Richard Wagner / 24.09.2010 / 08:21 / 0 / Seite ausdrucken

Grauzone statt Gulag?


Die traurige Geschichte des Oskar Pastior.
http://www.freitag.de/kultur/1038-kulturkommentar
Es war beim Lesen dieser Schlagzeile, dass ich beinahe gedacht hätte, der Freitag sei auf dem Weg der Besserung. Ist er aber nicht. Er spekuliert ein bisschen über die Gründe, warum Oskar Pastior angeblich so milde von den Medien behandelt werde, um schnellstens ins klassenkämpferische Reich des üblichen Verdachts zurückzukehren.

Es muss nun mal, so will es der Freitag, und wahrscheinlich nicht nur er, handfeste Gründe geben, diese aber müssten im Schutzprogramm für die Nobelpreisträgerin gesucht werden. Und warum? Wegen der Rolle Pastiors in dem Roman von Herta Müller, meint der Freitag. Und eilt weiter zum eigentlichen Ziel der Verschwörungstheorie.

Das Gute für den Freitag am Fall Pastior ist, und der Freitag will nur vom Guten an diesem Fall berichten,  dass sich ein weiteres Mal beweisen lässt, dass es im Kalten Krieg nicht die klare Trennung zwischen Täter und Opfer geben konnte, sondern das alles eine einzige Grauzone gewesen sei. So die Hoffnung und Überzeugung des Freitag.

Denn wo eine Grauzone ist oder war, gab und gibt es auch keine klare Trennung zwischen Opposition und Kollaboration, alles ist ein bisschen wie mit dem braven Soldaten Schwejk. Man schlug sich also, wie dieser,  irgendwie durch, machte sich, zugegeben, zwischendurch schuldig, aber nur ein bisschen, weshalb man das Ganze nicht so ernst nehmen sollte, jedenfalls nicht für hundert Prozent.

So hätte es der Freitag gern. Und warum? Damit die Geschichtsfälschung weiter Bestand hat, und man den Kalten Krieg auch weiterhin als ein Scharmützel zwischen zwei Supermächten darstellen kann, und die Verbrechen als beliebig, und vor allem gleichmäßig verteilt zwischen West und Ost. Als ob es nicht um Freiheit und Versklavung gegangen wäre!

Warum soviel von Freiheit reden, wenn es doch um nichts als den Frieden in der Hütte geht, schallt es uns entgegen. Um den Haussegen. Nein, liebe Interpreten des Weltgeistes vom Freitag die Gründe die ihr meint, sind es nicht. Es ist viel einfacher. So lange keine Berichte von Oskar Pastior vorliegen, kann seine Tätigkeit als Informant nicht eingeschätzt werden. Weder so, noch so. Warten wir ab, was die Recherchen ergeben.

Erwiesen ist bisher, dass er Informant war, und das für sieben Jahre, und dass er eine entsprechende Verpflichtungserklärung unterzeichnet hat. Das alles ist noch lange kein Grund, die Welt zu Grauzone zu erklären. Und auch kein Grund die Grenzen zwischen Opfer und Täter zu verwischen. Diese Grenzen sind nämlich nicht nur faktisch gesetzt, sie sind moralisch verankert.

Nur wer die Gebote missachtet hat, konnte zum Informanten werden, zum Täter. Versuche man uns nicht einzureden, dass es bei der Anwerbung nur um Druck, um Erpressung und menschliche Schwäche gegangen sei. Es ging in vielen Fällen um persönliche Vorteile, um Karrieren, um Geld. Schließen wir nicht auf ein Phänomen ausgehend von einem noch nicht zu Ende recherchierten Fall Pastior, dessen Relevanz geringfügig sein kann.

Auch über ihn allerdings lässt sich mit Sicherheit eines sagen: Er hat jahrzehntelang geschwiegen und weder zur Aufklärung des eigenen Falles noch der Gesamtangelegenheit etwas beigetragen.

Bleibt die Frage: Warum versucht der Freitag den Roman „Atemschaukel“, dessen Authentizität, in Frage zu stellen. Kann es sein, weil es eines der wenigen großen deutschen Bücher über den Gulag ist? Und könnte es eventuell sein, dass es aus dem gleichen Grund so wenige deutsche Romane über den Gulag gibt? Grauzone statt Gulag?

 

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