Italien und Spanien müssen steigende Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen. Bei jeder Auktion wird mit Leidenspathos der Renditeaufschlag zu Bundesanleihen kommentiert. Dabei sind Zinsaufschläge nicht nur normal, sondern hilfreich und heilsam.
Sie werden kommentiert wie Pegelstände von Tsunami-Wellen: Vier, fünf, sechs Prozent Renditen für südeuropäische Zehnjahresanleihen. Und jedesmal, wenn die Sätze wieder einen Zehntelpunkt steigen, dann heißt es im panischen Tonfall, nun ertränken ganze Volkswirtschaften. Tun sie aber nicht. Die steigenden Zinsen für spanische und italienische Staatsanleihen sind in Wahrheit eine Rückkehr zur Normalität und Transparenz in Europa.
Jahrzehntelang war es in Europa völlig normal, dass unsolidere Staaten höhere Kreditzinsen zu zahlen haben als solidere. So wie zuverlässige Privatpersonen und Firmen eben seit Menschengedenken auch niedrige Risikoaufschläge zu tragen haben als unsichere Kantonisten. Das Wehklagen über die Rückkehr zur Zinsnormalität ist also Fehl am Platz. Spanien und Italien haben viele Jahre sogar noch deutlich höhere Zinsen zu schultern gehabt als heute.
Vielmehr war die Einführungsphase des Euro eine Ausnahmesituation, als sich alle Zinssätze für einige Jahre auf deutschem Niveau niedrig anglichen. Wie ein Geschenk der Deutschen wirkten die geborgte Solidität und Niedrigzinsen auf Südeuropa. Von Athen bis Lissabon hätten die Staaten diese goldene Kreditphase nutzen können und die billigen Milliarden in die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit stecken können. Sie hätten neue Industriesektoren aufbauen können, sie hätten Eliteunis und Forschungszentren schaffen können, sie hätten geschickt investieren können. Haben sie aber nicht.
Anders als Korea oder China oder Chile oder Brasilien oder Indien hat Europas Süden das vergangene Jahrzehnt verspielt und lieber konsumiert als investiert, sich lieber ausgestreckt als angestrengt. Nun sind die Zinsmilliarden verfrühstückt, und die Welt mag Südeuropa einfach keine Niedrigzinsen mehr gönnen, weil man – altmodisch gesprochen - an ihrer Tüchtigkeit zweifelt. Denn anders als Deutschland, dass sich mit seiner Agenda 2010 reformiert und nach vorne gequält hat, sind in Südeuropa die großen Modernisierungsreformen ausgeblieben.
Wer kann es nun kanadischen Pensionsfonds oder asiatischen Investmentgesellschafen übelnehmen, dass sie die Gelder ihrer Sparer nicht mehr so freigiebig in Südeuropa anlegen. Es hat nichts mit vermeintlichen „Zockereien der Finanzmärkte“ oder der „Gier der Banken“ zu tun, dass die Welt vorsichtig wird. Die steigenden Zinsen sind zu allererst ein Misstrauensindikator – als solcher aber sind sie nicht nur legitim, sondern dringend nötig und wichtig.
Sie wirken wie ein Fieberthermometer, das auf eine Krankheit aufmerksam macht. Am Fieberthermometer ist aber noch keiner gestorben, so wenig wie Volkswirtshaften an steigenden Zinsen kollabieren. In Wahrheit sollten wir froh sein, dass die Anleihemärkte die Strukturfehler Südeuropas nun offenlegen, dass damit der Druck auf die Länder steigt, sich endlich zu bewegen. Südeuropa braucht seine Agenda 2020, flexiblere Arbeitsmärkte, längere Lebensarbeitszeiten, mehr Innovation und Markt, aber weniger Bürokratie und Staat – und wenn es mit Zinsätzen von sieben, acht und neun Prozent erst erzwungen werden kann, dann ist das zwar teuer, aber heilsam.
In Südeuropa wird derzeit so getan, als gäbe es ein Grundrecht auf niedrige Zinsen. Gibt es aber nicht. Alle Versuche, über Eurobonds die Zinsflatrate zu erzwingen, die steigenden Kapitalkosten also auf Deutschland abzuwälzen, sind nicht nur ungerecht den Deutschen gegenüber. Sie sind vor allem gefährlich, wie als würfe man das Fieberthermometer aus dem Krankenhausfenster. Die Missstände der südlichen Volkswirtschaften würden dann nicht mehr bekämpft, die Risiken und Schieflagen stiegen in die Billionen und würden irgendwann so groß, dass auch Deutschland sie nicht mehr tragen könnte.