Henryk M. Broder / 12.06.2020 / 13:00 / Foto: Acgut.com / 88 / Seite ausdrucken

Im Überschwang kann manches passieren

Gestern Abend berichtete die Tagesschau in ihrer 20-Uhr-Ausgabe was "nach dem Tod von George Floyd" in den USA so los ist: "USA streiten über Erinnerungskultur". Hier ab Min. 8:45 und auch hier. Der Streit war eine wohlorganisierte und orchestrierte Aktion, wie in den Tagen der chinesischen Kulturrevolution unter Mao. Nur dass diesmal nicht die Denkmäler von "Klassenfeinden", sondern von "Rassisten" gestürzt wurden, vornehmlich Miltärs, die auf Seiten der Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg 1861–1865 gekämpft hatten. Aber auch Christoph Columbus wurde buchstäblich entsorgt, als hätte Kanzlerin Merkel entschieden, dass die Entdeckung Amerikas ein unverzeihlicher Fehler war, der rückgängig gemacht werden müsste.  

Heute nun legt Susanne Beyer aus dem Hauptstadtbüro des SPIEGEL nach und erklärt uns: Warum in den USA die Statuen jetzt fallen müssen. Müssen, nichts weniger als das. Denn: Die Zerstörung der "Statuen von Generälen der Südstaaten..., die im Bürgerkrieg die Sklaverei verteidigt hatten", waren "Gesten im Überschwang, aber sie sind normal, richtig und befreiend, wenn tiefe Wunden aufbrechen".

Gesten. Ganz normal, richtig und befreiend. Ich wüsste gerne, was Frau Beyer schreiben würde, wenn in Deutschland Statuen von Luther, Wagner und Marx mit Gewalt ausgemustert würden, weil diese drei bedeutenden deutschen Denker Hardcore-Antisemiten waren, die Hitler inspiriert hatten. Wären das auch "Gesten", normal, richtig und befreiend?

Im "Überschwang" kann schon mal was passieren, das nicht so gemeint war. Eine harmlose Knutscherei kann in eine Vergewaltgigung ausarten, eine Betriebsfeier mit einem Gang Bang enden. Shit happens.

Und wenn demnächst im Streit um die Erinnerungskultur weitere Statuen in den USA vom Sockel fallen und in Hafenbecken ertrinken, z.B. die Statue of Liberty, wird Frau Beyer vom Hauptstadtbüro des SPIEGEL bestimmt eine Erklärung finden, warum auch das sein musste und weshalb solche Gesten normal, richtig und befreiend sind. 

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Mats Skinner / 12.06.2020

Mir hat oft in Krisensituationen geholfen, mir vorzustellen, wie es sein wird, wenn alles mal vorbei ist. Und es wird alles mal vorbei sein. Wenn sich alle dafür verantworten müssen, wie sie wieder mal dem Massenwahnsinn gefolgt sind und keine abweichende, kritische Meinung entwickelt haben. Oder noch schlimmer, Andersdenkende diskriminiert (neudeutsch diffamiert und zersetzt) haben. Dabei völlig geistlos nicht reflektieren, dass ihre Handlungen unlöschbar per Video und Internet nachweisbar bleiben. Anders als nach früheren Diktaturen, wo Augenzeugen mundtot gemacht wurden oder die Beweise versucht wurden zu schreddern, wird es jedem einzelnen vorgehalten werden können, was er wann zu welchem Thema fabriziert hat und wie er mitgeschwommen ist. Da wird das biblische: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gerechter sein als die heute praktizierte Vernichtung der Identität, der beruflichen Laufbahn und der Existenz wegen des Anspruchs einer abweichenden Meinung. Oder einfach gesagt, in einer demokratischen Gesellschaft, des selbstverständlichen Diskurses. Es werden sich alle daran messen lassen müssen, wie viel Beitrag sie für oder gegen ein gerechtes Zusammenleben getan haben. Und VOR Antritt zu einem politischen Mandat nachweisen müssen, wie sie gewährleisten können, diesem Mandat gerecht zu werden. Wahlweise durch mehrjährige berufliche Tätigkeit (Ausnahme Callcenter oder Elternbeirat), oder abgeschlossenes Studium mit anschließender praktischer Anwendung des gelernten. Es muss eine freie und unabhängige Instanz geschaffen werden, die die Einhaltung von demokratischen Mindeststandards überprüfen und sanktionieren kann. Eine Begrenzung auf ein- oder maximal zwei Amtperioden, wie schon bei anderen politischen Ämtern üblich. Und dass endlich diese unsägliche Selbstdarstellungsorgie in der Öffentlichkeit aufhört und von einer aufgeklärten und meinungsstarken Bevölkerung hinterfragt und nicht selbst in Form von Social-Media-Profilen zelebriert wird.

Heiko Stadler / 12.06.2020

Das Problem sind nicht die Statuen. Das wahre Problem liegt 150 Jahre zurück, als Menschen aus Afrika eingeschleppt wurden. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen führte zur Spannungen, die dann im amerikanischen Sezessionskrieg eskalierten. Auch 150 Jahre später sind die Spannungen nicht abgeklungen. Es ist leichter, Wölfe in einem Schafsgehege zu Vegetariern umzuerziehen, als Menschen aus einer anderen Kultur zu einem dauerhaft friedlichen Zusammenleben zu integrieren.

