Larissa Fußer, Gastautorin / 24.03.2020 / 14:00 / Foto: Apollo News / 28 / Seite ausdrucken

Gestern bei Skype

Gestern haben meine Freundinnen und ich uns zum Skypen verabredet. Wir sitzen gerade alle in Quarantäne und haben uns schon länger nicht mehr gesehen, da wollten wir das mal ausprobieren. Ich habe also meinen uralten Skype-Account aktiviert – den habe ich zuletzt mit 16 Jahren benutzt, um mit meinem damaligen Freund zu skypen. Ich war damals so wahnsinnig verliebt in ihn, dass ich meinte, keinen zweiwöchigen Urlaub mit meinen Eltern ohne tägliche Skype-Telefonate überstehen zu können. Als ich also meinen Account öffnete, poppten da erst einmal all die peinlichen Teenie-Chats von früher auf. Ein bisschen neugierig überflog ich ein paar Chatverläufe und musste lachen, als ich den Mix aus Jugendsprache, Emojis und absolutem Desinteresse an korrekter Rechtschreibung sah. Mit 13 hatten meine Freunde und ich anscheinend alle „aba“, statt „aber“ geschrieben und gedacht, dass in „Philosophie“ ein Ypsilon vorkommt.

In diese Zeit fühlte ich mich zurückversetzt, als ich plötzlich das Skype-Gebimmel hörte und auf dem Bildschirm sah, dass mich meine Freundinnen anriefen. Ich klickte auf „annehmen“ und da waren sie plötzlich alle auf meinem Laptop-Bildschirm zu sehen und wir grinsten uns unvermittelt an. Weil Mädchen eben Mädchen sind, waren wir die ersten fünf Minuten nur damit beschäftigt, wie wir aussehen. Das ist das Verzwickte am Skypen: Man sieht sich selbst die ganze Zeit klein in der Ecke. Nachdem die Haare also gerichtet waren und wir uns gegenseitig versichert hatten, dass wir alle super aussehen, ging das Gespräch los.

Aber über was redet man in Zeiten von Corona? Wir erzählten uns, was wir heute so gegessen und gemacht haben. Mehr gab es auch kaum zu berichten, wir sitzen ja alle zu Hause. Das Highlight des Gesprächs war, dass eine meiner Freundinnen während des Gesprächs frisch gebackenen Kuchen von ihrer Schwester gereicht bekam. Es wirkte, als hätten wir eine stille Übereinkunft getroffen, nicht über Corona zu reden. Also plauschten wir über dies und das, und ich merkte, dass es mir eigentlich komplett egal war, worüber wir redeten. Viel wichtiger war: endlich konnte ich mal wieder die Eigenheiten meiner Freundinnen sehen, wir konnten uns gegenseitig aufziehen, alte Scherze machen und mit Blicken statt Worten kommentieren. Ich kam mit der Aufmerksamkeit mal wieder aus meiner Wohnung heraus und sah andere Gesichter als die der Seriencharaktere von „Homeland“ und meines im Spiegel. Ich hatte wirklich Spaß beim Skypen und bekam endlich mal wieder ein Gefühl von meinem Alltag vor Corona.

Irgendwann redeten wir doch über Corona

Nur manchmal gab es eine unangenehme Stille, vielleicht, wenn uns wieder der Grund einfiel, warum wir uns hier über Video unterhielten, anstatt wie sonst in einer Bar miteinander zu quatschen und nach Männern Ausschau zu halten. Dann hatte ich das starke Bedürfnis, meine Freundinnen in den Arm zu nehmen. Die Berührung fehlt beim Skypen, das kann auch die beste Kamera nicht simulieren. Wir saßen dann etwas unbeholfen da und schwiegen – irgendwann redeten wir doch über Corona.

Nach kürzester Zeit war die Stimmung im Keller, also musste etwas her, um sie wieder aufzuhellen. Kurzerhand schmiedeten wir den Plan, beim nächsten Skype-Gespräch männliche Freunde von uns dazuzuschalten. Zum ersten Mal seit Beginn der Quarantäne war ich aufgeregt. Wir freuten uns, dass es dann wieder einmal einen Anlass gäbe, sich was Schickes anzuziehen und sich hübsch zu machen. Also endlich raus aus der Jogginghose und rein ins Kleid, Wimpern schminken und Haare föhnen. Endlich mal wieder ein Anlass, zu fühlen, dass wir Frauen sind.

Nach zwei Wochen Quarantäne muss ich sagen: das Schlimmste für mich ist das Versacken zu Hause. Wenn plötzlich der ganze Alltag hops geht, unser geliebter Juniorenkreis Publizistik ausfällt, das Uni-Semester nur noch über aufgenommene Online-Vorlesungen stattfindet, Bars und Clubs geschlossen werden, dann muss man sich wirklich neue Dinge zum Erledigen und Erleben suchen. Vor nicht einmal einem Monat habe ich mir in der Lernphase für meine Prüfung nichts sehnlicher gewünscht, als einmal auszuschlafen und den ganzen Tag nichts zu tun. Nun merke ich, dass es viel schlimmer ist, keine Aufgabe zu haben. Deswegen habe ich meine Jogginghose in den Schrank verbannt und begonnen, meinen Terminkalender wieder zu füllen. Morgens Skypen mit Rebecca, mittags mit dem Chef telefonieren, nachmittags eine Telefonkonferenz mit den Mädels und abends ein Videochat mit Männern. Mit so einem Tagesinhalt kann ich wieder frei atmen. Selbst bei Ausgangssperre – ich bin gewappnet.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Jugendblog Apollo-News.

