Gastautor / 02.04.2018 / 12:30 / Foto: RCA / 0 / Seite ausdrucken

Hört endlich zu (3)

Von Frank Richter.

Weil Demokratie Auseinandersetzung bedeutet, sich in der Kontroverse darstellt und in Gefahr gerät, wenn Auseinandersetzung vermieden oder nur simuliert wird, möchte ich Folgendes festhalten:

(1) Die gewählten Repräsentanten der Bevölkerung müssen das gesellschaftliche Problem und den politischen Konflikt wahrnehmen, sich ihm stellen, die Prinzipien unseres demokratisch verfassten Gemeinwesens offensiv verteidigen und auf offener Bühne diskutieren. Weil die Demokratie grundsätzlich auf Partizipation und Integration aller basiert, kann die Logik der Ausgrenzung, die einzelne Teile der Bevölkerung gegen andere betreiben, nicht mit einer Logik der Ausgrenzung erwidert werden.

Dass der Begriff „besorgter Bürger“ als herablassender Spott- und Ausgrenzungsbegriff verwendet wurde, hat viele gekränkt, verhärtet und in die falsche politische Richtung getrieben. So mancher dieser Bürger, die ja immer auch Wähler sind, hat sich spätestens in der Wahlkabine revanchiert. Und selbst die, die sich offensichtlich gesellschaftsfeindlich und ausgrenzend verhalten, bleiben Mitglieder der Gesellschaft. Sie bleiben Mitbürger, Grundrechtsträger und Mitmenschen. Die Gesellschaft kann sie weder aus ihrer Mitte entfernen, noch darf sie sie verloren geben. Sie müssen deutlich und konsequent zur freiheitlichen demokratischen Ordnung (zurück-)gerufen werden, zur besten Ordnung, die Deutschland jemals hatte.

(2) Es ist nicht möglich, mit jedem Menschen, zu jeder Zeit, unter allen Umständen und zu jedem möglichen Thema ins Gespräch zu kommen. Unter bestimmten Umständen sind Gespräche weder möglich noch sinnvoll. Ebenso gilt: Jeder kann mit (fast) jedem anderen ins Gespräch kommen: unter günstigen Umständen, die man gegebenenfalls professionell organisieren muss, bei ehrlichem Interesse, zu einem gemeinsam definierten Thema und auf gleicher Augenhöhe. Glaubhaft kann ich nur demjenigen widersprechen, mit dem ich zuvor ins Gespräch gekommen bin. Wer von vornherein weiß, mit wem er – aus welchen Gründen auch immer – nicht sprechen kann oder darf, irrt möglicherweise und verschenkt eine Chance, seiner Auffassung Geltung zu verschaffen.

(3) Weil es im demokratischen Diskurs nicht um die Feststellung und Durchsetzung absoluter Wahrheiten geht – von den als unverhandelbar geltenden Menschenrechten einmal abgesehen –, sondern um die Verständigung über gemeinsame Wege und tragfähige Kompromisse, sind die Grundsätze der verbalen Kommunikation und des wechselseitigen Verstehens gültig: Gesagt ist noch nicht gehört; gehört ist noch nicht verstanden; verstanden ist noch nicht einverstanden; einverstanden ist noch nicht überzeugt; überzeugt ist noch nicht getan. Verständigungsprozesse basieren nicht nur auf der Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf die Positionen der jeweils anderen einzulassen. Sie brauchen vor allem Zeit und Geduld. Sie funktionieren nicht, wie die elektronische Datenübermittlung, auf digitaler Grundlage.

Nicht-Kommunikation wird schiefgehen

Darüber hinaus kann und muss man immer davon ausgehen, dass kein Gespräch ein für allemal beendet ist. Die ausgetauschten Worte, die persönlichen Eindrücke und Begegnungen wirken nach. Empathische und zum Perspektivwechsel fähige Gesprächspartner wirken stärker und länger aufeinander ein, als es vordergründig scheint. Politisch und gesellschaftlich Verantwortliche sollten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein.

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass unsere informativ überbordende, hoch beschleunigte und technologisierte, oft anonymisierte, manchmal nur simulierte oder gar vergiftete Kommunikation der Korrektur bedarf. Sie braucht Elementarisierung, Personalisierung und Reduktion. Natürlich gibt es niemanden, der die für alle richtige und dem friedlichen Zusammenleben zuträgliche Dosis an Kommunikation feststellen und anordnen könnte. Ich bin überzeugt, dass sich das gute und menschliche Maß am leichtesten im direkten Gespräch von Mensch zu Mensch bemessen lässt. Auch an eine weitere, im guten Sinne des Wortes menschlich-alltägliche Erfahrung möchte ich erinnern: Selbst beim besten Willen aller Beteiligten können Gespräche und Verständigungsprozesse auch einmal scheitern. Wir haben nicht alle Erfolgsfaktoren „im Griff“. Kommunikation kann schiefgehen.

(4) Überzeugte Demokraten sollten trotz allem nicht naiv sein. Es gibt Störenfriede, die das Gespräch belasten. Darüber hinaus gibt es gezielte Provokationen und geschulte Provokateure, die es darauf absehen, die Verständigung zu stören und letztlich zu verhindern. Eingeübten Wortergreifungsstrategien erfolgreich zu begegnen, will und muss gelernt sein. Damit dies gelingt, muss die anfangs oft schweigende, bisweilen verängstigte, wohlmeinende, konstruktiv denkende Mehrheit interessiert, gewonnen und zusammengeführt werden. Auf Dauer kann es nur dieser Mehrheit gelingen, die destruktiv denkende und handelnde Minderheit einzuhegen und so in die Schranken zu weisen, die den demokratischen Prinzipien entsprechen. Demokratische Parteien wollen und müssen sich in der Regel gegeneinander und in Abgrenzung voneinander profilieren. In Situationen, in denen die elementaren Prinzipien unseres Gemeinwesens angegriffen werden, müssen sie zusammenstehen und können sich miteinander profilieren.

Auszug aus dem Buch: Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung bedeutet von Frank Richter.

Hört endlich zu (1)

Hört endlich zu (2)

Frank Richter, geboren 1960 in Meißen, ist Theologe und seit 2017 Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche in Dresden. Zuvor arbeitete er als Pfarrer und war Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Während der politischen Wende 1989/90 war Richter einer der wichtigsten Exponenten der Bürgerbewegung in Dresden.

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