Vince Ebert / 13.10.2009 / 20:55 / 0 / Seite ausdrucken

Globalisierung: „Ich bin dann mal weg!“

In Deutschland grassiert die Armut. Jedes Jahr zur Spargelernte und Weinlese müssen zehntausende Ukrainer, Tschechen und Weißrussen nach Deutschland gekarrt werden, weil die von Armut betroffenen Deutschen mittlerweile zu schwach sind, um diese Arbeiten auszuführen. Mein Nachbar sagt, das ganze Problem läge an der Globalisierung. Weil immer mehr Manager aus Profitgier unsere Arbeitsplätze nach Polen verlagern, haben die Polen mittlerweile Wichtigeres zu tun, als uns den Spargel zu stechen und den Wein zu lesen. Ich befürchte, wenn die Globalisierung in dem Tempo weitergeht, haben bald auch die Ukrainer, Weißrussen und Tschechen keine Zeit mehr für uns. Dann müssen wohl oder übel die Kasachen und Mongolen ran. Aber ob sich das noch mit den Fahrkosten rechnet? Vielleicht kann man da ja was mit der Pendlerpauschale machen.
Was versteht man eigentlich unter Globalisierung? So ganz genau weiß das irgendwie keiner. Globalisierung bedeutet zum Beispiel, dass eine Salmonellenvergiftung, die ich mir im Club Med in Marrakesch hole, zwei Wochen später im Kindergarten von Hamburg-Eppendorf auftaucht. Oder, dass mein alter Nissan nicht auf einem Schrottplatz in Offenbach endet, sondern in Palästina als Autobombe.
Globalisierung bedeutet aber auch, dass ein Rüsselsheimer Lagerarbeiter seinen Job verliert, damit in Indien fünf neue entstehen können. Das ist übrigens der Grund, weshalb es in Indien viel weniger Globalisierungsgegner gibt als in Rüsselsheim. Besonders deutsche Gewerkschaftler finden das doof. Irgendwie paradox. Denn eigentlich erfüllt sich doch endlich der Traum, für den sie ursprünglich gekämpft haben. Immer mehr Menschen nehmen an der industriellen Produktion teil.
Besonders die Alten und Kranken kommen da nicht mehr mit. Vor einigen Jahren wetterte der Literaturnobelpreisträger Günter Grass: „Die Globalisierung vollzieht sich überall auf Kosten und zu Lasten der Menschen und sorgt für eine dramatische Zunahme von Armut und Elend in der Welt.“
Nun kann jemand, der große Romane geschrieben hat, durchaus großen Blödsinn reden. Der Mann, der zusammen mit Willy Brandt in seinem Hobbykeller den Warschauer Kniefall geprobt hat, behauptet nämlich das glatte Gegenteil aller ökonomischen Fakten. Seit die Globalisierung über die Welt fegt, haben sich mehr Menschen von Armut befreit als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Überall, wo Regierungen wirtschaftliche Freiheit zuließen und am Weltmarkt teilnehmen, stieg der Wohlstand. Bestes Beispiel: China. In einigen Provinzen liegt die Lebenserwartung mittlerweile sogar drei Jahre über der von Deutschland. Ich glaube, die Menschen sind dort viel zu beschäftigt, um zu sterben. Durch die wirtschaftliche Öffnung zum Westen hin hat sich das Durchschnittseinkommen der Volksrepublik in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Dadurch haben fast 200 Millionen Chinesen die Armutsgrenze überwunden. Natürlich ist dort noch lange nicht alles gut. Zum Beispiel können über 1,3 Milliarden Chinesen immer noch nicht das Wort „Reis“ aussprechen. Auch politisch gesehen ist China alles andere als offen. Ein falsches Wort bei einem Staatsbankett und es gibt Atomkrieg oder Hähnchen süß-sauer.
Noch nie waren weltweit gesehen mehr Menschen reicher, gesünder und freier. Es sieht heute besser aus auf der Welt, als es seit Beginn der Geschichtsschreibung ausgesehen hat. Es sieht heute besser aus als es noch vor wenigen Jahren ausgesehen hat. Sogar besser, als heute morgen um 9:30 Uhr. Dank zwei Aspirin und einem Kaffee-Cognac.
