Es war zum Gähnen, als der neue Mann im Januar 1989 das Weiße Haus in Washington D.C. bezog. Der Umzugswagen musste nicht mal weit fahren: von den Residenz des Vizepräsidenten im Nordwesten der Stadt in das schmucke Haus an der Pennsylvania Avenue. Ja, George Bush war Vize, bevor er Chef wurde. Außerdem war er CIA-Chef, UNO-Botschafter, China-Diplomat und Sohn einer Familie, die zur amerikanischen Oberschicht gehörte. Da zog einer ins Weiße Haus, der tatsächlich sein Geschäft verstand und auch gesellschaftlich hineingehörte. Und das nach Ronald Reagan. Wie gesagt: zum Gähnen.
Seit Donald Trump herrschen neue Maßstäbe, aber Ronald Reagan war für damalige Verhältnisse schon eine unkonventionelle Nummer im ovalen Büro. Vor allem aus deutscher Sicht: ein Filmschauspieler als Präsident der Super-Macht USA. Kopfschütteln von Hamburg bis München. Und fremdschämendes Grinsen, als Reagan bei einem Berlin-Besuch rief: „Mister Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein!“
Als wenig später die ersten Mauerspechte zu hacken begannen, wollte man von diesem Fremdschämen natürlich nichts mehr wissen. Und dass Ronald Reagan auf dem Weg ins Weiße Haus die in Kalifornien mächtige Schauspielergewerkschaft und dann als Gouverneur den ganzen Bundesstaat geführt hat, nahm man in Deutschland, dem Land der parteipolitischen Ochsentour, sowieso nicht wahr. Dabei kann ein Markus Söder in Bayern von der Macht eines kalifornischen Gouverneurs nur träumen.
Egal. Ronald Reagan war selbst für amerikanische Verhältnisse ein Maverick. Und weil er ein so unkonventioneller Politiker war, war er genau der richtige Mann für seine Zeit. Er schaffte die Kurve vom Kommunisten-Fresser (Russland – das Reich des Bösen) zum Gorbatschow-Freund. Ohne den Maverick Reagan wäre das von Michail Gorbatschow eingeleitete Ende des Kalten Krieges und des Eisernen Vorhangs vielleicht nicht gelungen. Bis hin zum Vertrag über Mittelstreckenraketen, der jetzt wieder wackelt.
Das Tabu-Wort Wiedervereinigung trat aus dem Dunkel
Tja, der Kalte Krieg war beendet, der Eiserne Vorhang schmolz dahin, aber Deutschland war immer noch geteilt. Allerdings robbten sich die beiden Teile vorsichtig wie Igel oder Stachelschweine näher aneinander heran. Das Tabu-Wort Wiedervereinigung trat ganz langsam aus dem Dunkel des Unsagbaren in den aussprechbaren Wortschatz hervor. Aber wie sollten sich die stacheligen Nachbarn vereinen? Und was würden die lieben Nachbarn sagen?
Zur Erinnerung: Die waren entsetzt. Margaret Thatcher konnte bereits den Gedanken an ein derart erstarktes Deutschland nicht ertragen. Sie lebte fest in der politischen Insel-Tradition, dass es die Aufgabe Londons sei, ein Gleichgewicht zwischen den Kontinental-Größen Deutschland und Frankreich sicherzustellen und so die Position Englands zu festigen. Und nun drohten diese neureichen Kriegsverlierer auch noch Zuwachs zu bekommen! Da konnte es nur ein klares englisches Njet geben.
Und Frankreich? Francois Mitterand tat sich mit dem Bonmot hervor, er liebe Deutschland so sehr, dass er sich gleich zwei davon wünsche. Und um seine Liebe zu beweisen, reiste er zu Erich Honecker, um ihn politisch zu stützen, während das sozialistische deutsche Paradies unter den Augen der beiden liebenden Herren hinweg bröckelte.
Wie konnte man solche Nachbarn für eine deutsche Wiedervereinigung erwärmen? Lassen wir den Euro mal beiseite und sagen wir: nur mit äußerster Mühe. Oder besser: nur mit Hilfe eines ferneren Nachbarn. Und der war George Bush. Der amerikanische Präsident stand zu der Idee einer deutschen Wiedervereinigung ziemlich genau so wie die Mehrheit seiner Landsleute. Die freuten sich ganz neidlos und gratulierten uns strahlend, als vielen von uns selber noch der Schreck in die Glieder fuhr, wenn wir an ein vereintes Deutschland in der Nacht dachten.
Für Bush die logische Folge der Ost-West-Entspannung
Für den weltpolitisch erfahrenen und in globalen Kategorien denkenden George Bush war ein vereintes Deutschland die logische Folge der Ost-West-Entspannung. Dass dann ein paar neokonservative Politiker und Autoren ihr Amerika als einzig verbliebene Supermacht feierten und vom Ende der Geschichte träumten, geht nicht aufs Konto des Präsidenten. Wohl aber war er der Mann, der auf westlicher Seite grünes Licht für den Weg in die deutsche Einheit gab. Sein „Ja“ war so wirkmächtig, dass die widerspenstigen Nachbarn murrend klein beigaben. Es blieb ja noch genug zu tun, um die Sache mit den Russen klar zu machen. Auch da war George Bush, wenn auch im Hintergrund, so wichtig wie vor ihm Ronald Reagan, als der in Reykjavik mit Michail Gorbatschow den ersten Teil dieses geglückten Dramas schrieb.
Ein in Deutschland unverstandener Maverick mit notorischen Gedächtnislücken und ein zum Gähnen konventioneller Kompetenter haben es gedeichselt. (Und dann natürlich Helmut Kohl, den auch viele nicht mochten und belächelten.) Gegensätzlicher geht es nicht. Aber wie es scheint, gibt es in der Politik keine Regel für die Idealbesetzung. Es sei denn, wir machen die personelle Überraschung zur Regel.