Burkhard Müller-Ullrich / 21.05.2010 / 17:31 / 0 / Seite ausdrucken

Gen-Wesen

Es wurde aber auch Zeit. Schon lange hatten wir nichts und schon gar nichts Aufregendes mehr von unseren künstlichen Mitlebewesen gehört. All die künstlich erzeugten Babies, die von italienischen Wissenschaftlern und kanadischen Sekten angekündigt wurden, erwiesen sich ja als enttäuschende Täuschungen. Bitte: es müssen keine Babies sein, Bakterien tun es zur Not auch; wir sind da gar nicht anspruchsvoll. Aber die Gen-Geisterbahn, auf der sich der moderne Mensch gehörig gruseln kann, wirkte wie geschlossen. Seit Craig Venters glorioser Gen-Entzifferung vor genau zehn Jahren, die Frank Schirrmachers Spektakeltalent zum Durchbruch verhalf, warten wir, die Alte Schule der konventionell Entstandenen, ungeduldig auf den Zuzug unserer zukünftigen Retorten-Geschwister auf der Erde. Wo bleiben sie?

Die Biologie ist ähnlich undurchsichtig wie das Bankwesen. Wir verstehen von Genen gerade so viel wie von Derivaten. Beide scheinen einen Hang zur Selbstvermehrung zu besitzen, der streng kontrolliert werden muß, um nicht außer Kontrolle zu geraten. Kontrolle, Gesetze, Aufsicht: jeder redet von dem, was es nicht gibt. Politiker beraten eifrig, wie sie das, wovon auch sie nichts verstehen, regulieren, überwachen und entschärfen können. Und die Medien schüren Angst und Unbehagen.

In diese Situation platzt jetzt also die Meldung, daß gekommen ist der Tag. Craig Venter hat sich zum Schöpfer von etwas Lebendem erklärt, und zwar von blauen Bazillen. Blau ist die Lieblingsfarbe der meisten Menschen; blau sind der Himmel und das Meer, Blau ist die Farbe des Vertrauens und der Verläßlichkeit, blau sind der Reiter, der Säufer und der Enzian. Vor allem scheint es sich bei den kleinen blauen Lebewesen um männliche zu handeln, denn weibliche wären natürlich rosa. Craig Venter hat also auf einzelliger Ebene erstmal Jungs geschaffen. Wenn ihm allerdings auch noch die entsprechende Ergänzung gelingt, dann ist Schluß mit Vertrauen und Verläßlichkeit. Dann machen die Geschöpfe nämlich was sie wollen.

Und da zeichnet sich folgendes Problem ab: diese Geschöpfe sollen sich ja nicht amüsieren, sondern arbeiten. Die Forscher versprechen uns maßgeschneiderte Design-Organismen, die Kohlendioxid aus der Luft ziehen, Kraftstoffe erzeugen oder Wasser reinigen. Gesetzt den Fall, die gehorchten plötzlich nicht mehr und täten etwas anderes, dann müßte Venter sich ein paar philosophisch-theologische Gedanken machen: Darf er sie etwa vernichten, bloß weil er sie geschaffen hat? Es ist doch immerhin Leben, das sicherlich auch noch Bewußtsein und Gefühl entwickeln wird.

Über diese Frage denkt gerade der Herrgott nach, seitdem er erfahren hat, daß eines seiner undankbarsten und problematischsten Geschöpfe auf einem der blauesten Planeten mit blauen Genschnipseln herumexperimentiert. Daß der Mensch so erfolgreich wäre, hätte Gott gar nicht gedacht.

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