Selbst die schlechten Dinge haben sich verbessert. Schlechte Musik beispielsweise ist durch die Globalisierung viel kürzer geworden. Richard Wagners „Ring der Nibelungen“ dauert mehr als drei Tage, während „It’s my life“ von John Bon Jovi kaum mehr als drei Minuten dauert.
Trotzdem wird gestöhnt, dass alles immer schlimmer wird. Die Globalisierung sei unfair und ungerecht. Und der Exportweltmeister Deutschland ist dabei die größte Heulsuse. Obwohl wir das umfangreichste Sozialsystem der Welt haben, sind fast drei Viertel der Bundesbürger der Meinung, dass es in Deutschland immer ungerechter zugeht. Aber was ist Gerechtigkeit? Ist es gerecht, wenn ein Chinese einen Euro in der Stunde verdient, ein Osteuropäer drei Euro und ein Deutscher 15 Euro? Selbst ein Hartz IV Empfänger besitzt heute eine höhere Kaufkraft als ein deutscher Facharbeiter Mitte der 60ger Jahre. Die meisten Armen in Deutschland sind reicher als viele Menschen in den östlichen EU-Staaten, die sich keineswegs als arm bezeichnen würden. Trotzdem wird allerorts gemeckert, genörgelt und geschimpft. Wir sind eine Nation von Jammerlappen, von wehleidigen Schreihälsen, voller Selbstmitleid und Trübsal. Ein Volk von Sudoku-spielenden Rentenversicherungsanwärtern.
Für jeden hat man in Deutschland Verständnis, nur nicht für diejenigen, die Initiative ergreifen. Wenn Sie heute in Deutschland eine Imbissbude eröffnen wollen, müssen Sie behördliche Auflagen erfüllen, als wollten sie eine Wiederaufbereitungsanlage in Betrieb nehmen. „Ich doch will nur Pommes und Currywurst verkaufen und kein Plutonium!“ Doch das faultierartige Wesen im Gewerbeaufsichtsamt schüttelt nur müde den Kopf und sagt: „Bei vielen Imbissen kommt das toxikologisch auf das Gleiche heraus…“
Bis 1945 haben wir Deutsche kollektiv gekokst. Kokain macht größenwahnsinnig. Am Ende lag alles in Schutt und Asche und wir mussten in den kalten Entzug. Etwa 30 Jahre lang waren wir clean. Genau in dieser Zeit hatten wir unsere produktivste Phase. Dann fingen wir plötzlich mit dem Kiffen an. Kiffen macht dumpf, träge und harmoniesüchtig. Kiffer haben keinen Biss mehr. Und diejenigen, die ihn noch haben, verlassen in Scharen unser Land. Kein anderer Staat verliert derzeit so viele Fachleute wie Deutschland. Mediziner, Ingenieure, Wissenschaftler und Handwerker. Weil man sich hier um jeden kümmert, nur nicht um die, unseren Wohlstand erwirtschaften, begehen die Besten und Jüngsten Republikflucht. Kein Wunder, dass ein Buch mit dem Titel „Ich bin dann mal weg“ so einen großen Erfolg hatte.
Während Politiker über soziale Gerechtigkeit, Mindestlöhne und Managergehälter streiten, treibt man mit den Leistungsfähigsten in diesem Land Raubbau. In Guantanamo ist Schlafentzug eine Foltermethode, für deutsche Krankenhausärzte eine Berufsbezeichnung.
In der Bibel heißt es: „Du sollst nicht begehren Deines nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel und sonst noch alles, was dein Nächster so hat. Mit anderen Worten: Wenn Du eine Putzfrau willst, mecker’ nicht rum, was die Nachbarn gegenüber haben, sondern besorg’ Dir deinen eigenen Kram. Das zehnte Gebot ist eine Kampfansage an alle Gerechtigkeitsfanatiker, die der Meinung sind, unser Geld sollte noch mehr umverteilt werden. Und die Botschaft lautet unmissverständlich: Fahrt zur Hölle!

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