Im Jahre 2007 bestätigte eine Emnid-Studie, was wir alle schon intuitiv wussten: Kein Volk der Welt blickt so pessimistisch in die Zukunft wie wir Deutschen. Selbst bei uns Komikern. Ein Kollege von mir war letzte Woche beim medizinischen Routine-Check. Nach der Untersuchung blickte ihn der Arzt besorgt an und sagte: „Tut mir leid, aber Sie haben nur noch etwa ein Jahr zu leben.“ Worauf mein Kollege erwiderte: „Ja, aber von was denn bitteschön…?“ So sind wir Deutschen: immer am Jammern.
Und diese Larmoyanz wird seit Menschengedenken von zahllosen Experten gefördert. Vor 150 Jahren war man sich in der Fachwelt einig, das größte Zukunftsproblem in Großstädten werde der Pferdemist sein. In den 70gern prophezeite der Club of Rome panisch das Ende der weltweiten Ressourcen, in den 80gern sagten die Forstwissenschaftler den Tod des deutschen Waldes voraus. Letztes Jahr fanden amerikanische Wissenschafter sogar heraus, dass es Menschen geben wird, die den Verstand verlieren können, ohne je einen besessen zu haben.
Das zeigt: Prognosen sind extrem schwierig. Besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Eine Erkenntnis, die wir gerne ausblenden. Praktisch alle „seriösen“ Zukunftsszenarien, die jemals entwickelt wurden, haben sich als katastrophale Fehleinschätzungen erwiesen.
Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Chaostheorie. In den 60ger Jahren fand man heraus, dass man über komplexe Systeme, keine eindeutigen Voraussagen über den Verlauf machen kann. Denn diese Systeme sind so empfindlich, dass selbst winzigste Einflüsse enorme Konsequenzen im Gesamtergebnis haben können. Beim System „Wetter“ vermutet man, dass selbst ein einziger Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonasdelta katastrophale Auswirkungen in den Benelux-Staaten haben kann. Deswegen sind derzeit auch drei unabhängige Forschergruppen aus Holland, Luxemburg und Belgien im Amazonasdelta unterwegs, um dieses Insekt zu finden und dingfest zu machen.
Chaotische Effekte existieren jedoch nicht nur beim Wetter. Das System Erde-Mond ist zum Beispiel ein klassisches Zweikörper-Problem, das man mit ein wenig Schulmathematik ganz eindeutig berechnen kann. Würde es jedoch noch einen zweiten Mond geben, der um den eigentlichen Mond rotiert, dann wäre dies ein sogenanntes Dreikörperproblem. Und schon dieses System wäre mit keinem Computer der Welt berechenbar. Weil ein System aus drei miteinander gekoppelten Körpern nach kürzester Zeit chaotisches Verhalten zeigt. Möglicherweise lächeln jetzt einige und denken sich: „Hey, diesen Effekt kenne ich doch aus privaten Bereich!“ Solange man vom dem dritten Körper nichts weiß, ist alles in Ordnung. Aber sobald einer Wind davon bekommt, bricht ein unvorhersehbares Chaos aus.
Warum also hören wir trotzdem vollkommen gebannt zu, wenn wieder mal „ausgewiesene Experten“ mit düsterer Mine über den Zusammenbruch der Marktwirtschaft, dem Kollaps des Weltklimas oder gar über das Ende der gesamten Menschheit schwadronieren?
Vielleicht haben diese Prognosen für uns den gleichen Stellenwert wie damals bei den alten Griechen das Orakel von Delphi. Auch da ging es nicht unbedingt darum, dass alles genau so eingetroffen ist. Viel wichtiger war das Ritual. Man besuchte das Orakel und fragte: „Und? Wie sieht’s aus?“ und das Orakel dachte lange nach und gab den Menschen dann eine kryptische Lebensweisheit mit auf den Weg: „In der niedrigen Hütte geht der kluge Mann gebückt.“ Und das hat den alten Griechen gereicht.
Ein charmanter Gedanke, den man problemlos auch auf die heutige Zeit übertragen könnte. Statt langatmig über drohende Rezessionen oder Inflationen zu referieren, würden die Chefs der großen Wirtschaftsforschungsinstitute einmal im Monat – berauscht durch magische Dämpfe – mit einer mystischen Botschaft aus einer Erdspalte auftauchen: „Wenn Du wissen willst, wie die Konjunktur heute ist, dann schaue heute in die Zeitung. Wenn Du wissen willst, wie die Konjunktur im nächsten Jahr wird, schaue im nächsten Jahr in die Zeitung….“
Mehr von und über Vince Ebert: http://www.vince-ebert.de/docs/aktuelles/