Foto: Apollo News

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Leserpost

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Elke Summa / 24.03.2020

Liebe Frau Fußer, wie selbstverständlich habe ich noch vor vier Wochen meine Freundinnen umarmt. Jetzt, wo das nicht mehr geht und ich es selbst bei persönlichem Kontakt nicht mehr mache, merke ich auch, wie es fehlt. Plötzlich bekommt etwas ganz Normales eine sehr große Bedeutung.  Ich freue mich schon darauf, wenn alles vorbei ist, bis dahin erinnere ich mich daran, wie die letzte Umarmung meiner Freundin sich angefühlt hat. In diesem Sinne - feste Umarmung!

Eva Scharnowski / 24.03.2020

Liebe Frau Fußer, ja, die sozialen Einschränkungen aktuell sind bitter.  Und ihr Artikel beschreibt schön, dass uns allen doch etwas fehlt, wenn wir nur zuhause in der Wohnung hocken bleiben (müssen). Es bleibt nur die Hoffnung, dass wir recht bald wieder eine Zeit haben werden, in der wir ungezwungen anderen Menschen wieder begegnen können.

Thorsten Plagens / 24.03.2020

Ich verstehe den Unmut einiger älterer(?) hier absolut nicht. Auch mir als 50 jährigem geht das Homeoffice fürchterlich auf den Keks. Zwar habe ich genügend für die Arbeit zu tun aber die Unmöglichkeit eines Kaffeeplausches mit den Kollegen oder der Besuch meines Lieblingscafes schmerzen schon sehr. Und genau wie die Autorin kam ich (meine Kollegen ebenfalls) auf die Idee der virtuellen Skype Kaffeemeetings. Dazu dann noch eine gänzlich neue Tagesstruktur erfunden und plötzlich ist es gar nicht mehr sooo schlimm….

Johannes Schuster / 24.03.2020

Die Generation Platsch - Bumm. Ach du grüne Güte, sind das Problemchen gezuckert und gerosarotet Diabetes Langeweil ... die Probleme hätte ich gerne und zwar doppelt- es wäre ein Kurprogramm mit Nackenmassage. “Mit so einem Tagesinhalt kann ich wieder frei atmen.” - Chatten ?! Als Inhalt einer Studierenden ?! Da will ich hier bei Achgut über unsere geliebte Angie und deren charakterliche Bildung aber nichts mehr hören, gar nichts, dagegen die gelegentlich schlotternde Mutti Einstein ! Wenn das unsere Zukunft sein soll, hole man mir v. Braun, ich will auf den Mars mit Snickers und Snoopy. (dieser gestylte Aufreger war eine Hommage an meine verehrte Evelyn Hamann) Wieviel mal Weltuntergang braucht man zur Überwindung solcher Strukturen ? Da könnt ihr auch die Gretel hohlen mit Hänsel - rabimmel rabammel rabumm. Zitat Walter Moers: Danke für garnichts !

Fritz von Schönerleben / 24.03.2020

Viele “Boomer” kommen hier vielleicht nicht hinterher. Aber die gute als Skype, ICQ und MSN Zeit erlebt gerade eine gleiche Wiederbelebung, wenngleich mit anderen Chatprogrammen. Schön, dass Fr. Fußer das hier thematisiert. Etwas Auflockerung tut uns gut. Der Sommer kommt und die Krise wird vorüber gehen. Schön, dass man hier auch mal ein junges, wenig faltiges und hübsches Gesicht sieht.

Rolf Mainz / 24.03.2020

Bei allem Respekt: wenn ein Studium(?) derart lasch ist, dass anscheinend schon nach wenigen Tagen solche Langeweile aufkommt, dann stimmt etwas nicht. Am Studium nicht und/oder am Studierenden nicht. “Versacken zu Hause”? “Keine Aufgabe haben”? “Abends Videochat mit Männern”? Soll das witzig sein? Und das ist die kommende deutsche intellektuelle Oberschicht? Heilige Einfalt.

Claudius Pappe / 24.03.2020

Diese Sorgen möchte ich haben……….solange der Strom aus der Steckdose und das Geld von der Karte kommt……...

Jens Richter / 24.03.2020

Ich habe den und ähnliche Artikel ganz oder wenigstens quergelesen. Ich glaube nun zu wissen, dass es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt: Frauen ertragen das Alleinesein nicht. Anstatt zum Beispiel die Kontemplation zu nutzen, um ein Buch zu schreiben oder sich an der Riemann’schen Vermutung zu versuchen, nein “wie Mädchen so sind” heißt es im Artikel, muss getratscht werden. Ein bisschen Meditation, um den Freundinnen was über die tolle Meditation erzählen zu können, viel Gerede übers Schweigen. Fokussierung? Konzentration? Scheint Männersache zu sein. Einige Männer schreiben über ihre Isolation, aber positiv(er). Sie werden kreativ, machen was draus. Meine Wenigkeit hat gerade ein kleines Nocturne komponiert: “Sound of Isolation”.  Bestimmt nichts Besonderes, aber das Klavier schaute mich an, und los ging’s mit dem Komponieren.

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