Gastautor / 31.03.2018 / 13:00 / Foto: Sandro Halank / 11 / Seite ausdrucken

Hört endlich zu (1)

Von Frank Richter.

Vom November bis zum Dezember 2014 wuchsen die Demonstrationen kontinuierlich an. Montag für Montag zogen zehntausende Menschen schweigend durch Dresden. Sie lehnten das Gespräch mit Vertretern der Medien und der Politik rigoros ab. Sie signalisierten, das Vertrauen ins „System“ verloren zu haben. Am Scheitelpunkt PEGIDAS – am 12. Januar 2015 – waren es 25.000 Menschen. Damals befürchteten nicht nur ich, sondern viele Verantwortliche in der Politik, der Gesellschaft und der Kultur Dresdens eine zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft. Sie waren sich einig, alles Mögliche versuchen zu müssen, um die trotzig Demonstrierenden zum Gespräch zu bewegen. Die pauschalen Beschimpfungen: „Neonazis in Nadelstreifen“ (Ralf Jäger, Innenminister von NRW, am 11. 12. 2014), „Komische Mischpoke“ (Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen, am 14. 12. 2014), „Schande für Deutschland“ (Heiko Maas, Bundesjustizminister, am 15. 12. 2014) und „Hass in deren Herzen“ (Angela Merkel, Bundeskanzlerin, am 1. 1. 2015) konterkarierten diese Versuche grandios. Sie wurden von den Organisatoren von PEGIDA dankbar entgegengenommen.

Die kardiologische Ferndiagnose der Kanzlerin war besonders verhängnisvoll. Wer hat sie  beraten? Eines hätte man doch wissen können und bedenken müssen: Im kollektiven Gedächtnis der Dresdner spielt der 19. Dezember 1989 eine herausragende Rolle. Bundeskanzler Helmut Kohl war in die Stadt gekommen und hatte Gespräche, unter anderem mit Hans Modrow, dem Ministerpräsidenten der DDR, geführt. Als Helmut Kohl in den frühen Abendstunden zu einer Rede an die Ruine der Frauenkirche kam, wurde er von schätzungsweise 60.000 Menschen begrüßt. Diese trugen hunderte Deutschlandfahnen mit sich, riefen nach der Einheit Deutschlands und feierten den Bundeskanzler.

Helmut Kohl selbst hat dieses Ereignis als Wendepunkt seiner politischen Lagebeurteilung bezeichnet. An diesem 19. Dezember in Dresden sei ihm klar geworden, dass die Einheit Deutschlands schneller kommen würde als gedacht beziehungsweise politisch durch nichts aufzuhalten sei. Als tausende Dresdner im Dezember 2014 erneut wiederum in den Abendstunden und vor der inzwischen wiederaufgebauten Frauenkirche demonstrierten und Deutschlandfahnen schwenkten, wurden sie mit einer nahezu einhelligen Generalkritik überschüttet.

Obwohl sie äußerlich das Gleiche taten, was sie 1989 in der Gegenwart des Bundeskanzlers schon einmal getan hatten und was fünfundzwanzig Jahre lang als großartiges und herausragendes Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte beschrieben worden war, wurden sie nun von prominenten Politikern – meist westdeutscher Provenienz – und von zahlreichen Medien abgestempelt als Nationalisten, Neonazis, Islamfeinde et cetera und in toto in die rechte politische Ecke gestellt.

In dieser Phase des Aufkommens von PEGIDA hätte es einer genauen Betrachtung und einer differenzierten politischen Antwort bedurft. Es stimmt, dass es auch schon in dieser frühen Phase von PEGIDA hetzerische Ansprachen und rechtsextremistische Ausfälle gab. Diese gingen von einzelnen Rednern aus, nicht von der Gesamtheit der Demonstranten. Dass sie allesamt als rechte Scharfmacher und Strippenzieher betrachtet und in der Kritik über einen Kamm geschoren wurden, war falsch.

