Wer häufiger mit der Bahn unterwegs ist, vielleicht sogar noch auf Nebenstrecken, der hat bekanntlich viel Stoff für lange Klagelieder. Nicht nur ärgert man sich regelmäßig über Verspätungen wegen „Verzögerungen im Betriebsablauf“, „Personen im Gleis“, einem Einsatz der Bundespolizei, einer Signalstörung, einer Stellwerksstörung oder technischer Probleme mit dem Zug selbst. Auch der Zustand vieler Züge und Bahnhöfe in puncto Werterhaltung und Sauberkeit vermittelt dem Reisenden oft den Eindruck, dass sich dieses Land im verflossenen Jahrzehnt eher im Abstieg befunden haben muss. Auch die überall noch recht frisch leuchtende Beschilderung, die selbst an der letzten Bahnhofsruine unübersehbar auf Maskenpflicht und Abstandsgebot hinweist, kann das nicht überdecken.
Wenn also dieses Verkehrsunternehmen im Staatsbesitz nicht mehr so gut mit der Organisation des Schienenverkehrs klarkommt, kann es seinen Kunden versichern, dass sie mit ihren verspäteten Zügen immerhin an der Spitze des gesellschaftlichen Fortschritts rollen. Mit etwas Glück kann man nämlich seit Freitag einen Platz im ersten deutschen Regenbogen-ICE erwischen.
Als „Zeichen der Unterstützung der LGBTQI+-Gemeinschaft“ lässt die Bahn einen ihrer Vorzeige-Züge im Regenbogen-Design durch Deutschland rollen, wie sueddeutsche.de berichtet:
„Es gehe dabei nicht um Symbolik, ‚sondern um Haltung, gesellschaftliches Miteinander und konkrete Lebensbedingungen‘, teilte Bahnchef Richard Lutz am Freitag mit.“
Gut, diese Haltung, die auch von der EU-Kommission und der Bundesregierung, also der Obrigkeit, vertreten wird, muss der Staatsbetrieb nun unbedingt auch noch auf die Schiene bringen. In den letzten Wochen hatte ohnehin schon fast jede Institution – ob Firma, Verein, Partei oder Weltanschauungsgemeinschaft –, die auf ihrem Logo und ihren Medienauftritten Platz für einen Regenbogen hatte, alles was nur möglich war, in bunte Streifen getaucht. Auch die Deutsche Bahn hatte schon Regenbögen an größeren Bahnhöfen in verschiedenster Form platziert. Selbst bei Regenbogen-Liebhabern kann da schon ein wenig Überdruss aufkommen.
Branding für unbestimmte Zeit
Dieser Gratismut, der einem hier als Zivilcourage vorgespielt wird, ist eigentlich explizite Unterstützung von Regierungshandeln. Das finden offenbar auch jene interessant, die mit guten Haltungsnoten die Defizite im eigentlichen Aufgabenfeld ausgleichen wollen. Das ist menschlich und man soll seine Haltung durchaus auch dann vertreten, wenn sie aktuell mit den Vorgaben der Mächtigen übereinstimmt. Es muss deshalb nicht zwingend falsch sein. Doch viel Verständnis verlässt einen wieder, wenn man – in einem verspäteten und vollen Zug sitzend – folgende Textbausteine über die Regenbogen-Bahn liest:
„Mit dem neuen Branding will der Konzern nach eigenen Angaben auch das Engagement des Mitarbeitenden-Netzwerks ‚railbow‘ ehren, das sich für die Belange von LGBTQI+-Beschäftigten einsetzt. Der neu beklebte ICE fuhr gegen Mittag vom Berliner Hauptbahnhof aus nach München. Dort wird am Samstag der Christopher Street Day gefeiert. ‚Das Regenbogen-Branding bleibt auf unbestimmte Zeit bestehen‘, teilte die Bahn mit.“
Ob im Regenbogen-Zug die Klimaanlage funktioniert? Oder die Nahrungsversorgung im Speisewagen gesichert ist? Erfährt der Zug der Buntheit besondere Zuwendung, so dass bei ihm alles besonders gut klappt? Und lässt er sich buchen?
Halt, während hier neue Fragen aufgeworfen werden, ist die alte noch unbeantwortet: Warum muss die Bahn das jetzt machen? Wem muss sie diese Haltung beweisen?
Als es darum ging, ob ein Fußballstadion in München in Regenbogenfarben angestrahlt wird, sollte den ungarischen Offiziellen, die zum Spiel gegen die deutsche Mannschaft erwartet wurden, gezeigt werden, welchen Haltungsfehler sie aus deutscher Sicht machen. Die Ungarn sollten belehrt werden, die LGBTQI+ stärker zu würdigen und die Behandlung ihrer Anliegen im Schulunterricht und in für Kinder zugänglichen Medien nicht zu behindern. Egal, was man von diesem Vorhaben hält, so war der Plan einer Regenbogenbeleuchtung an diesem Tag und an diesem Ort in sich logisch. Aber ein Regenbogenzug der Deutschen Bahn? Wem soll der was beweisen?
Außerdem: Sollten tatsächlich einmal ungarische Regierungsmitglieder auf deutschen Gleisen reisen, so sind sie vielleicht mit der Bahn-Wirklichkeit im Jahr 2021 schon gestraft genug.
Wenn das deutsche Verkehrswesen unbedingt Regenbogen-Haltung zeigen möchte, kann doch die Lufthansa, die ja auch nur noch aufgrund von Zuschüssen aus deutschem Steuergeld fliegen kann, Regenbogen-Maschinen nach Teheran schicken, wo Schwule immer noch hingerichtet werden. Mit dem Regenbogen-Zug der Bahn kann man Teheran ja leider nicht erreichen.