Vince Ebert / 26.10.2009 / 10:54 / 0 / Seite ausdrucken

Gibt es einen Gott?

Fußball und Religion haben verblüffende Gemeinsamkeiten. Ihre Anhänger entscheiden sich in einer Lebensphase, in der sie jung, unerfahren und schlecht informiert sind. Dann ist für jeden ernsthaften Fan der jeweilige Verein für alle Zeiten heilig. Ohne jedoch zu realisieren, dass die Entscheidung ob Bayern oder Schalke, ob Islam oder Judentum mehr mit dem Breiten- als mit dem Wahrheitsgrad zu tun hat. Während der heiligen Messe – beim Fußball auch „Spiel“ genannt – stärkt man das Gemeinschaftsgefühl durch das Absingen von Liedern, die von Generation zu Generation überliefert wurden. Das berühmte „Ole Ole Oleee“ entspricht hierbei dem „Großer Gott wir loben Dich“. In der Bibel hieß es: Und er scharte 12 Apostel um sich. Im Fußball: 11 Freunde sollt ihr sein.
In jedem Club gibt es eine handvoll Fanatiker, die vor den Kathedralen bzw. Stadien Glaubenskriege führen, indem sie sich gegenseitig die Birne einhauen. Kern der ganzen Idee ist ein immaterielles Wesen, das die jeweiligen Anhänger als „Gott“ bezeichnen. Bei den Germanen hatte der Fußballgott sogar einen Namen: Thor.
Glaubt man den Aussagen der Bibel, so hat Gott sechs Tage gebraucht, um die Welt zu erschaffen. Das Licht wurde jedoch erst am vierten Tag erfunden. Das bedeutet, dass der alte Herr im Himmel die ersten drei Tage im Dunkeln gearbeitet hat. Und nicht wenige behaupten, er habe in dieser Zeit Regionen wie Niederbayern oder Ostwestfalen erschaffen.
Wissenschaftler haben dagegen errechnet, dass bereits 10-43 Sekunden nach dem Urknall alle Naturgesetze feststanden. Wenn es also wirklich ein Schöpfer war, das alles erschaffen hat, dann hat er direkt nach dem Big Bang seinen Laden dichtgemacht und ist nach Hause gegangen. Das Schlimmste, was man über Gott sagen kann ist also nicht, dass er böse, zynisch oder gefühllos sein könnte, sondern dass er so wenig aus seinem Talent gemacht hat.
Jahrhundertelang gingen die größten Denker wie selbstverständlich davon aus, dass es einen Schöpfer geben muss. Die Idee, dass das alles völliger Unsinn sein könnte, ist ziemlich neu. Noch vor 200 Jahren wurde jeder ernstzunehmende Wissenschaftler, der die Existenz Gottes leugnete, als abgedrehter Spinner bezeichnet. Heute ist Gott für viele aufgeklärte Köpfe allenfalls ein tschechischer Schlagersänger. Der Atheismus breitet sich immer mehr aus. Gott ist tot. Die Polizei glaubt, es steckt ein Existenzialist dahinter. Oder wie Woody Allen bemerkte: Es gibt nicht nur keinen Gott, sondern versuch’ mal am Wochenende einen Klempner zu kriegen.
Trotzdem sind wir von Natur aus zum Glauben verdammt. Warum, ist klar. Der Mensch ist wahrscheinlich das einzige Lebewesen, dass sich seiner Vergänglichkeit bewusst ist. Mit diesem Bewusstsein entsteht fast automatisch der Hunger nach Unsterblichkeit. Doch wir alle werden sterben. Und das ist erst mal eine bodenlose Frechheit. Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Bevor Adam im Paradies die Frucht des ewigen Lebens essen konnte, hat er sich nämlich von Gott erwischen lassen während er vom Baum der Erkenntnis aß. Deswegen sind wir intelligent aber sterblich. Umgekehrt wären wir unsterblich aber doof. Eine nicht ganz uncharmante Alternative.
Tatsächlich existiert kein einziger schlagkräftiger Beweis, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Der buddhistische Lama Ole Nydahl ist da ganz anderer Meinung: „Wenn du Dich auf eine Party in einen Sessel setzt und jemand kommt und setzt sich drauf, dann weißt du, dass du tot bist.“ Bedauerlicherweise ist der Nydahlsche Sessel-Test unter Experimentalphysikern bisher noch nicht anerkannt. 