Dass die etablierten demokratischen Parteien nicht nach den möglicherweise ernsten Problemen und berechtigten Anliegen der Demonstranten fragten, sondern diese entweder ignorierten oder diffamierten, war verhängnisvoll. Die richtigen Leute gerieten in die falschen Hände. Wenn sich zehntausende Dresdner 1989 von dem aus Westdeutschland kommenden Helmut Kohl verstanden gefühlt hatten, so fühlten sie sich nun von der aus Ostdeutschland stammenden Angela Merkel nicht nur nicht verstanden, sie fühlten sich von ihr abgekanzelt. Dass sie für viele Menschen im Osten – insbesondere in Dresden – regelrecht zum Hassobjekt und zur Projektionsfläche von Empörung wurde – was weder gerechtfertigt noch hinnehmbar ist –, hat in diesem Vorgang seine Wurzel. Es hat viel zu tun mit ihrer Herkunft und mit verschmähter Liebe.

Wie hätte die Einlassung der sorgend und mütterlich dargestellten Bundeskanzlerin am 1. 1. 2015 lauten müssen? Hans-Joachim Maaz, der bekannte Hallenser Psychoanalytiker, hat diese Frage in einer öffentlichen Veranstaltung wie folgt beantwortet: „Ich, die Bundeskanzlerin, mache mir Sorgen und stelle mir die Frage, warum so viele Menschen auf den Straßen demonstrieren und unserer politischen Ordnung misstrauen. Wir sollten niemanden vorschnell in die rechte Ecke stellen und im offenen Gespräch nach den Ursachen fragen.“

Auszug aus dem Buch: Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung bedeutet von Frank Richter.

Hört endlich zu (2)

Hört endlich zu (3)

Frank Richter, geboren 1960 in Meißen, ist Theologe und seit 2017 Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche in Dresden. Zuvor arbeitete er als Pfarrer und war Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Während der politischen Wende 1989/90 war Richter einer der wichtigsten Exponenten der Bürgerbewegung in Dresden. Auch im wiedervereinigten Deutschland wurde er bekannt als Vermittler zwischen verhärteten Fronten. Seit die PEGIDA-Bewegung 2014 Dresden, Sachsen und Deutschland spaltet, setzt er sich für Gespräche mit der Führung und den Unterstützern der Bewegung ein.

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Erwin Obermaier / 31.03.2018

Ob diese Empörung gerechtfertigt ist oder nicht ist sicherlich Ansichtssache. Aber hinnehmbar sollte sie sein, falls in Herrn Richters Buch nicht etwas ganz anderes drin steht als der Titel verspricht.

Werner Müller / 31.03.2018

Frank Richter hier auf der Achse, es geschehen noch Zeichen und Wunder… Ich hoffe und denke, daß Überschrift und Buchtitel “Hört endlich zu!” an beide Seiten des Diskurses oder stärker noch an die Seite der Regierenden gerichtet ist, Der obiges Auszug ist für mich schon mal annehmbar und ermutigend. Und noch etwas: Ich weiß nicht, ob meine Kritik von hier aus Herrn Richter erreichen wird - Ich habe ihn in der Aufzeichnung des Bürgerdialogs in Cottbus Anfang März erlebt. Da fand ich seine Entgegnung auf das von syr. Jugendlichen bedrohte Ehepaar im Einkaufszentrum: “Die Welt besteht nunmal aus Problemen und nun sind die Probleme bei uns angekommen”, so was von unpassend, arrogant und daneben, daß ich eigentlich nichts mehr von ihm hören (oder lesen) wollte…

