Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 09.11.2007
Ist der gemeine Deutsche ein Irrläufer der Evolution, so wie die legendäre Dronte? Dieser truthahngroße Vogel lebte einst auf Mauritius. Als die ersten hungrigen Seefahrer auf der Tropeninsel landeten, war es um ihn geschehen. Denn die Dronte hatte in den gemütlichen, feindeslosen Zeiten eine wichtige Fähigkeit verloren: Das Fliegen
Die neuesten Nachrichten aus der Welt der Hirnforscher und Psychologen geben uns jedenfalls zu denken. So hatten Wissenschaftler an der amerikanischen Yale University vierjährige Kinder getestet und sie aufgeordert, sich aus einem Haufen Kuscheltiere jenes rauszusuchen, das sie gerne behalten möchten. Nachdem sie dies getan hatten, wurde jedoch einer der Favoriten einfach weggenommen. Die Kinder mussten sich gezwungenermaßen einen anderen Liebling aussuchen. Dann gaben die Forscher das konfiszierte Kuscheltier wieder zurück. Und siehe da: Die Kinder entschieden sich nicht wieder um, sondern fanden ihre notgedrungene Entscheidung weiterhin gut.
Was folgern die Froscher daraus? Wir Menschen haben eine Disposition uns die Dinge schön zu denken. Wir möchten mit unserer Entscheidung zufrieden sein – auch wenn wir wissen, dass es gar keine freie Wahl war. Zu ähnlichen Schlüssen kamen Neurologen der New York University. Sie fanden heraus, dass die Amygdala, der Mandelkern des Gehirns uns zum Optimismus verleitet. Die meisten Menschen gehen mit Zuversicht durchs Leben, obwohl doch jedem klar ist, das er sterben muss und alles Elend dieser Welt in Bild und Ton ins Wohnzimmer übertragen wird. Fazit der Hirnforscher: Optimismus und der Glaube an das Gute ist jedem Menschen in die Wiege gelegt. Und das gilt nicht nur für uns Menschen. Versuche mit Kapuzineraffen erbrachten die gleiche Tendenz zur Beschönigung.
Wir glauben gern, dass man in Amerika und bei Kapuzineraffen einen robusten Optimismus pflegt. Aber sind die Ergebnisse auf die Menschheit übertragbar, speziell auf jene die zwischen Rhein und Oder siedelt? Vielleicht verlief die Evolution hier in anderen Bahnen. Als gelegentliche Amateur-Anthropologen beobachten wir jedenfalls häufig ein abweichendes Verhalten. Egal ob im Freundeskreis oder in Talkshows: Derjenige, der eine optimistische Sicht der Zustände vertritt, ist nicht sehr wohl gelitten. Wir haben schon oft Veranstaltungen erlebt, in denen ein gut bürgerliches Publikum dem Optimisten empört vorwarf, den schrecklichen Zustand der Welt zu beschönigen. Wer vorbringt, dass vielleicht doch nicht alles schlechter wird und die Welt eventuell nicht untergeht, wird als unkritisch und naiv abgewatscht. Meist gibt dann ein Kontrahent die üblichen Endzeitszenarien und Untergangsprognosen zum Besten, die mit donnerndem Applaus wie eine Befreiung begrüßt werden. Jeder Hinweis, dass manche Dinge besser geworden sind, stößt dagegen auf schmallippige Skepsis. Da haben es die Kapuzineraffen echt besser.
Allerdings vermuten wir immer öfter, dass wir es gar nicht mir Sorge und Verzweiflung zu tun haben, sondern mit einer modischen Attitüde. Vielleicht ist die Konzentration auf das Falsche und Hässliche eine Fassade, hinter der sich ein fröhliches Volk verbirgt. Im Fußballsommer 2006 konnte man diesen Eindruck gewinnen. Inzwischen bestimmt der Alles-wird-schlechter-Konsens wieder die „gefühlte“ Realität. Vielleicht steckt dahinter eine ganz clevere Überlebensstrategie. Wäre die Dronte pessimistischer gewesen, hätte sie womöglich überlebt.