Wer dennoch sicher ist, dass „danach“ irgend etwas existiert, glaubt an eine Gewissheit, die alles andere als gewiss ist. Man schließt quasi eine Versicherung im Dieseits gegen Feuer im Jenseits ab. Früher machte das noch Sinn. Im Mittelalter hatte man eine Lebenserwartung von 40 Jahren plus Ewigkeit. Heute haben sie eine von 80 Jahren plus Nix. Schön ist das nicht.
Dennoch sind sogar viele Nichtgläubige der Auffassung, wenn herauskommt, dass es keinen Gott gibt, wäre der Teufel los. Ohne Glauben, so sagen sie, würde die öffentliche Ordnung den Bach runtergehen und die Menschen würden Amok laufen. Aber schon heute laufen ja genug Leute Amok, gerade weil sie an Gott glauben. Ich denke, es könnte kaum schlimmer kommen.
Macht der Glaube an Gott die Menschen wenigstens frei? Abraham hörte die Stimme des Herrn, die ihm befahl, seinen Sohn zu töten. Abraham denkt: Naja, wenn der das sagt, muss es schon seinen Grund haben. Unsere erste philosophische Frage an Abraham sollte lauten: „Bist du bescheuert??? Da behauptet jemand, er wäre Gott, erteilt Dir einen aberwitzigen Befehl und Du fragst noch nicht mal nach seinem Personalausweis?“
Alle Religionen versichern uns, dass, wenn wir bestimmte Rituale verrichten, Gebete wiederholen, uns an Normen anpassen, unsere Leidenschaften, Triebe, Gedanken und Wünsche unterdrücken, dass wir dann etwas Wunderbares jenseits dieses bedeutungslosen Lebens finden werden. Das ist Quatsch. Der Glaube und die Hoffnung auf das Jenseits macht nicht frei. Im Gegenteil. Wenn überhaupt etwas frei macht, dass ist es die Loslösung von dem absurden Gedanken, dass danach irgend etwas auf uns wartet. Oder dass irgend jemand irgend etwas von dort oben kontrolliert, regelt und ordnet. Der Glaube an Gott macht nicht frei. Er ist in Wirklichkeit eine subtile Form von Abhängigkeit. Wenn es überhaupt so etwas wie innere Freiheit gibt, dann nur, wenn wir keinem Gott hinterherrennen.
Ein Mann steht an den Niagrafällen. Plötzlich rutscht er aus und kann sich gerade noch an einer dünnen Wurzel festhalten. In dem Moment teilen sich die Wolken, ein Lichtstrahl scheint auf ihn und eine tiefe Stimme tönt: Ich, der Herr, bin hier! Lass die Wurzel los und ich werde dich retten! Der Mann überlegt kurz und ruft dann: Ist noch jemand anderes da oben…?
Wir kreisen um einen unbedeutenden Stern, der sich am Rand einer unbedeutenden Galaxie befindet. Ein kosmologisches System, dass so empfindlich und instabil ist, dass es jederzeit explodieren könnte. Ein ziemlich unbehaglicher Gedanke, vor allem, wenn man gerade die Anzahlung für ein Haus geleistet hat. In der 14 Milliarden Jahre alten Weltgeschichte gibt es uns gerade mal mickige 200.000 Jahre. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der homo sapiens sapiens ein Krümel kosmischer Staub im Materialwert von etwa zwei Euro achtzig. Wahrscheinlich ist genau diese Tatsache der Grund, weshalb wir uns so sehr nach einem Leben nach dem Tod sehnen. Es ist das unerträgliche Gefühl, sinnlos und unwichtig zu sein.
Doch genau die Akzeptanz der tiefen metaphysischen Sinnlosigkeit unserer Existenz schafft den Freiraum zur individuellen Sinnstiftung. Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon schreibt dazu: „Nur in einem an sich sinnlosen Universum genießt der Mensch das Privileg, den Sinn des Lebens aus seinem Leben selbst zu schöpfen. Sprich: Der Sinn des Lebens liegt eben nicht im Übersinnlichen, sondern im Leben selbst. Freiheit durch Sinnlosigkeit.“
Einen großen Nachteil allerdings hat diese Lebensphilosophie: Der Atheist hat keinen Namen, der er auf dem Höhepunkt sexueller Extase hinausschreien könnte.

 

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