Mats Skinner / 12.06.2020

Warum gibt es nicht äquivalent zum IQ-Test den EQ-Test als Voraussetzung zur Zulassung? Wie soll ich einen butterweichen und quallenartigen Politiker auf seine Aussagen festnageln? Hier wäre der Begriff Haltung (für Körper und Geist) angebracht und sinnvoll. Aber mit NLP und LTI werden die Gehirne schön frisiert. Vorausgesetzt, das genügend Masse da ist. So, ich muss jetzt Geld horten gehen, die Mehrwertsteuersenkung steht vor der Tür, da wird alles nichts mehr soviel wert sein. Wo kann man eigentlich dagegen demonstrieren?

Thomas Kache / 12.06.2020

Das “Framing manual” des ÖR wirkt. An allen Ecken und Enden wird dem geneigten Zuschauer, -hörer, und Leser erklärt, wie er gefälligest die Welt zu sehen hat. Was aber auch einen großen Vorteil hat: der freie Geist sollte einfach eine zu den Mainstreammedien diametral entgegengesetzte Meinung haben, schon paßt `s. Allerdings sollte man sich auch dabei seinen gesunden Menschenverstand behalten; weil, zB.: beim Wetterbericht könnte das durchaus kontraproduktiv sein. Wobei- lieber bei schönstem Sonnenschein einen Regenschirm dabei haben, als mit Geistesblitzen der Meinungshoheiten “erhellt” zu werden.

Joachim Neanderj / 12.06.2020

Karl-Marx-Statuen gehören selbstverständlich geschleift. Marx lebte von dem Geld, das ihm sein Freund und Mitstreiter Friedrich Engels zuschob. Und das kam von einer Textilfabrik, die Baumwolle aus den Südstaaten der USA verarbeitete und deren Mitbesitzer Engels war. Damit ist erwiesen, dass Marx von der Sklavenarbeit von Afroamerikanern lebte und kein Vorbild für Kämpfer*_Innen für soziale Gerechtigkeit und gegen systemischen Rassismus sein kann. Also weg mit ihm!

Martin Sabrow, Historiker / 12.06.2020

Kolumbus verschiffte Sklaven nach Spanien. Auf der Überfahrt starb beinahe die Hälfte der Indianer. Die Überlebenden wurden nach ihrer Ankunft in Spanien auf Betreiben Isabellas freigelassen und in ihre Heimat zurückgebracht. Historiker kritisieren Kolumbus unter anderem dafür, entscheidend zum transatlantischen Sklavenhandel beigetragen zu haben.

Max Wedell / 12.06.2020

Was da in USA passiert, wundert nicht, denn schon Immanuel Kant schrieb: “Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.” Meinte er mit letzteren vielleicht die US-Polizei? Wer weiß. Weitere Perlen der Kantschen Erkenntnis, die für eine pronto Statuenbeseitigung reichen müssten: “Die Euthanasie des Judentums ist die reine moralische Religion.” Sowie: “Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.” In Anbetracht letzterer Aussage drängt sich mir der dringende Verdacht auf, daß der US-Polizist Derek Chauvin zu oft an einer Kant-Statue vorbeigegangen sein muß. Oder an einer Hegel-Statue, denn von Hegel erfahren wir: “Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar. […] Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden.” Von Johann Gottlieb Fichte ist mir keine Äußerung über “Neger” bekannt, aber er schrieb Sätze wie: “Fast durch alle Länder Europas verbreitet sich ein mächtiger, feindselig gesinnter Staat, der mit allen übrigen im beständigen Kriege steht, und der in manchen fürchterlich schwer auf die Bürger drückt; es ist das Judenthum. [...] Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken.” Auch in Frankreich sollten mal alle Statuen im Hinblick auf ihr Daseinsrecht durchgegangen werden, und mindestens jene von Rousseau, Diderot und Voltaire müssen unbedingt beseitigt werden. Letzterer beschrieb die Juden so: “Abschaum der Menschheit”, “betrügerische Wucherer” und “diebische Geldverleiher”.

Angelika Meier / 12.06.2020

Eine mögliche Erklärung für den Fall der Statue of Liberty? Nichts leichter als das. Sie ist ein Symbol für die Eroberung der USA durch den weißen Mann gegen die vorherigen Einwohner. Weil ich schon mal dabei bin: Wenn jemand aus seiner Sicht das Recht hätte wütend zu werden, dann die ursprünglichen Einwohner der USA. Aber von denen leben nur noch wenige. Die sind also für eine linke Revolution nicht zu gebrauchen. Wie wäre es übrigens demnächst mit einer griechischen Revolution, weil die Türken ihnen Gebiete weggenommen haben, die 2.000 Jahre lang griechisch waren? Oder ein Aufstand der Ainu gegen die Japaner? Oder ein Aufstand der afrikanischen Stämme, die von den Zulus unter ihrem Herrscher Shaka brutal dezimiert und unterworfen wurden? Ein Mangel an Eroberten, Ausgebeuteten, Vertriebenen, Unterdrückten und Ausgerotteten in der Weltgeschichte besteht wahrlich nicht. Also viel Möglichkeiten für linke Agitation. Wobei Ausgerottete suboptimal für eine Revolution sind.

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