M. Haumann / 31.03.2018

Ich habe die Demonstrationen auf Videos betrachtet und wie die “Gesamtheit der Demonstranten” tickte, wurde mir auf beeindruckende Weise beim Auftritt von Pirincci klar. Seine Rede führte mit zunehmender Schärfe zu abnehmendem Beifall und irgendwann hörte man die Menge immer deutlicher “keine Hetze!” skandieren, bis er die Bühne verliess. Auch durch die vorverurteilende Berichterstattung hatte ich die Rufe zunächst den Gegendemonstranten im Hintergrund zugeordnet - bis ich realisierte, dass sich dort eine Menge keineswegs “verhetzen” liess, sondern einen Redner friedlich aber bestimmt vom Mikrofon bat, der ihr zu radikal war. Dieser Schlüsselmoment zeigte nicht nur, wie absolut falsch und ungerecht eine pauschale Verurteilung der Demonstranten war, sondern eigentlich das Abbild des idealen Vorganges, wie eine gesunde Demokratie sich selbst zu extremer Teile entledigt. Meine Hochachtung vor solchen Mitbürgern!

Karla Kuhn / 31.03.2018

!Dass die etablierten demokratischen Parteien nicht nach den möglicherweise ernsten Problemen und berechtigten Anliegen der Demonstranten fragten, sondern diese entweder ignorierten oder diffamierten, war verhängnisvoll.Dass die etablierten demokratischen Parteien nicht nach den möglicherweise ernsten Problemen und berechtigten Anliegen der Demonstranten fragten, sondern diese entweder ignorierten oder diffamierten, war verhängnisvoll.”  Es ist nicht nur verhängnisvoll, es ist eine Schande aber bis heute haben die “Eliten”( die meisten) nichts daraus gelernt, der überhebliche Vorwurf Merkels, sie wüßte nicht, was sie (wir ) hätte anders machen sollen, zeigt doch das ganze Dilemma dieser Frau, die nach 12 Jahren Regierungszeit noch nicht mal weiß, wie es in (Dunkel) Deutschland aussieht. Daß diese Frau jetzt nochmal vier Jahre am Ruder ist, finde ich fatal.  “.. was weder gerechtfertigt noch hinnehmbar ist –...”  WARUM ?? „Ich, die Bundeskanzlerin, mache mir Sorgen und stelle mir die Frage, warum so viele Menschen auf den Straßen demonstrieren und unserer politischen Ordnung misstrauen. Wir sollten niemanden vorschnell in die rechte Ecke stellen und im offenen Gespräch nach den Ursachen fragen.“  DANKE FÜR DIESEN HERRLICHEN WITZ.

Bernhard Freiling / 31.03.2018

“..........so fühlten sie sich nun von der aus Ostdeutschland stammenden Angela Merkel nicht nur nicht verstanden.” Das wundert mich nicht. Diese Frau steht nicht in der Tradition von Bundeskanzlern, die mit ausser- und parlamentarischer Oppososition zusammen zu arbeiten hatten -  sie steht in der Tradition von Staatsratsvorsitzenden, die von einer Einheitspartei getragen werden. Sie führt die Tradition Honeckers mit den “3V” fort. “Verschweigen” - wenn das nicht hilft: “Verharmlosen” - wenn das nicht hilft: “Verleumden” des Andersdenkenden. In größerem Umfang erkennen das nur unsere sozialistisch gebrannten ostdeutschen Brüder und Schwestern. Viele Wessies träumen derweil weiter ihren Traum vom “demokratischen Sozialismus” und bemerken nicht, welches Kuckucksei sie sich da in ihren Kokon, in dem sie so gut und gerne leben, sich haben legen lassen.

Jürgen Schnerr / 31.03.2018

Danke Herr Richter, auch wenn Sie sich spät dazu äußern. Viele andere, so z.B. Herr Patzelt aus Dresden haben das vor 3 Jahren schon so gesehen. Im übrigen, auch wenn es gerade an Ostern unchristlich daherkommt, ja AM ist auch mein Hassobjekt und zur Projektionsfläche meiner Empörung geworden. Aber es gehören zu dieser Truppe, welche unser Land derzeit ins Chaos treibt, noch viele Claqueure dazu!

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