (wer hat sie ihm, dem Herrn Marx, eigentlich zugeteilt? Welche Anmaßung!) kann man sich wunderbar schönreden und -schreiben. Und weil “das jüdische Wesen” leider nicht friedlich “aufzuheben” ist, sind die Folgen solcher Überlegungen unweigerlich Gewalt, Terror, Vertreibung und Vernichtung. Q.e.d., sagte der Weltgeist schon im 20. Jahrhundert. Leider haben Sie da wohl gefehlt.

Michael Stoll / 07.02.2024

Linker Antisemitismus ist so alt wie offensichtlich. Dabei sind die Kibbuzime weltweit die einzigen halbwegs funktionierenden linken Wirtschaftsformen. Ist es linke Heuchelei oder einfach nur Dummheit, auch nicht untypisch für grüne Weltenretter, oder eine Mischung aus beidem?

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